Rosa von Praunheim gestorben: Er war seine eigene Schau

Geboren wurde er in Riga, als Holger Radtke, aber seinen Künstlernamen wählte er nach dem Stadtteil von Frankfurt, wo er aufwuchs – und Holger Mischwitzky hieß. In diesen beiden knappen Fakten über Rosa von Praunheim steckt eine unglaubliche Geschichte – so unglaublich, dass er sie selbst ­natürlich verfilmt hat, 2007 in „Meine Mütter“, einem seiner beiden besten Filme. Der andere ist fünfzehn Jahre älter, heißt „Ich bin meine eigene Frau“ und hat eine weitere höchst ambivalente Biographie zu bieten, die aber nur am Rande mit Rosa von Praunheims eigenem Leben zu tun hatte.

Obwohl „am Rande“ – das gab es nicht bei Rosa von Praunheim; bei ihm drehte sich alles um ihn selbst, und so drehte er denn auch: ichbezogen, höchst subjektiv, parteiisch. Im Dienst einer großen Sache: Emanzipation der Homosexualität. Gleich der erste Film, mit dem er Epoche machte, 1971, trug die Sache seines Regisseurs und Drehbuchautors bereits im Titel vor: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“. Das war nicht sein Coming-out als Filmemacher (das sexuelle hatte er da längst hinter sich), denn noch etwas früher im gleichen Jahr hatte er mit „Die Bettwurst“ Furore gemacht, einer Liebesgeschichte zwischen Frau und Mann im wildesten Stil der Nouvelle Vague, die Praunheim aber um einen provozierenden Dilettantismus bereicherte, der seinen Ausdruck darin fand, dass der Filmemacher nahezu alle technischen Aufgaben bei den Dreharbeiten selbst übernahm. Bei „Nicht der Homosexuelle ist pervers …“ hatte er dann schon einen Kameramann an seiner Seite: Robert van Ackeren, der später eigene Filme machen sollte, die ei­nen ästhetischen Oberflächenglanz besaßen, den Praunheim verabscheute.

Ein Kuss als Filmprovokation

Furore also mit „Die Bettwurst“, Furor dagegen mit dem „Homosexuellen“-Film. Es war damals ja noch Paragraph 175 StGB in Geltung, der homosexuelle Handlungen für strafbar er­klärte, und da erzählte einer auf der Leinwand von Liebe zwischen Männern und setzte dazu gar einen Kuss ins Bild. Ähnliche Aufmerksamkeit hat in der Nachkriegszeit wohl nur eine weitere Kuss-Filmszene erregt, und das war damals erst drei Jahre her: die zwischen einer Schwarzen (Nichelle Nichols) und einem Weißen (William Shatner) in der amerikanischen Fernsehserie „Star Trek“. Praunheim konnte sie nicht gesehen haben: „Raumschiff Enterprise“ kam erst 1972 ins deutsche Fernsehen.

Szenenbild aus dem Film „Neurosia – 50 Jahre pervers“ von und mit Rosa von Praunheim (rechts im Bild).Publicity Still

Wobei seine Selbstmythisierung sich bisweilen mit Fragen von Faktizität nicht weiter aufhielt. Eindrucksvoll bekam man das durch eine Poetikvorlesung vorgeführt, die Praunheim 2022, im Jahr seines achtzigten Geburtstags, in Leipzig gehalten hat. Da erläuterte er einige eigene Filmszenen, und wenn man ihm glauben mochte, dann war sein Weg vom Underground-Künstler zum Aushängeschild der deutschen Schwulenbewegung ein Spaziergang – dank seines Einfallsreichtums und Improvisationsvermögens. In Wahrheit hatte es immer wieder Rückschläge gegeben und bis in die Neunzigerjahre gedauert, bis Praunheim ein größeres Publikum fand, dem er dann auch mehr als filmästhetische Provokationen bot.

Die späte Erkenntnis über die eigene Herkunft

Diesen Punkt bezeichnet „Ich bin meine eigene Frau“. Darin porträtierte Praunheim die Ost-Berliner Travestie­legende Charlotte von Mahlsdorf. Dass deren Beharrungskräfte während der DDR-Zeit auch einer Stasi-Mitarbeit zu verdanken waren, konnte der Regisseur noch nicht wissen, doch sein Film hat dadurch nichts von seiner dokumentarischen Wucht verloren – weil Mahlsdorf zwar nicht offen über ihr Leben, aber über ihre Sexualität sprach. Es gibt keinen zweiten queeren Film aus dieser Zeit, der so schonungslos die Wunden der Wendezeit an Fragen der Toleranz in Liebesdingen offenlegt.

Und dann eben „Meine Mütter“, untertitelt mit „Eine Spurensuche in Riga“. Praunheim hatte von der Frau, die er fast sechzig Jahre lang für seine Mutter gehalten hatte, erfahren, dass sie ihn als Baby adoptiert hatte. Und erst, als Gertrud Mischwitzky 2003 starb, forschte er seiner ­eigentlichen Herkunft nach. Der Film dokumentiert die Ergebnisse: Seine wahre Mutter, Edith Radtke, brachte ihn in der lettischen Hauptstadt während der deutschen Besatzungszeit im Gefängnis zur Welt und gab das Kind zur Adoption frei. Nach der Flucht vor der Roten Armee verhungerte sie 1946 in einer ostdeutschen psychiatrischen Anstalt. Die Erschütterung Praunheims ist jeder Minute des Films anzumerken, gerade weil er sich um eine Sachlichkeit bemüht, die sonst nie seine Sache war.

Danach war der Blick der ganzen Filmwelt auf Rosa von Praunheim ein anderer; 2023 wurde „Meine Mütter“ in die Sammlung der israelischen Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem aufgenommen. Der langjährige Aktivist war ein Klassizist geworden, aber das währte nicht lang. In den fast noch zwanzig Jahren ungebrochener Aktivität seither hat Praunheim überwiegend wieder jene ebenso zorn- wie solidaritätsgetriebenen Schnellschüsse gedreht, mit denen er bekannt wurde. Erst auf der diesjährigen Berlinale hatte der in nur sechs Tagen abgedrehte Spielfilm „Satanische Sau“ Premiere – letzter von mehr als 150 Filmen Rosa von Praunheims zu Lebzeiten. Man darf gespannt sein, was er in den zehn Monaten seither noch gemacht hat. Sein heutiger Tod kommt überraschend. Man wird seinesgleichen nie mehr sehen.

Source: faz.net