Romano Prodi: „Alles, was Europa trennt, ist für Putin vorteilhaft“

Romano Prodi hat in Italien zweimal als Ministerpräsident regiert, 1996 bis 1998 und 2006 bis 2008. Dazwischen führte der heute 84-Jährige von 1999 bis 2004 als Präsident die EU-Kommission in Brüssel. Der Jurist und frühere Wirtschaftsprofessor gilt als einer der Väter des Euro.

ZEIT ONLINE: Herr Prodi, wie beurteilen Sie den Sieg der Rechten bei der Europawahl

Romano Prodi: Die Rechte hat Stimmen gewonnen, wie es vorausgesagt wurde. Doch die Zahl ihrer Abgeordneten im Europarlament ist nicht viel größer geworden. Die Mitte hat nach wie vor die Mehrheit. Wir müssen jetzt sehen, wie kompakt die Mitte sein wird. Das wahre Problem ist der politische Sturm in Deutschland und in Frankreich. Die beiden Länder waren immer der Motor der Europäischen Union.

Emmanuel Macron sucht durch die Neuwahl in Frankreich eine Revanche für seine Niederlage bei der Europawahl. Wir wissen nicht, ob sein Kalkül aufgehen wird. Es könnte also sein, dass in naher Zukunft Frankreich und Deutschland zwei gegensätzlichen politischen Lagern angehören. Das hat es in der Geschichte noch nie gegeben. Selbst als in Deutschland der Christdemokrat Helmut Kohl und in Frankreich der Sozialist François Mitterrand regierten, gab es einen Konsens über die Notwendigkeit einer Vertiefung der Europäischen Union. Man traf umfassende und tiefgreifende Abkommen. Bald aber könnte es zwischen Frankreich und Deutschland über Europa fundamentale Differenzen geben, die das nicht mehr möglich machen.

ZEIT ONLINE: Könnte das die gesamte EU gefährden?

Prodi: Nein, denn die Europäische Volkspartei bleibt stark. Die nicht autoritären Regierungen im Europäischen Rat haben eine Mehrheit. Es ist eine andere Mehrheit, aber es ist eine Mehrheit. Macron ist eine Wette eingegangen, er könnte sie auch gewinnen.

ZEIT ONLINE: Aber selbst wenn Macron gewinnt: Der Rechtsruck in den europäischen Staaten wird doch zu einer Schwächung Europas führen.

Prodi: Mal ehrlich: Während der Coronapandemie war Europa noch einig. Danach sind die europäischen Staaten immer getrennt marschiert. Denken Sie nur daran, wie unterschiedlich letzthin Scholz und Macron bei ihren Besuchen in Peking aufgetreten sind. Da kann man nicht sagen, dass Europa geschlossen ist. Man muss jetzt sehen, wie sich die Mehrheiten im Parlament und im Rat bilden lassen.

ZEIT ONLINE: Sie glauben, dass die Mitte hält?

Prodi: Das hängt davon ab …

ZEIT ONLINE: Wovon? 

Prodi: Von der Kompaktheit der Mehrheit selbst. Es wird im Europaparlament geheime Abstimmungen geben, und geheime Abstimmungen sind der Ort der Rache. Bei der vorigen Wahl hat Ursula von der Leyen viele Stimmen verloren, die sie auf dem Papier hatte. Ich glaube, dass sie diesmal bei der ersten Abstimmung ohne vorhergehende lange Verhandlungen nur schwerlich eine Mehrheit als EU-Kommissionspräsidentin finden kann.

ZEIT ONLINE: Die EVP und von der Leyen müssten also auch auf die Grünen zugehen?

Prodi: Sie müssen auf dem ganzen Feld spielen. 

ZEIT ONLINE: Die Sozialdemokraten sagen, sie würden von der Leyen nicht unterstützen, wenn sie sich mit Rechtsaußen einlässt …

Prodi: Eben, es gibt von allen Seiten Vetos.

ZEIT ONLINE: Aber sind solche Vetos eine kluge Entscheidung?

Prodi: Nein, aber es gibt sie. Jetzt muss man einfach die Flexibilität der verschiedenen Akteure testen. 

ZEIT ONLINE: Ist die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni eine überzeugte Europäerin?

Prodi: Meloni hat kürzlich eine leidenschaftliche Rede bei einer Veranstaltung der rechtsextremen europäischen Partei Vox gehalten, nachdem sie von der Leyen über Monate hofiert hatte. Meloni hat also zwei Gesichter. Sie spielt beidhändig. 

ZEIT ONLINE: Aber mit welchem Ziel? Was hat sie in Bezug auf die EU vor? 

Prodi: Bisher hat sie ein Projekt der Nützlichkeit verfolgt, und das hat sich für sie gelohnt. Ich beschreibe die Dinge so, wie sie sind. Was sie wirklich denkt, das weiß ich nicht. Wir sehen alle das Gleiche: Sie pflegt ein enges Verhältnis zu von der Leyen und gleichzeitig kehrt sie zu der autoritären Zeit zurück, in der sie geboren wurde und aufgewachsen ist.

ZEIT ONLINE: Vertrauen Sie Meloni?

Romano Prodi hat in Italien zweimal als Ministerpräsident regiert, 1996 bis 1998 und 2006 bis 2008. Dazwischen führte der heute 84-Jährige von 1999 bis 2004 als Präsident die EU-Kommission in Brüssel. Der Jurist und frühere Wirtschaftsprofessor gilt als einer der Väter des Euro.

ZEIT ONLINE: Herr Prodi, wie beurteilen Sie den Sieg der Rechten bei der Europawahl

Romano Prodi: Die Rechte hat Stimmen gewonnen, wie es vorausgesagt wurde. Doch die Zahl ihrer Abgeordneten im Europarlament ist nicht viel größer geworden. Die Mitte hat nach wie vor die Mehrheit. Wir müssen jetzt sehen, wie kompakt die Mitte sein wird. Das wahre Problem ist der politische Sturm in Deutschland und in Frankreich. Die beiden Länder waren immer der Motor der Europäischen Union.

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