Es war ein Verbot, das für viele zu durchsichtig war, um geglaubt zu werden. Anfang September kündigte die Regierung Nepals an, rund 26 Social-Media-Plattformen, inklusive Instagram und Facebook, zu sperren. Offiziell hieß es, die Anbieter hätten neue Registrierungsauflagen nicht eingehalten.
Für viele junge Menschen war der Vorwand zu billig. Online hatte sich schon seit Monaten Frust gestaut: Korruption, Vetternwirtschaft, das groteske Zurschaustellen von Luxus durch Politiker-Kinder – ein Sohn dekorierte seinen Weihnachtsbaum mit Louis-Vuitton-Taschen und Designer-Schuhen. Für die Mehrheit aber schrumpften die Chancen. Mit über 40 Prozent der Bevölkerung im Alter zwischen 16 und 40 wurde der Schritt weithin als Repression wahrgenommen.
Am 8. September trat eine neue Bewegung auf die Bühne: Junge Menschen versammelten sich am Maitighar Mandala, Kathmandus zentralem Protestplatz; quasi Nepals Äquivalent zu Ägyptens „Tahrir Square“, und kurz darauf in Städten im ganzen Land. Offiziell sollte es um Korruption und die sogenannten „Nepo-Babys“ gehen. Doch es wurde mehr: ein Generationenaufstand.
Vom Maitighar Mandala zog die Menge in Richtung Parlament, nur zwei Kilometer entfernt. Barrikaden wurden eingerissen, Steine flogen. Schon am Abend des 8. September waren 19 Demonstranten tot, erschossen mit scharfer Munition. Am nächsten Tag folgte eine landesweite Eskalation: Regierungsgebäude und Privathäuser von Ministern wurden in Brand gesteckt. Offiziell starben mindestens 72 Menschen, über 2.100 wurden verletzt. Zivilgesellschaftliche Gruppen sprechen teils von noch höheren Zahlen. Tausende wurden festgenommen.
Die neue Premierministerin verspricht Neuwahlen – abseits von Discord
Der politische Einschlag kam sofort. Premier K. P. Sharma Oli trat zurück, das Parlament wurde aufgelöst. In der entstandenen Lücke verhandelten Armee, Präsidialamt und selbsternannte Vertreter der Proteste über eine Übergangslösung. Auf dem Chat-Dienst Discord organisierten Aktivisten offene Audiodebatten mit zehntausenden Zuhörern, parallel liefen Youtube-Livestreams. In mehreren Ad-hoc-Abstimmungen kristallisierte sich Sushila Karki, frühere Oberste Richterin, als Konsenskandidatin heraus. Wer genau an diesen Abstimmungen teilgenommen hat, das ist bisher unklar. Karki wurde am 12. September als erste Premierministerin Nepals vereidigt.
Karkis Übergangsregierung kündigte Bargeldhilfen für Hinterbliebene, kostenlose Behandlung für Verletzte und einen nationalen Trauertag am 17. September an. Die Toten wurden offiziell als „Gen-Z-Märtyrer“ gewürdigt. Zudem setzte die Regierung eine Untersuchungskommission unter Leitung eines ehemaligen Korruptionsrichters ein, mit dem Auftrag, Polizeigewalt und Vandalismus aufzuarbeiten. Und: Im März kommenden Jahres soll es Neuwahlen geben, diesmal aber nicht auf Discord. Dafür soll Karki sorgen.
Um die Perspektive der Protestierenden einzufangen, habe ich mit einem 18-jährigen Mitglied der Gen Z aus Kathmandu gesprochen, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte. In Videos war er zu sehen, wie er Straßen nach den Ausschreitungen reinigte, erwartungsfrohe Botschaften für die Zukunft des Landes postete. Viel Lachen, viel Hoffnung, und eine sehr engagierte Followerschaft. Im Folgenden wird er „Ekelkate“ genannt.
Nepals Generation Z protestiert gegen Korruption
der Freitag: Warum bist du auf die Straße gegangen?
Ekelkate: Mein Hauptgrund war, gegen Korruption zu kämpfen und Aufklärung darüber zu fordern, wer in der Vergangenheit daran beteiligt war.
Was sollten Menschen außerhalb Nepals verstehen?
Viele denken, wir protestieren nur wegen der Sperrung von Online-Plattformen. Das stimmt nicht. Wir protestieren gegen Korruption. Die hat das Leben hier unerträglich gemacht. Wegen ihr sind so viele junge Menschen ausgewandert. In Nepal konnte man nichts erledigen, ohne Politiker zu bestechen.
Wie hat dich der Protest verändert?
Er hat mir klargemacht, dass wir beim Aufbau einer neuen Regierung die Fehler der Elterngeneration nicht wiederholen dürfen. Wir müssen Kandidaten sorgfältig auswählen und Transparenz bei allen Projekten einfordern.
(Binnen weniger Stunden hatte sich die Situation so stark verändert, dass bereits eine Kandidatin für das Amt der Premierministerin ausgewählt wurde. Also habe ich Ekelkate nach seiner Meinung gefragt.)
Wie blickst du auf die neue Premierministerin?
Ich wusste wenig über sie, habe erst nach den Protesten mehr gehört. Was ich bisher über ihre Arbeit erfahren habe, macht mir Hoffnung. Selbst konnte ich nicht an der Online-Abstimmung auf Discord teilnehmen. Ich selbst war beschäftigt, die Straßen und ein Polizeirevier aufzuräumen. Aber die, die abgestimmt haben, haben eine gute Wahl getroffen.
Welche Botschaft hat deine Generation an die Regierung?
Wir wollen, dass die Regierung endlich ihre Arbeit macht, keine Bestechungsgelder annimmt, Jobs schafft und Menschen fair bezahlt. Sie sollte auch die Landwirtschaft unterstützen, damit Jugendliche bleiben können.
Und in zehn Jahren?
Ich wünsche mir ein Nepal, in dem junge Menschen nicht ins Ausland gehen müssen, um Chancen zu finden. Ein Land ohne korrupte Regierung. Ein Land, in dem niemand wegen Armut sterben muss.
Aufbruch mit offenem Ausgang
Die kommenden Monate werden zeigen, ob Karki Wahlen organisieren kann, die frei und fair sind. Fest steht: Die Gen Z Nepals hat eine Regierung gestürzt. Ob sie damit auch das politische System erneuern kann, wird sich erst zeigen.