Die Luft ist benzingeschwängert, die Motoren brummen, aus den Auspuffrohren der Autos knattert und knallt es. „So hören sich Verbrenner an“, sagt Ministerpräsident Reiner Haseloff mit Blick auf die große Rennstrecke von Oschersleben, an deren Rand die sachsen-anhaltische CDU am Samstag ihre Liste für die kommende Landtagswahl aufstellt. Und diesen „Speed“, so Haseloff, müsse seinen Partei auch entwickeln, „wenn wir uns die aktuellen Umfragen ansehen.“
Denn knapp ein Jahr vor dem Wahltermin am 6. September 2025 liegt die CDU in den Umfragen derzeit mit 27 Prozent deutlich hinter der AfD, die mit 39 Prozent enteilt ist. Der Rückstand der CDU hat sich spürbar vergrößert, seit der 71 Jahre alte Haseloff im August angekündigte, die Spitzenkandidatur seinem 46 Jahre alten Wirtschaftsminister und CDU-Landesvorsitzenden Sven Schulze zu überlassen. Diese Entscheidung kam auch innerhalb der CDU unerwartet, zumal es in den eigenen Reihen durchaus Zweifel an Schulze gibt, der bei seiner Wiederwahl als Landesvorsitzender 2023 nur 74 Prozent erhalten hat.
Ein ähnlich mäßiges Ergebnis wurde innerparteilich auch für Schulzes Wahl zum Spitzenkandidaten nicht völlig ausgeschlossen. Während andere Landesverbände ihre Spitzenkandidaten regelmäßig mit Ergebnissen von annähernd 100 Prozent auf Listenplatz 1 heben, galt vor dem CDU-Treffen in Oschersleben schon ein Ergebnis von mehr als 85 Prozent als Erfolg für Schulze in der chronisch unruhigen Landes-CDU.
Ein „tolles Ergebnis“ für Schulze
Um Punkt 12 Uhr mittags kommt dann das Ergebnis im dortigen Motodrom-Hotel: 90 der 100 Delegierten haben für Schulze gestimmt. Schulze nickt und lächelt. Parteifreunde sprechen von einem „tollen Ergebnis“. Die sachsen-anhaltische CDU hat damit auch ein Zeichen der Geschlossenheit gesetzt angesichts der Bedrohung durch die AfD, die mit ihrem jungen Spitzenkandidaten Ulrich Siegmund sogar eine absolute Mehrheit im Landtag anstrebt.
Sachsen-Anhalt dürfe nicht zum „Testballon für ein anderes Deutschland“ werden, warnt Haseloff in Oschersleben mit Blick auf diese Ankündigung. Mit Blick auf seine eigene Ankündigung aus dem Frühsommer, im Falle einer AfD-geführten Regierung aus dem Land wegzuziehen, stellt Haseloff klar, dass er sich in Wittenberg bereits seine Grabstelle ausgesucht und sogar schon bezahlt habe und seine alteingesessene Familie „auch die nächsten 850 Jahre, mindestens“ dort bleiben werde. Auch seinen Rückzug vom Amt des Ministerpräsidenten begründete Haseloff noch einmal: „Wenn immer alles nur an einer Person hängt, ist irgendetwas nicht in Ordnung.“
Haseloffs Wunschnachfolger Sven Schulze legte in seiner Rede den Schwerpunkt auf die 800.000 ehrenamtlich engagierten Bürger in Sachsen-Anhalt, denen es „immer besser gehen müsse als denen, die sich nicht beteiligen“. Die CDU hat die Ehrenamtlichen als bedeutsam für den Wahlkampf identifiziert, weil auch die AfD zunehmend um diese Gruppe wirbt. Die CDU will diesen Teil der Bevölkerung, dem eine zentrale Multiplikatoren-Rolle zukommt, aber auf keinen Fall an die AfD verlieren, sondern die Partei in ihr angestammtes Milieu der passiven Protestwähler zurückdrängen.
Eines kann die AfD besser, meint Schulze
Die AfD, so Schulze, könne die bestehenden Probleme zwar „in einem zwanzigsekündigen Tiktok-Video besser beschreiben“ als die CDU – aber Probleme lösen, das könne sie nicht. Im Landtag habe die AfD-Fraktion keine konstruktive Oppositionsarbeit geleistet, kritisiert Schulze. „Nichts, nada“ sei da gekommen. „Die haben es nicht auf der Kirsche!“, ruft Schulze.
Mit Blick auf eine mögliche Kabinettsbildung nach der Wahl kündigt Schulze an, in allererster Linie auf Expertise zu setzen, aber auch auf eine Ausgewogenheit zwischen Männern und Frauen und zwischen Alten und Jungen achten zu wollen. Den Hintergrund dieser Aussage bildet der vernehmbare parteiinterne Unmut über den am Montag vorgelegten Listenvorschlag der Parteiführung: Die erste Frau findet sich erst auf Platz 10 und unter den ersten dreißig Plätzen gibt es lediglich fünf Frauen. Hinter der Vorgabe in der Satzung, mindestens jeden dritten Platz mit einer Frau zu besetzen, oder gar von Parität bleibt der Vorschlag weit zurück.
Zu diesem Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern kam es, weil die Vergabe der Listenplätze wie in der Vergangenheit nach dem Regionalprinzip erfolgte. Das bedeutet, dass die Entscheidungsgewalt vor allem bei den Kreisvorsitzenden lag und nicht auf Landesebene. Und auf der regionalen Ebene machten die arrivierten Männer die aussichtsreichen Plätze vor allem unter sich aus. Dies führte auch dazu, dass sich der erste Bewerber, der bisher kein Landtagsmandat besitzt, erst auf Platz 17 des findet. Auch ein gewisses Ungleichgewicht zugunsten des rechten und zulasten des linken Flügels wird von manchen moniert.
Die Liste wird wichtig
Verschärft wurde der Unmut dadurch, dass die CDU-Liste 2026 deutlich wichtiger werden könnte als bei früheren Wahlen: Denn sollte die AfD wie erwartet viele Direktmandate gewinnt, hängt die Zukunft der dort unterlegenen CDU-Politiker an aussichtsreichen Listenplätzen. Hinzu kommt, dass nach der Landtagswahl eine komplizierte Regierungsbildung erwartet wird. Wegen fehlender Koalitionsoptionen in der Mitte könnte die CDU dann vor der Wahl steht, entweder den Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linkspartei über Bord zu werfen oder die Brandmauer zur AfD einzureißen.
Das eine wie das andere dürfte die Geschlossenheit der chronisch undisziplinierten CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt auf ihre bislang härteste Probe stellen. Reiner Haseloff hatte wegen der notorischen Unruhe in seiner Fraktion nach der vergangenen Landtagswahl 2021 die FDP als dritten Koalitionspartner hinzugeholt, obwohl CDU und SPD im Landtag auch alleine eine knappe Mehrheit hatten.
Wie nötig diese Maßnahme war, sollte sich rasch zeigen. Denn Haseloff verfehlte bei seiner Wahl zum Ministerpräsidenten im Landtag trotz der zusätzlichen FDP-Stimmen im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit. Die Abweichler werden, auch innerhalb der CDU, unter den eher älteren und eher dem rechten Parteiflügel angehörenden Mandatsträgern vermutet.
Diese innerparteilichen Spannungen wurden in Oschersleben zuerst bei der Abstimmung über Platz 4 spürbar. Lars-Jörn Zimmer, dem eine Offenheit für die AfD nachgesagt wird, bekam mit 54,7 Prozent bloß eine knappe Mehrheit, während die meisten anderen Bewerber Ergebnisse irgendwo zwischen 75 und 90 Prozent erhielten. Auf Platz 8 verfehlte dann Markus Kurze mit 42,1 Prozent die Mehrheit. Kurze hatte im Sommer sein Amt als Parlamentarischer Geschäftsführer verloren, nachdem Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen ihn laut wurden. Schon im Vorfeld des Parteitags hieß es, dass der Unmut über die fehlenden Frauen sich besonders an Kurze entladen könnte, der trotz der Vorwürfe selbstbewusst Platz 8 beanspruchte.
Nach Kurzes Niederlage um Platz 8 im ersten Wahlgang wagte die für aussichtslosen Platz 32 vorgesehene Landtagsabgeordnete Sandra Hietel-Heuer, im zweiten Wahlgang gegen Kurze anzutreten und gewann den Platz 8 mit 59 zu 39 Stimmen gegen ihn. Nach dem guten Ergebnis für Schulze auf Platz eins wurde damit auch die mangelnde Berücksichtigung der Frauen zumindest geringfügig korrigiert, ohne die vorgelegte Liste zu zerrupfen. In der sachsen-anhaltischen CDU wertet man die Zusammenkunft am Oscherslebener Motodrom deshalb als gelungen. Ob die Partei damit genug „Speed“ hat, um gegen die AfD zu bestehen, wird sich erst noch erweisen müssen.
Source: faz.net