Reportage | Erst Zone-Kühlschiff, dann Club in welcher Hamburger Hafencity: Was folgt zum Besten von die MS Stubnitz?

An einem Anleger in der Hamburger Hafencity liegt ein alter Kahn vertäut. Scheinwerferlicht auf dem Vorderdeck verrät: Es sind Leute anwesend. Etwas, das an einem windigen Sonntag in diesem Teil der Hafencity durchaus nicht selbstverständlich ist.

Ein Großteil der Luxusimmobilien, die dereinst den Stolz von Hamburgs Immobilienlobby darstellen sollen, ist noch nicht fertig gebaut oder steht leer. So auch der graue Kasten, der dem Anleger direkt gegenübersteht. Heute jedoch kann man davon ausgehen, dass die schwarz gekleideten Gestalten, die an der S-Bahn-Station Elbbrücken aussteigen, nur ein Ziel kennen: die MS Stubnitz, ein ehemaliges Kühlschiff aus der Fischfangflotte der DDR.

Doch wo früher Heringe gelagert wurden, spielt heute die belgische Black-Metal-Band Wiegedood. Der kultische Charakter, der für viele den Reiz solcher Veranstaltungen ausmacht, wird durch diese Szenerie verstärkt: durch die Fluchten von leerstehenden Häusern und Betonskeletten, vorbei an Bauzäunen, die den kommenden Luxus versprechen, hin zum dunkelgrünen Wasser der Elbe, dann die schmale Gangway hinauf und schließlich wieder hinab in die Eingeweide des Schiffes.

Für den VEB Fischfang Saßnitz fuhr die MS Stubnitz bis nach Grönland

Die MS Stubnitz ist 1964 in Stralsund vom Stapel gelaufen. Für den VEB Fischfang Saßnitz fuhr sie einst um die Welt: bis vor die Küste Grönlands, wo der VEB im Flottenverband Hering fischte, und nach Kanada, wo der Fisch gegen dringend benötigte Devisen getauscht wurde. Nach dem Ende der Deutschen Demokratischen Republik und ihrer Fischfangflotte wurde die Stubnitz zum „Kulturschiff“ umgebaut. Zuerst lag sie in Rostock und dann, seit 2013, in Hamburg.

Das passt natürlich, wie man im Norden sagt, „wie Arsch auf Eimer“: Hamburg rühmt sich ja nicht nur des größten deutschen Hafens und seiner maritimen Tradition, sondern, damit einhergehend, auch seines einmaligen Nachtlebens. Was könnte da besser ins Bild passen als ein undergroundiger Club auf einem alten Fischkutter? Das scheinen die Hamburger auch so zu sehen: 2024 wurde sie vom Hamburger Clubkombinat mit dem Publikumspreis „Lieblingsclub“ und dem Jurypreis „Bester Club Hamburgs“ ausgezeichnet. Und das, obwohl – oder gerade weil – es ein Kulturverein ist, kein kommerzieller Betreiber, der diesen Ort bespielt.

Wie in einem normalen Club – mit einem Hauch von Motoröl

Dunkle Farben und Stahl dominieren den Innenraum, der auf zwei Ebenen Bühne und Bars beherbergt. Hier erinnert nur die leichte Wölbung der Außenwände daran, dass man sich auf einem alten Kutter befindet und nicht in einem „normalen“ Club. Hinter den Kulissen, im Bereich des Schiffes, der der Öffentlichkeit normalerweise verborgen bleibt, sieht es jedoch noch ganz so aus wie früher.

Dunkles Holzfurnier an den Wänden, schwere Türen, steile Treppen, aus dem Maschinenraum dringt ein leichter Geruch nach Motoröl. Herzstück des Backstagebereichs ist die alte Messe, dominiert von einem großen runden Tisch, an dem es heute veganes Curry für Team und Band gibt, bevor die große Show losgeht. In den Kajüten für Mannschaft, Offiziere und Maschinisten schlafen heute die Bands, die hier spielen, und ihre Begleiter. Wenn man in einem der schmalen Betten liegt, das leichte Auf und Ab der Tiden hier in der Elbmündung spürt, dann kann man sich gut vorstellen, wie es draußen auf dem schiefergrauen Nordmeer gewesen sein muss.

Heute ist volles Haus – oder besser: volles Schiff. Wie früher die Heringe stehen heute die Metalheads dicht an dicht, 400 passen in den großen Saal. Die Musikanlage und die Beleuchtungstechnik laufen über Landstrom – die Schiffsanlage, das ist noch ein Relikt der DDR-Technik, würde nur Gleichstrom liefern. Effektiv beim Betreiben kleiner, geschlossener Stromkreisläufe, wie etwa auf einem Schiff. Zum Betreiben moderner Soundanlagen aber unbrauchbar. Wiegedood liefert ab.

Für zweieinhalb Stunden ist die Hamburger Metalszene glücklich eingesponnen in einen Kokon aus Krach. Fans und Band sind fasziniert von der besonderen Atmosphäre, die der alte Kutter bietet; selbst für die hartgesottensten Tourveteranen der Szene ist es etwas Besonderes, hier zu spielen: eine weltweit einzigartige Location und willkommene Abwechslung auf dem ansonsten immer gleichen Touralltag zwischen Verladerampen, Backstagebereichen und gesichtslosen Touring-Hotels.

Doch was für ein Aufwand tatsächlich in diesem Ort steckt, davon bekommen die wenigsten Gäste etwas mit. Denn die Stubnitz ist ja nicht nur ein Club, sie ist auch ein Industriedenkmal. Vor allem aber ist sie: ein immer noch seetüchtiges Schiff. Der Kulturverein, der sie trägt, hat also gleich zwei Aufgaben, und das bei hauptsächlich ehrenamtlichem Engagement.

Vom Aufwand bekommen die wenigsten Gäste der MS Stubnitz etwas mit

Was das bedeutet, davon bekommt man erst einen Begriff, wenn man dem Geruch nach Motoröl folgt: Dann findet man sich im Maschinenraum wieder, tief im Bauch des Schiffes. Dieser ist größtenteils noch im Originalzustand. Zwei schwere Acht-Zylinder-Motoren der VEB Schwermaschinenbau „Karl Liebknecht“ aus Magdeburg, wie die Stubnitz selbst Baujahr 1964, sorgen bei Volllast für eine Höchstgeschwindigkeit von 12 – 13 Knoten (circa 22 – 24 Stundenkilometer). Auch die anderen Maschinen sind noch original. Alles analog, was kaputtgeht, wird ersetzt.

Darum kümmert sich Frank: Der Maschinenraum ist sein Reich. Bis zu seinem Ruhestand hat er in Kraftwerken als Techniker gearbeitet, bei der Stubnitz ist er – wie die meisten hier – gelandet, als er bei einer Veranstaltung an der Bar ins Gespräch gekommen und dann geblieben ist. Heute hat er einen Minijob, der – auch das ist alles andere als ungewöhnlich in der Kulturszene – eigentlich ein Vollzeitjob ist. Frank kennt hier jede Schraube. Ungefähr die Hälfte der Maschinerie hat er im Laufe der Zeit revidiert oder erneuert. „Heute wird ja direkt ausgetauscht, gar nicht mehr repariert!“, sagt er. Ihm ist dagegen wichtig, dass im Maschinenraum auch die Geschichte des Schiffes vermittelt wird, dass gezeigt wird: Hier ist ein Ort, an dem gearbeitet wurde – und wird.

Die letzte große Fahrt war 2024 die zur Werft in Stralsund, zur Generalüberprüfung. Da Frank selbst als Ehrenamtlicher kein Patent hat, müssen dann externe Maschinisten angeheuert werden. Das ist ein Problem: Diese kennen sich mit der alten Technik nicht aus, moderne Schiffsmaschinen werden digital überwacht. Normalerweise wird bei der Maschinenwache in sogenannten 6-6-Schichten gearbeitet: Sechs Stunden Wachen, sechs Stunden Schlafen. „Wenn das Schiff fährt, muss immer jemand von unserem eingespielten Team ansprechbar sein“, sagt Frank.

Wie alle Museumsschiffe hat auch die Stubnitz mit Nachwuchsproblemen bei der Instandhaltung der Maschinen zu kämpfen. Hinzu kommt die finanzielle Belastung: Viele der alten DDR-Teile werden immer seltener, und Spezialanfertigungen sind teuer. Eine Belastung, die für einen gemeinnützigen Kulturverein kaum zu stemmen ist.

Der Liegeplatz in der Hafencity ist nur bis 2026 gesichert

Und dann ist da noch die Sache mit dem Liegeplatz: Dieser ist nur bis Ende 2026 gesichert. Wo es danach hingehen wird, ist immer noch unklar. Wegen Lärmbeschwerden von Anwohnern musste das Schiff schon einmal umziehen – immerhin befinden wir uns nicht im Trubel gewohnten St. Pauli, sondern in der prestigeträchtigen Hafencity. Auch jetzt wieder befürchten die Mitglieder des Kulturvereins, dass es Probleme wegen Lärmbeschwerden geben wird, sobald der Neubau am Kai fertiggestellt wird.

Obendrein will die notorisch intransparente HPA (Hamburg Port Authority), die mit quasifeudaler Macht bestimmt, was im Hafen passiert – und was nicht –, eigentlich nur kommerzielle Schifffahrt zulassen. Immerhin hat eine Anfrage der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft nun Bewegung in die Sache gebracht: Gefordert wird darin, einen langfristigen Liegeplatz für die Stubnitz zu finden – und nach diesem nicht nur im Herrschaftsbereich der HPA, sondern auch in den Bezirken Mitte und Altona zu suchen. Der Text der Anfrage bringt das Problem auf den Punkt: „Kein anderer Musikclub finanziert dabei nebenbei ein Industriedenkmal dieses Ausmaßes.“

Doch es geht dabei nicht nur um die Vergabe von Liegeplätzen, es geht auch darum, wer in der Hansestadt Kulturförderung erhält. Zwar steht der Kulturverein im Austausch mit Vertretern aller demokratischen Fraktionen, doch hat die Erfahrung gezeigt, dass die Kulturförderung in Hamburg allzu oft auf prestigeträchtige Großprojekte beschränkt bleibt.

Die vielfältige Untergrund-Kultur, mit der sich die Stadt so gerne schmückt, bleibt dagegen oft auf sich gestellt. Prestigeträchtig war die Stubnitz nie. Früher hat sie keine erlesenen Gewürze aus exotischen Ländern geladen, und heute lädt sie keine Frackträger. An der Frage, ob der Senat sich entschließt, diesen einzigartigen Ort zu erhalten, entscheidet sich also auch die Frage, wem er in Hamburg einen Platz zugestehen will.

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