Roman | „Let’s talk about feelings“ von Leif Randt: In diesem Roman sind Gefühle Fehlanzeige

Wer schon einmal Leif Randt gelesen hat, weiß um die Zumutung, die seine Texte darstellen. Nicht nur sein seltsamer Liebesroman Allegro Pastell (2020) verwirrte Kritiker und Gemüter, wurde gleichwohl für den Deutschen Buchpreis und für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Selten entkommt man der Lektüre ohne ein unbehagliches Gefühl, manchmal verspürt man gar eine Art Wut. Die Welten, in die der Autor uns drängt, wirken zugleich gegenwärtig und vertraut und doch – so scheint es – etwas verschoben, als läge über den Menschen ein stillschweigendes Tabu.

In seinem neuen Roman Let’s talk about feelings folgen wir Marian, einem Boutiquebesitzer in West-Berlin, Anfang vierzig, der mit dem Tod seiner ehemals berühmten Mutter konfrontiert ist. Doch selbst diese zu Beginn entworfene Situation erscheint nicht so eindeutig, wie es der Titel des Romans suggeriert. Denn Marian schweigt sich meist aus. Viel erfahren wir von seiner Trauer nicht.

Bezeichnend ist hierfür das erste Kapitel. So scheitert der Protagonist zu Beginn des Romans, in dem die Asche seiner Mutter vom Deck eines ehemaligen Partyboots auf dem Wannsee verstreut werden soll, daran, eine Trauerrede zu halten. Den Text formuliert ihm sein Freund Piet, ein Werbetexter, der „aufgeräumte Sätze“ aus seinen Notizen formt, „die Marian im Anschluss noch einmal mit sich und seinen Gefühlen in Einklang bringen sollte“.

Das steht programmatisch für den Umgang mit Erlebtem überhaupt. Diese Unfähigkeit, Gefühle auszudrücken und sie in ihrer Brutalität, die die Figuren in Randts Welten miteinander teilen, zuzulassen. Aber selbst diesen Befund deutet der Roman nur an. Die Erzählinstanz hält sich mit Einsichten in die menschliche Innerlichkeit so sehr zurück, dass man zuweilen den Eindruck bekommt, etwas stimme nicht – und dass uns etwas verschwiegen werden soll.

Immer wieder finden sich bei Leif Randt kurze Sätze

Diese Ahnung ist es auch, die die Lektüre emotional aufwühlend macht. Der Erzähler deutet immer wieder kurz auf ein tatsächliches Gefühlsleben hin. Immer wieder finden sich kurze Sätze, in denen sich Wut, Trauer oder Angst spiegeln. Mit puristischen Anmerkungen, die weder den Erzähler noch die Figuren dazu veranlassen, diese Gefühle tatsächlich zu reflektieren, werden wir alleingelassen. Dafür verrät der Erzähler uns an einer Stelle, dass Marians Gefühle „derart gemischt waren, dass sie sich gegenseitig schon wieder aufhoben“.

Die scheinbar gewöhnlichen und unproblematischen Sätze wirken stellenweise wie eine Apologie dafür, dass diese Gefühle nicht tiefgehend verhandelt werden; so, als hätte der Autor geahnt, dass man sich darüber aufregen würde. Vielleicht nicht ohne Grund äußert auch eine Kritikerin, die Randt nebenbei einführt, dass ein Kunstwerk „eine gähnende Leere“ besäße und „in der Mitte hohl“ sei. Nirgendwo lässt Randt eine Identifikation, geschweige denn Mitleiden für eine Sekunde zu. Warum auch? Schließlich wirken die relevanten Figuren so, als seien sie in einer Mittelmäßigkeit angekommen, in der sie keine wirkliche Passion mehr besitzen.

Aber gerade darin zeigt sich die Genialität dieses Romans. Es ist nicht so, dass Kälte ihn durchzöge. Die Figuren, die Randt entwirft, rufen im Verlauf der Handlung Affekte hervor. Deren scheinbare Abwesenheit zu verfolgen, setzt genau jene Gefühle frei, die diese Figuren sich selbst versagen. Selten begegnet man Passagen, die nicht Verzweiflung oder Wut auslösen – und zwar gerade deshalb, weil man mit schmerzhaften Situationen konfrontiert wird, die nicht reflektiert werden wollen.

Diese bewusst gesetzte Reflexionsleere führt dazu, dass wir selbst davon getroffen werden. Der Schein entspannter Figuren, die ein ausgeglichenes Verhältnis zu ihrem Leben, ihren sozialen Beziehungen und ihren Gefühlen zu haben vorgeben, beleuchtet das Gegenteil: Die Figuren wollen so sehr dieses mittelmäßige Leben führen, von dem erzählt wird, dass das bloße Zusehen ihr Scheitern offenbart. Es geht ihnen abhanden; in ihnen lebt das Leben nicht. Das aber setzt die profane Oberfläche voraus, die der Autor bewusst als langweilig-alltäglich inszeniert.

Wer glaubt, Randts Texte seien lediglich eine Spielart der Popliteratur, verkennt deren Gehalt. Dass er uns immer wieder die neuesten Errungenschaften der Gegenwart vorführt – Tiktok, ChatGPT, Markenkleidung –, überdeckt das zugrunde liegende Leiden, das viele seiner Figuren teilen. Die klaffende Wunde, die die brüchige Stille von Marians Trauer aufreißt, illuminiert sich als Spannung zwischen dem Wunsch nach einem ausgeglichenen Leben, wie man es sich mit Anfang vierzig erträumen mag, und dem Leben selbst, das nicht in der Mittelmäßigkeit des abgeklärten Selbst, sondern in den exzessiven Erfahrungen von Trauer, Einsamkeit und Glück schlummert. Das Leben geht den Figuren deshalb gerade dort abhanden, wo der Exzess sich nicht mehr einstellt oder bewusst verweigert wird.

Das Buch endet mit einem Sexualakt

Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, reist der Protagonist des Romans nach Japan, Indien und Teneriffa, um das Glück dann vor der eigenen Haustür zu vermuten. Seine Mutter und die Trauer um sie sind dabei ständige Begleiter, ein sozialer Störfaktor. Selbst die alltäglichsten Handlungen lesen sich wie ein Versuch, mit diesem Verlust umzugehen

Bekanntermaßen deutet sich bei Randt das immer schon gebrochene Versprechen eines besseren Lebens oft in der Liebe an. Nicht zufällig endet Allegro Pastell mit dem berühmten „Ich liebe dich“. Lets talk about feelings endet mit einem Sexualakt, dem Blick auf den nackten Bauchnabel – Symbol von Mutterschaft im doppelten Sinn – und der Überführung des vergänglichen Glücks in nachträgliche Dankbarkeit: „Falls du mich eines Tages nicht mehr leiden kannst“, sagt Marian, „werde ich diesen Tag trotzdem in guter Erinnerung behalten.“

Let’s talk about feelings Leif Randt KiWi 2025, 320 S., 24 €

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