Potsdam liegt direkt vor den Toren Berlins. Die Glienicker Brücke, auf der im Kalten Krieg Spione ausgetauscht wurden, verbindet die Hauptstadt des Bundes mit der des Landes Brandenburg. Auf der einen Seite ringen SPD, Grüne und FDP seit Wochen und noch ein paar Tage mehr als gedacht um den Haushaltsentwurf 2025 und ein „Dynamisierungspaket“ für die deutsche Wirtschaft.
Auf der anderen Seite der Havel regieren SPD, CDU und Grüne relativ einträchtig miteinander, im Vergleich zur Ampelkoalition geht es dort nahezu geräuschlos zu. Doch nun gab es auch dort einen Knall, für den das Verfassungsgericht des Landes gesorgt hat, indem es vergangenen Freitag rot-schwarz-grüne Notlagenkredite von 2 Milliarden Euro für die Jahre 2023 und 2024 als unzulässig verwarf.
Doch in der SPD-Bundestagsfraktion hat man davon offenkundig nichts mitbekommen. Der Seeheimer Kreis, die Parlamentarische Linke und das Netzwerk Berlin fordern zum Wochenstart die Feststellung einer Haushaltsnotlage, damit der Bund mehr Kredite aufnehmen kann.
Die Geduld der FDP ist begrenzt
Auch wenn dieser Schuldennotruf fast schon zum sozialdemokratischen Traditionskanon gezählt werden kann (nenn mir etwas, was nicht läuft, und wir fordern einen Notlagenbeschluss), ist diese flügelübergreifende Stellungnahme bemerkenswert: Die FDP hat ihren Verbleib in der Koalition vom Einhalten der Schuldenregel abhängig gemacht, der Bundeskanzler hat dies öffentlich akzeptiert, und der Blick nach Brandenburg zeigt, was passiert, wenn ein Notlagenbeschluss nicht sauber begründet werden kann.
Natürlich könnten die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion auch auf den zweiten Nachtragshaushalt 2021 schauen, den das Bundesverfassungsgericht vergangenen Herbst verworfen hat und damit die Ampelkoalition in eine schwere Krise stürzte. „Angesichts der außergewöhnlichen Notsituation in der Ukraine und in den deutschen Flutgebieten sollten wir auch in diesem Jahr die Ausnahmeregelung der Schuldenbremse nutzen“, formulierten die drei SPD-Gruppen.
Das erstaunt mehrfach: Für dieses Jahr hat die Koalition einen Haushalt im Rahmen der Schuldenregel aufstellen können – trotz aller Belastungen, die mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine verbunden waren und sind. Zur Aufrüstung der lange vernachlässigten Bundeswehr hat man – mit freundlicher Unterstützung der Union – einen 100 Milliarden Euro schweren Sonderkredittopf an der Schuldenbremse vorbei geschaffen.
Ausnahmen möglich
Die Regelung im Grundgesetz ist klar: Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können die Kreditobergrenzen aufgrund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden.
So katastrophal die jüngste Flut für einzelne Betroffene gewesen ist, so wenig dürfte sie geeignet sein, die staatliche Finanzlage „erheblich“ zu beeinträchtigen. Und auch der von Russland ausgehende Krieg ist mit jedem Jahr, das seit dem Überfall ins Land geht, weniger geeignet, eine finanzielle Ausnahmesituation zu begründen.
Erschwerend kommt im Sinne der Notlagenbefürworter hinzu, dass auf internationaler Ebene große Pakete zugunsten des überfallenen Landes geschnürt werden, weil damit Deutschland seine bilaterale Hilfe zurückfahren kann. Die EU hat eine Ukraine-Fazilität eingerichtet, mit der die Ukraine bis zu 50 Milliarden Euro von 2024 bis 2027 erhalten soll. Die sieben großen Industrienationen (G 7) wollen dem Land mithilfe der Erträge aus den eingefrorenen russischen Vermögenswerten alsbald in ähnlicher Größenordnung zur Seite stehen.
Wenn die Regierung dem Druck der SPD-Fraktion nachgäbe, ginge sie somit erhebliche Risiken ein. Nach der ersten Klatsche aus Karlsruhe wird sich Finanzminister Christian Lindner (FDP) kaum darauf einlassen. Olaf Scholz trägt seinen Kurs mit. Eine SPD, die „ihren“ Bundeskanzler nicht stützt, könnte ihn letztlich stürzen, wenn es am Ende hart auf hart zugeht und die Koalition über der Frage „Notlage oder keine Notlage“ kollabiert.