Saarstahl-Chef sieht rot: „Lindner kann gerne mit mir schlaflose Nächte teilen“

Der Finanzminister hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Dass der Kanzler unter „Realitätsverweigerung“ leide, die Verantwortlichen in der „Berliner Glaskugel“ nicht mehr wüssten, was tatsächlich vor sich gehe, hat Saarstahl -Chef Stefan Rauber noch zur Kenntnis gekommen. Wenn jetzt aber Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Unternehmer zu mehr Risikobereitschaft auffordere, dann ist es aus mit seiner Fassung. So könnten nur Leute reden, die keine Ahnung hätten, sagt Rauber. Er müsse im Saarland ein Vier-Milliarden-Euro-Projekt stemmen, bei maximaler wirtschaftlicher und politischer Unsicherheit. Und er müsse Beschäftigten mehrmals im Jahr auf Betriebsversammlungen ins Auge schauen. „Lindner kann gern mit mir schlaflose Nächte teilen.“ Mehr Risiko wagen, so eine Aussage, ausgerechnet von einem aus der FDP – „da lacht doch der Bus!“

Rauber hat zum Gespräch eingeladen. Erstmals seit er vor gut einem Jahr die Führung der beiden saarländischen Stahlkonzerne Saarstahl und Dillinger Hütte übernommen hat. Der Termin ist bewusst gewählt, nächste Woche findet in Duisburg der nationale Stahlgipfel statt. Anders als zum Chemiegipfel kommt der Kanzler nicht. Gerade jetzt, wo die Pro­bleme von Thyssenkrupp offenkundig werden. Thyssenkrupp sei kein direkter Wettbewerber, die Probleme seien nicht vergleichbar, sagt Rauber, aber natürlich gebe es jetzt eine „negative Strahlkraft“. Rauber, 46 Jahre alt, zwei kleine Kinder, geboren an der Saar, hat Redebedarf.

Aufstieg mit Maas

Rauber ist selbst in der Politik groß geworden, an der Seite des früheren Außenministers Heiko Maas. Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Landtag war er, Abteilungsleiter im SPD-geführten Wirtschaftsministerium, seit 2020 Geschäftsführer der Montan-Stiftung-Saar, Eigentümerin der beiden Stahlkonzerne. Immer mittendrin im Saarland. Er wisse, dass man als Politiker eine Profilneurose habe müsse, sagt er, aber das, was jetzt passiere, grenze an Realitätsverlust. „So kann es nicht weitergehen.“

Niemand stelle den Klimaschutz infrage, sagt er, die Stahlunternehmen machten das, was die Politik von ihnen wolle. Dann müssten aber auch die Rahmenbedingungen stimmen. Die Energiepreise seien viel zu hoch, die Wasserstoffträume würden sich nie erfüllen. Ob der Grenzausgleich in der EU funktioniere, nach dem Stahlimporteure Strafe zahlen sollen, wenn ihr Stahl nicht grün hergestellt wurde? Rauber zweifelt.

Am wichtigsten aber seien Energiepreise. Es interessiere ihn nicht, wenn die Regierung verlaute, sie seien wieder auf das Vorkriegsniveau gefallen. Energie koste im internationalen Vergleich einfach viel zu viel, in Berlin dächten aber viele zu wenig international. Für Rauber ist klar, dass es ohne einen Industriestrompreis nicht geht. Und zwar unter vier Cent je Kilowattstunde.

Ein Scheck über 2,6 Milliarden Euro

Die „Wasserstoffträume“, wie er es nennt, machten ihn sprachlos. Grüner Wasserstoff sei in Europa nicht wettbewerbsfähig. In etlichen Weltregionen seien erneuerbaren Energie und damit die Produktion grünen Wasserstoffs eben viel billiger. Teils zwanzigmal so billig. „Ich kann nur jedem raten, endlich den Sand aus den Augen zu nehmen.“

Rauber müsste mit der Politik eigentlich zufrieden sein. Einen Scheck über 2,6 Milliarden Euro zum Umbau der Produktion hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck im Dezember ins Saarland gebracht. Großteils finanziert vom Bund, mit im Boot auch das ohnehin hoch verschuldete Land – bis heute die größte Einzelförderung in der Stahlindustrie. Umso mehr müssten doch die Rahmenbedingungen stimmen, sagt Rauber und verweist auf die fehlenden Leitmärkte.

Saarstahl produziert schon seit einiger Zeit in einem Elektrostahlwerk in Lo­thringen Schienen, grüne Schienen also. Die französische SNCF sei Kunde; nach Österreich, Belgien, Südafrika, selbst für den Metroausbau in Paris habe man geliefert. Nur die Deutsche Bahn nehme keine Schienen ab, denn ausgerechnet beim Staatsunternehmen gebe es keinen „grünen Bonus“, zählt also weiter nur der Preis. Das sei doch geradezu absurd, angesichts der hohen Förderung.

450.000 Seiten Papier

Nicht weniger absurd findet Rauber die Bürokratie: Für die Genehmigung der neuen Anlagen seien bislang 450.000 DIN- A4-Seiten und 20.000 DIN-A0-Zeichnungen angefordert worden, 20 Behörden seien damit beschäftigt, bei Dillinger und Saarstahl 100 Leute dafür abgestellt. Kein Staatssekretär, mit dem er darüber noch nicht gesprochen habe – viel Verständnis gebe es, aber es ändere sich nichts.

Bis Jahresende will Rauber auch die beiden Unternehmen neu aufstellen. Strukturen verschlanken, effizienter werden, die technologiegetriebene Industrie an Vertrieb und Märkten ausrichten, wie er sagt. Das wird auch nicht ohne Kapazitätsschnitte in der Verwaltung abgehen, Kündigungen sein nicht geplant.

Gut 13.000 Menschen beschäftigen die Stahlunternehmen noch im Saarland. Im internationalen Vergleich sind beide Unternehmen mit einem Gesamtumsatz von zuletzt sieben Milliarden Euro kleine Spieler, aber als Arbeitgeber nach wie vor sehr relevant. Umso mehr, nachdem Ford das Aus der Produktion verkündet hat und die versprochen Großansiedlungen eines amerikanischen Chipherstellers und eines chinesischen Batteriefabrikanten auf sich warten lassen. Was ihn zuversichtlich stimme, dass der Kraftakt trotz allem gelinge, sei der Zusammenhalt, sagt er. Alle im Konzern zögen an einem Strang, zudem sei man zeitlich der Konkurrenz voraus. Spätestens 2030 soll der erste der beiden Hochöfen abgestellt werden. Dann ist sie da, die neue Zeit.

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