Es hat etwas von Aktionismus, was angesichts der schlechten Wirtschaftslage gegenwärtig im Berliner Regierungsviertel passiert. Einen Tag nach der unerfreulichen Wachstumsprognose des Internationalen Währungsfonds und knapp eine Woche vor dem Industriegipfel im Kanzleramt veröffentlichte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch seine Vorschläge für ein „Update für die Wirtschaft – Impuls für eine Modernisierungsagenda“. Das 14-seitige Papier kam kurz vor Habecks Abflug in die indische Hauptstadt Neu-Delhi, wo bis Samstag sowohl die Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft als auch deutsch-indische Regierungskonsultationen stattfinden.
Zentraler Punkt in Habecks Vorschlägen ist ein „Deutschlandfonds“ zur Förderung von Investitionen. „Wir sollten Investitionen mit einer unbürokratischen Investitionsprämie von zehn Prozent fördern – und zwar für alle Unternehmen, gerade auch Handwerksbetriebe sowie kleine und mittelständische Betriebe“, schreibt der Grünen-Politiker. Für eine Investition von 100.000 Euro soll der Staat also eine Prämie von 10.000 Euro zahlen, die restlichen 90.000 könnten die Betriebe wie gehabt über die Jahre steuerlich abschreiben. Einer allgemeinen Senkung der Steuersätze für Unternehmen erteilt Habeck eine Absage. Begründung: Diese reize zu wenig Investitionen an.
Die Investitionsprämie soll auf fünf Jahre befristet sein. Der schon verschiedentlich geförderte Gebäudesektor soll ausgenommen sein. Die Prämie soll im Jahr der Investition mit der Steuerschuld des Unternehmens verrechnet werden. Macht ein Unternehmen keinen Gewinn, soll es sie als Gutschrift bekommen.
Nicht mehr aus dem laufenden Haushalt
Wie viele Milliarden der Staat für die Prämie zuschießen müsste, lässt Habeck in dem Papier und auch sein Sprecher auf Nachfrage offen. Klar ist nur, dass sie nicht aus dem laufenden Haushalt finanziert werden soll. „Das größere Wirtschaftswachstum würde dafür sorgen, dass die Staatsverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung nur moderat ansteigen würde“, schreibt der Wirtschaftsminister.
Habeck hatte schon in der Vergangenheit immer wieder eine Lockerung der Schuldenbremse gefordert, war aber sowohl bei der FDP als auch beim CDU-Chef Friedrich Merz daran gescheitert. Mit einem Anflug von Trotz schreibt er in dem Papier: „BDI, EZB, OECD, Bundesbank und die überwältigende Mehrheit der Ökonomen plädieren für eine zeitgemäße Anpassung der Fiskalregeln.“
Staatliche Investitionen für Verkehr, Bildung und Digitales
Ein Preisschild bekommt dagegen die zweite Säule des Deutschlandfonds, der Ausbau der staatlichen Investitionen. Mit Verweis auf Zahlen unter anderem des Industrieverbands BDI setzt Habeck für den Bereich Verkehr 100 Milliarden Euro an, für Bildung und Forschung 70 Milliarden und für die Digitalisierung 60 Milliarden Euro, zusammen also 230 Milliarden Euro. Auch der Ausbau des Stromnetzes soll „perspektivisch“ über den Deutschlandfonds mitfinanziert werden. Wie der Kanzler will auch Habeck eine Senkung der Netzentgelte, um die Betriebe zu entlasten.
Auch die SPD wirbt mit dem Schlagwort Deutschlandfonds für mehr schuldenfinanzierte Investitionen. Das Thema dürfte im Wahlkampf eine große Rolle spielen. Olaf Scholz hatte in seiner Regierungserklärung vorige Woche zur Überraschung auch seiner Kabinettsmitglieder für den 29. Oktober ein Gespräch im Kanzleramt mit Industrie und Gewerkschaften für einen „Pakt“ zur Sicherung von Arbeitsplätzen angekündigt. Hintergrund sind die Stellenabbaupläne in zahlreichen Unternehmen, etwa beim Autohersteller Volkswagen und beim Zulieferer ZF.
Zu stark von der Industrie abhängig?
Die Aussage im Vorwort „Wir sind zu einseitig abhängig vom Erfolg der traditionellen Industriebranchen“ dürfte als Replik auf den Industriegipfel des Kanzler zu verstehen sein. Zahlreiche mittelständisch geprägte Wirtschaftsverbände hatten sich darüber beklagt, dass die Regierung zu sehr um Industriegrößen wie VW, Thyssenkrupp und BASF kreise.
Anders als bei der Investitionsprämie bleibt Habecks Papier in vielen anderen Punkten vage. Es sei eine „drastische Reduzierung der Datenschutzbürokratie nötig“, heißt es zum Beispiel. Zum in der Wirtschaft viel kritisierten Lieferkettengesetz plädiert er für ein „Whitelisting von Ländern mit rechtsgleichen Standards“. Generell brauche es „weniger Berichtspflichten, dafür mehr Eigenverantwortung bei der Einhaltung von Regeln und dann klare und konsequent durchgesetzte Sanktionen“. Dass Frauen mehr arbeiten, will er durch eine bessere steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten erreichen.
Klimaziele bleiben im Blick
Zum Thema Klimaschutz erinnert Habeck daran, „Europa und Deutschland haben sich hier mit Zustimmung aller demokratischen Kräfte für ambitionierte Ziele entschieden“. In der Opposition, aber auch in der Wirtschaft waren zuletzt Überlegungen lauter geworden, ob Deutschland sich nicht wie andere Industrieländer mehr Zeit bis zum Erreichen der Klimaneutralität geben sollte. Habeck mahnte, die Wirtschaft brauche Verlässlichkeit. „So sollten wir den Ausstieg aus dem fossilen Verbrennungsmotor nicht immer wieder in Frage stellen.“
An einer Stelle räumt er aber auch übertriebenen Ehrgeiz ein: „Für grünen Wasserstoff beispielsweise wurden so strenge Kriterien vereinbart, dass der Hochlauf durch sie blockiert wird. Das ist nicht richtig und ich setze mich für eine Änderung ein.“ An der gezielten Subventionierung einzelner Unternehmen will er festhalten: „Instrumente wie die Klimaschutzverträge sind unerlässlich.“