Roberto Saviano: „Ich hätte mich geschämt, Teil dieses Meloni-Italiens zu sein“

Wenige Monate vor der Frankfurter Buchmesse, auf der Italien Gastland sein wird, sorgt eine Nicht-Einladung von Roberto Saviano für Wirbel. Saviano gehört seit seinem Mafia-Enthüllungsbuch Gomorrha zu den bekanntesten zeitgenössischen italienischen Autoren. Trotzdem war der regierungskritische Autor in der italienischen Delegation für die Frankfurter Buchmesse ursprünglich nicht berücksichtigt worden. Er kommt trotzdem, aber nicht für Italien, sondern auf Einladung seines deutschen Verlags. Italien ist bei der diesjährigen Ausgabe der Buchmesse Ehrengast und will dort mit rund 100 Autoren vertreten sein. Dass Roberto Saviano bewusst ignoriert wurde, sorgte im italienischen Kulturbetrieb für Kritik. Aus Protest zogen sich mehrere bekannte Autoren aus der Delegation zurück.

der Freitag: Herr Saviano, wie finden Sie es, dass Sie von italienischer Seite nicht zur Frankfurter Buchmesse eingeladen wurden?

Roberto Saviano: Ich hätte mich sehr geschämt, wenn ich Teil der Delegation dieser Regierung auf der Frankfurter Buchmesse gewesen wäre. Einer rechtsextremen Regierung, die es im Ausland, durch die Ablenkung der Medien und den Opportunismus der Politik, auf unglaubliche Weise schafft, sich als gemäßigt rechts darzustellen. Das Italien, das auf der Buchmesse zu Gast ist, ist ein Italien, das den Kampf gegen die Mafia aufgegeben hat, das die Bildung nicht finanziert, das die Mittel für die Forschung und die öffentliche Gesundheit kürzt. Es ist ein Italien, das diejenigen bestraft, die in Schwierigkeiten sind, das die Vielfalt an den Rand drängt, das die italienische Professionalität und Exzellenz immer weiter verkümmern lässt. Und das hart mit denjenigen umspringt, die durch Armut, Kriege, Diskriminierung und Klimawandel gezwungen sind, Europa zu erreichen, um ihr Leben zu retten. Diese Regierung, die keine Gelegenheit auslässt, Andersdenkende zu kritisieren, zu verklagen und sogar zu gefährden, vertritt mich überhaupt nicht.

Wie wurde Ihnen von offizieller Seite begründet, dass gerade Sie, einer der berühmtesten Schriftsteller des Landes, zu Hause bleiben soll?

Mir erklärt sich diese Regierung nicht. Sie greift an, sie verklagt. Das ist die einzige Art und Weise, wie sie kommuniziert.

Wo sehen Sie die wahren Motive für den Ausschluss?

Ich glaube, dass diese Regierung, angefangen bei der Ministerpräsidentin bis hinunter zum Kulturminister, ein ernsthaftes Problem mit Kritik hat. Der wahre Grund ist, dass ich nicht gemocht werde, dass um mich herum verbrannte Erde hinterlassen wird, ohne zu erkennen, dass es für alles eine Grenze gibt und dass sie diese Grenze weit überschritten haben.

Wie reagieren Sie darauf?

Ich wurde von meinem deutschen Verleger, dem Hanser-Verlag, vom deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen ZDF/ARD, von deutschen Buchhändlern, Verlegern und Übersetzern eingeladen, die über das Fehlen meines Namens in dem von Italien vorgeschlagenen Programm besorgt waren. Und schließlich wurde die Einladung von Jürgen Boos, dem Direktor der Buchmesse, bekräftigt, der erklärte, dass Kultur pluralistisch und fern von Zensur sein muss. Ich danke Direktor Boos und allen, die mir in diesem Moment beigestanden haben. Ich danke Paolo Giordano, Sandro Veronesi, Francesco Piccolo, Antonio Scurati, die, als sie von der Zensur meines Namens erfuhren, ankündigten, dass auch sie nicht in der italienischen Delegation anwesend sein würden, sondern dass sie persönlich, auf eigene Faust, kommen würden. Es ist eine Brüskierung für diese Regierung und eine internationale Schande.

Wie sehen Sie die Lage in Italien allgemein, wie groß ist der politische Einfluss auf Literatur und Kultur unter Meloni geworden?

Alle Personen in dieser Regierung, die behaupten, dass sie in den letzten Jahren aufgrund ihrer politischen Ausrichtung an den Rand gedrängt wurden, waren in Wirklichkeit jahrzehntelang in führenden Positionen tätig. Der derzeitige Kulturminister (Gennaro Sangiuliano) war jahrelang stellvertretender Direktor von TG1, dann Direktor von TG2 beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen und sitzt nun in der Regierung. Wenn das keine Marginalisierung ist! Das Gleiche gilt für Ministerpräsidentin Giorgia Meloni: Sie ist seit Anfang der 2000er Jahre in Spitzenpositionen in der Politik tätig, sie ist nicht das neue Kind im Block, sondern seit Langem eine mächtige Frau. Jetzt veranstalten sie ein regelrechtes Kräftemessen gegen jeden, der kritische Positionen vertritt. Aber es ist ein Kampf, der sie schwächt. Und ehrlich gesagt bleibt uns nichts anderes übrig, als zu beobachten, wie sie allein, inmitten einer gescheiterten Politik, von Unzulänglichkeiten und starken Widersprüchen, den an den Wahlurnen gewonnenen Konsens aufzehren. Bald wird jedem klar werden, aus welcher Substanz diese machthungrigen, am Sessel klebenden Rechtsaußen-Politiker bestehen, die keine politische Vision haben, sondern nur eine Wut, die sie auffrisst.

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