Mord verjährt nicht, und schon gar nicht das Morden am Fließband in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern. Zu denen gehörte das KZ Stutthof, in ihm arbeitete die heute 99-jährige Irmgard F. als Sekretärin in unmittelbarer Nähe des Lagerkommandanten Paul Werner Hoppe; sie organisierte dessen gesamten Schriftverkehr. Ende 2022 war sie vom Landgericht Itzehoe wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 10.000 Fällen zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Sie hatte zwar von Reue gesprochen, aber dennoch Revision eingelegt. Jetzt hat der Bundesgerichtshof das Urteil bestätigt.
Dass ihre Verteidiger argumentierten, Irmgard F. habe gar nicht gewusst, was im Lager vor sich ging, war nicht nur deshalb grotesk, weil sie durch den Schriftverkehr in alles eingeweiht war, sondern auch, weil der Gestank des Krematoriums über dem Lager lag und dessen Schornstein von überall gesehen werden konnte. Der 96-jährige Nebenkläger Abraham Koryski, der heute in Haifa lebt, bezeugte es. Irmgard F. wusste, wofür sie arbeitete.
Die „Argumente“ sind nicht neu, schon beim Frankfurter Auschwitz-Prozess wurden sie vorgebracht. Da behaupteten Wachmänner, die an der Rampe die Opfer selektierten, sie hätten nicht gewusst, wofür. Aber man weiß auch von KZ-Ärzten und anderen, dass sie ihren Job kündigten, als sie sahen, worin er bestand. Damit gefährdeten sie sich nicht, und auch die Sekretärin hätte kündigen können.
Interessanter war ein anderes Argument der Verteidiger: Irmgard F. habe doch nur als Schreibkraft gearbeitet. Ihre Arbeit sei „neutral“ gewesen, habe sich von der Arbeit einer Bankangestellten nicht unterschieden. Das sahen die Richter anders. Für den Bundesgerichtshof sind KZs Teil einer „industriellen Tötungsmaschine“. Wer da auch nur als Stenotypistin mittut, ist nicht bloß Mitläuferin, sondern funktioniert für den Gesamtzweck. Der bestand in der „Fabrikation von Leichen“, um mit dem Philosophen Martin Heidegger zu sprechen. Den Opfern wurde nicht nur das Leben genommen, sondern noch ums Sterben, den eigenen Tod, wurden sie in einer Massenabfertigung anonymen Verendens betrogen.
Frau F. durfte nicht funktionieren, ohne zu fragen, wofür. Niemand darf das. Auch heute übrigens nicht.