Roadkrimi | „America Fantastica“: Satire gen den Trumpismus

Im Jahr 2001 hat der amerikanische Schriftsteller Tim O’Brien seinen letzten Roman veröffentlicht. Nun erscheint sein neues Buch „America Fantastica“ – eine bitterböse Satire auf die amerikanische Gesellschaft


Im Roman wird die USA von einer Epidemie der anderen Art geplagt: dem chronischen Lügen

Foto: George Rose/Getty Images


Bankraub ist bekanntlich eine Sache für Dilettanten, echte Profis gründen eine Bank. Bertolt Brechts Aphorismus könnte Tim O’Briens America Fantastica vorangestellt sein. Denn an dilettantischen Bankräubern (und anderen Kriminellen) herrscht kein Mangel in diesem Roman, angefangen mit Boyd Halverson, der zum Auftakt eines durchgeknallten Roadtrips die Community National Bank in seinem Heimatörtchen Fulda, Kalifornien, überfällt und sich mit knapp 81.000 Dollar sowie der Kassiererin Angie Bing, die er als Geisel nimmt, aus dem Staub macht. Die beiden machen ordentlich Strecke auf den kommenden 528 Seiten, die wilde Fahrt geht von Mexiko über Los Angeles und Minnesota zurück nach Fulda.

Ziemlich bald erfahren wir, dass Boyd Halverson alles andere als ein typischer Bankräuber ist. Das fängt damit an, dass er selbst 72.000 Dollar auf dem Konto der Bank hatte. Nicht die einzige Merkwürdigkeit: Boyd weiß eigentlich gar nicht so recht, was er mit dem Geld anstellen will, und die vermeintliche Geisel Angie entpuppt sich als heiratswütige Klette, die er nicht wieder loswird. Außerdem bleibt Boyds Tat ohne rechtliche Konsequenzen. Denn Douglas und Lois Cutterby plündern ihre eigene Bank seit Jahrzehnten aus und haben keinerlei Interesse daran, dass die Polizei die Nase in ihre Angelegenheiten steckt. Später werden sie sogar einen weiteren Überfall auf ihre Bank inszenieren – der grandios schiefgeht.

Auch wenn Boyd und Angie nicht vor dem Gesetz fliehen müssen, werden sie dennoch verfolgt, und das gleich doppelt. Zum einen ist da Randy Zapf, Angies Verlobter, ein Kleinkrimineller, der davon träumt, einmal so berüchtigt zu sein wie Charles Manson, und bei seiner ziemlich planlosen Suche nach Angie etliche Leichen hinterlässt. Ebenfalls auf den Fersen der Bankräuber: Henry Speck, ein sexsüchtiger, skrupelloser Aufräumer, der im Auftrag von Boyds früherem Stiefvater, einem Raubtierkapitalisten (und damit der übelste Verbrecher von allen), dafür sorgen soll, dass Boyd ihm nicht zu nahe kommt.

Spinner aller Art finden Gehör

Die Verwicklungen und Verstrickungen dieser desperaten Figuren hätte sich der Meister der Schnoddrigkeit, Elmore Leonard, nicht besser ausdenken können, doch Tim O’Brien nutzt die Krimi-Elemente vor allem als Versatzstücke, um eine bitterböse, teilweise brüllend komische Satire auf die erste Amtszeit von Donald Trump zu schreiben.

Die Handlung umspannt rund zwölf Monate, von August 2019 bis ins Covid-Jahr 2020. Und schon vor Covid, so diagnostiziert O’Brien, hat eine andere Epidemie die USA gepeinigt: Mythomanie, also chronisches Lügen. Die Krankheit breitet sich rasant im Land aus, bald regieren Chaos und Gewalt; Verschwörungsfanatiker, Rechtsradikale und Spinner aller Art finden plötzlich Gehör – und nicht nur auf X und Telegram.

Eine ironische Volte des Romans: Ausgerechnet der kümmerliche Antiheld Boyd Halverson erweist sich als „bester“ Lügner von allen. Er hat alles erfunden – seinen Namen, seine Vergangenheit und die Geschichten, für die der ehemalige Star-Journalist fast mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde. „Die Wirklichkeit ist ein Ungeheuer“, sagt Boyd, und wenn wir erfahren, warum, wird aus der schrillen und überdrehten Satire für ein paar Augenblicke ein großes Drama.

Schriftsteller Tim O’Brien, immerhin bereits 78 Jahre alt, hat sich viel Zeit gelassen mit America Fantastica. Der Autor ist in den USA berühmt, seine Kurzgeschichtensammlung Was sie trugen, in der er seine Erfahrungen als Soldat im Vietnamkrieg verarbeitet, gehört zur Pflichtlektüre an vielen Schulen. Seit Waren wir nicht glücklich aus dem Jahr 2002 ist von ihm kein Roman mehr erschienen. Jetzt, angesichts einer Welt, die auf dem Kopf steht, hat er sich wieder berufen gefühlt, zu schreiben. Und das ist ein Glücksfall.

Wie es O’Brien es schafft, uns die Verwerfungen unserer Zeit vor Augen zu führen und dabei weniger an unsere moralische Integrität zu appellieren, als vielmehr auf unser Zwerchfell zu zielen, das ist meisterlich. Aber dieses Lachen – je mehr absurde Kapriolen die Geschichte schlägt, desto mehr wird es zu einem hysterischen Akt der Selbstverteidigung.

America Fantastica Tim O’Brien Gregor Hens (Übers.), Harper Collins 2024, 528 S., 24 €

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