Russlands Wirtschaft: Moskau hängt an Pekings Tropf

Dass China in den vergangenen zwei Jahren zum wichtigsten Handelspartner Russlands geworden ist, lässt sich seit Monaten auf den Straßen Moskaus beobachten: Ganze Taxi-Flotten werden dort inzwischen von den chinesischen Marken Geely und Chery statt – wie früher – von Kia aus Korea dominiert. Der Export chinesischer Autos sowie der von Traktoren nach Russland stieg im vergangenen Jahr um jeweils beinahe 600 Prozent. Auch Smartphones und Computer, Maschinen und Ersatzteile bezieht Russland inzwischen hauptsächlich aus China. Insgesamt betrug das bilaterale Handelsvolumen im vergangenen Jahr 240 Milliarden Dollar und lag um 26 Prozent höher als noch im Jahr 2022, wie die beiden Staatschefs Wladimir Putin und Xi Jinping bei ihrem Treffen am Donnerstag in Peking hervorhoben.

Doch zeigen die glänzenden Zahlen nicht das enorme Ungleichgewicht, das in der Partnerschaft herrscht. Dafür lohnt sich ein Vergleich mit anderen Handelspartnern Chinas, wie Agathe Demarais von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations kürzlich in der „Financial Times“ anregte. Demnach wuchsen die chinesischen Exporte nach Russland im vergangenen Jahr zwar stärker als in alle anderen Länder. Doch verkauften chinesische Unternehmen etwa genau so viel nach Russland wie in die Niederlande, eine deutlich kleinere Wirtschaft, und sogar noch mehr nach Vietnam.

Washington droht mit Sekundärsanktionen

Während der russische Markt also für China einer unter vielen ist, wächst Russlands Abhängigkeit von China exponentiell. So ist das Nachbarland zum wichtigsten Abnehmer für russische Rohstoffe geworden: Vergangenes Jahr überholte Russland – wegen der infolge von Sanktionen und Ölpreisdeckel niedrigeren Preise auf russisches Rohöl – Saudi-Arabien als größten Öl-Lieferanten und stand mit 2,1 Millionen Fass am Tag für 19 Prozent aller chinesischen Öl-Importe. Auch die russische Rüstungsindustrie verlässt sich zunehmend auf die Lieferung sogenannter Dual-Use-Güter aus China, die sowohl im zivilen als auch militärischen Bereich genutzt werden können.

Um dagegen vorzugehen, droht Washington seit Ende vergangenen Jahres mit Sekundärsanktionen gegen Banken, die Geschäfte in Verbindung mit der russischen Militärindustrie durchführen. Dies hat erstaunlich große Folgen: Im März gingen die chinesischen Exporte um beinahe 16 Prozent im Jahresvergleich zurück, im April um 13,5 Prozent. Russische Geschäftsleute hätten große Probleme, Konten bei chinesischen Banken zu eröffnen, sagt Alexandra Prokopenko, die bis zum Überfall die russische Zentralbank beriet und nun für den Thinktank Carnegie arbeitet, der F.A.Z. Beide Seiten seien von der Wirkung der Maßnahmen überrascht worden. Denn gerade um sich von solchen Risiken unabhängiger zu machen, wickeln Russland und China ihre Geschäfte statt in Dollar zunehmend in „nationalen Währungen“ ab, wie Putin am Donnerstag hervorhob: Der Anteil der in Rubel und Yuan durchgeführten Transaktionen zwischen beiden Ländern liege bei mehr als 90 Prozent und steige weiter.

Russland und China nutzen eigene Bank-Transaktionssysteme

Auch hier allerdings zeigt sich die chinesische Dominanz. Im ersten Halbjahr 2023 fanden nach Angaben des russischen Wirtschaftsministeriums 75 Prozent des russisch-chinesischen Handels in Yuan statt sowie ein Viertel der Geschäfte zwischen Russland und dritten Ländern. Nach dem Ausschluss der meisten russischen Banken aus dem internationalen Zahlungssystem Swift nutzen Russland und China nun ihre eigenen Transaktionssysteme.

Dass die amerikanischen Sanktionsdrohungen trotzdem wirkten, habe damit zu tun, dass die meisten chinesischen Banken auch Geschäfte in Dollar und Euro durchführten und nicht riskieren wollten, vom globalen Finanzsystem abgeschnitten zu werden, sagt Prokopenko. In Zukunft dürften noch mehr Banken und Zwischenhändler – auch aus anderen Ländern – in die Transaktionsketten eingebunden werden, glaubt die Expertin. Auch könne versucht werden, Kryptowährungen zu nutzen. Die Transaktionen würden dadurch teurer, aber nicht unmöglich.

Dass China sich unter anderem aus Angst vor Sanktionen in Russland zurückhält, zeigt sich auch bei den Direktinvestitionen. Die liegen Fachleuten zufolge durchschnittlich im Jahr nur bei etwa einer Milliarde Dollar. So nutzt China verwaiste Fabriken in Russland bloß, um seine importierten Bauteile zusammenzuschrauben. Zurückhaltung dominiert, wenn es darum geht, Autofertigung nach Russland zu verlagern und dort zu „lokalisieren“, wie es Moskau von den westlichen Konzernen vor deren Rückzug nach Russlands Überfall auf die Ukraine verlangt hatte.

Zudem seien die Regeln für Investoren in Russland derart unverständlich geworden, dass chinesische Unternehmer lieber vorsichtig agierten, sagt Prokopenko: An einem Tag gelte man als Geschäftsmann aus einem „freundlichen Land“ – das sich nicht an den Sanktionen gegen Russland beteiligt – am übernächsten könne sich das wieder geändert haben. Russland hat zuletzt mehrere russische Tochterfirmen westlicher Konzerne faktisch enteignet.

Auch beim Gas ist der Handel mit China aus russischer Sicht noch weit vom Idealzustand entfernt. Den verlorenen europäischen Markt kann das Nachbarland noch längst nicht ersetzen, da bisher nur eine Pipeline, Sila Sibiri 1, von Russland nach China führt. Seit Jahren bemüht sich Putin intensiv um die Zustimmung Pekings für eine zweite Leitung, Sila Sibiri 2, doch ist es bisher nicht zu einem Vertrag gekommen. Sila Sibiri 1 ist zwar seit 2019 in Betrieb, aber noch nicht bei der vollen Kapazität von 38 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr angekommen: 2023 lieferte Gazprom 22,7 Milliarden Kubikmeter über die Pipeline – ungefähr ein Achtel der 185 Milliarden Kubikmeter, die der Konzern noch 2021 an seine europäischen Kunden inklusive der Türkei verkauft hatte. Die Unwucht in der Beziehung zeigt sich auch hier deutlich: Peking, das nicht unbedingt auf russische Energieträger angewiesen ist, handelt günstige Preise heraus, während Moskau sein Gas im Moment an niemand sonst loswerden kann. Laut einer Pro­gnose des russischen Wirtschaftsministeriums dürfte der Preis für das an China verkaufte Pipeline-Gas bis 2027 um 28 Prozent niedriger bleiben als der, den die verbleibenden europäischen Kunden wie Österreich und Ungarn zahlen.

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