Rentenreform: Der Streit um die Rentenreform wird falsch geführt

Die FDP geht mit ihrem Veto gegen das
Rentenpaket II
wieder einmal auf Konfrontationskurs zu den eigenen
Koalitionspartnern. Ihre Kritik ist aber in einem Punkt berechtigt: Die
Rentenpolitik der vergangenen 20 Jahre ging zu sehr zulasten der jungen
Generation, ein Kurswechsel ist notwendig. Leider bietet die FDP keine
überzeugenden Lösungen an, sondern vergrößert die Belastung der jungen
Generation, indem sie auf ein sogenanntes Generationenkapital insistiert, das sie nun blockiert. Dabei
sollten in einem konstruktiven Streit um die Zukunft der Rente andere Fragen im
Mittelpunkt stehen.

Nun werfen die Kritiker dem
Bundesfinanzminister vor, er sei wortbrüchig geworden. Er hätte dem Rentenpaket
II schon zugestimmt und wolle diese Zustimmung wieder zurücknehmen, um sich
im Europa-Wahlkampf zulasten seiner Koalitionspartner zu profilieren. Zudem
wurde in der Koalition ohnehin schon vereinbart, dass weitere Reformschritte in
den nächsten Rentenpaketen folgen sollen.

Drei große Verteilungsfragen bei der Rente

Der Streit geht jedoch an den
zentralen Fragen um die Zukunft der Rente vorbei. Wir benötigen eine breitere Perspektive
der drei großen Verteilungsfragen, um Lösungen finden zu können.

Die erste Frage lautet: Wie stark soll die junge und wie stark die alte Generation belastet werden? Denn die Demografie ändert sich nicht. Die Stabilisierung des Rentenniveaus durch einen Anstieg der Beiträge ist eine reine Umverteilung von Jung zu Alt. Das Rentenniveau soll bis 2039 auf dem gegenwärtigen Niveau von 48 Prozent stabilisiert werden. Das bedeutet aber, dass künftige Renten durchschnittlich genauso stark steigen werden wie die Löhne der Beschäftigten. Um die zusätzlichen Kosten finanzieren zu können, sollen die Beitragssätze für die Beschäftigten von heute 18,9 auf 22,9 Prozent im Jahr 2045 steigen. In anderen Worten: Die ältere Generation erhält unverändert ihre Leistungen, die junge Generation muss für die Kosten aufkommen. Das kann man für gerecht oder ungerecht halten, steigende Beiträge für die Sozialversicherung könnten jedoch auch wirtschaftlichen Schaden anrichten und somit den zu verteilenden Wohlstand verkleinern.

Die Umverteilung von Jung zu Alt gilt jedoch auch für das von der FDP geforderte Generationenkapital, bei dem der Staat 200 Milliarden Euro – aufgenommen aus Schulden – an Rücklagen bilden will, um es vor allem in ausländische Unternehmen zu investieren. Die erzielte Rendite soll ab 2035 die jährlichen Rentenbeiträge um zehn Milliarden Euro entlasten. Das mag nach viel klingen, angesichts der hohen Ausgaben im Rentensystem ist es aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein, denn dieser Zuschuss deckt weniger als drei Prozent der jährlichen Ausgaben für die gesetzliche Rente ab. Im Gegenzug bedeutet es, dass diese 200 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren für Investitionen in Bildung, Qualifizierung, Innovation, Klimaschutz oder eine gute Infrastruktur nicht verfügbar sind. Die junge Generation wird also durch das Generationenkapital nicht entlastet, sondern letztlich stärker belastet – zumindest so lange, wie die FDP selbst dogmatisch an der heutigen, schädlichen Form der Schuldenbremse festhält.

Von Arm zu Reich

Bei der zweiten Verteilungsfrage
geht es darum, wie arme und reiche Menschen durch die Reformen betroffen
sind. Die FDP hat recht, dass die sogenannte Rente mit 63
genauer gesagt der abschlagsfreie, um zwei Jahre vorgezogene Renteneintritt
nach mindestens 45 Beitragsjahren – sowohl eine Umverteilung von Jung zu Alt als
auch von Arm zu Reich bedeutet. Diese abschlagsfreie Rente kommt hauptsächlich
gut verdienenden Menschen zugute, in der Mehrzahl Männern. Fast niemand mit
geringen Rentenansprüchen profitiert davon.

Die sehr viel größere Unwucht bei
der Verteilung zwischen Reich und Arm liegt jedoch im sogenannten
Äquivalenzprinzip, durch das jeder ins Rentensystem eingezahlte Euro den
gleichen monatlichen Rentenanspruch bedeutet. Diese Eigenschaft der
gesetzlichen Rente führt letztlich zu einer Umverteilung von Arm zu Reich, denn
Menschen mit geringen Löhnen und Einkommen haben eine zum Teil sechs bis
sieben Jahre kürzere Lebenserwartung
. In anderen
Worten: Menschen mit geringen Einkommen erhalten über ihre Lebenszeit meist
deutlich weniger an Rentenzahlungen als Menschen mit hohen Löhnen und
Einkommen. Daher sollte die Politik ihre Prioritäten auf die Stärkung der Rente mit geringen Ansprüchen setzen, beispielsweise die Grundrente.

Ambivalenter zu beurteilen ist dagegen
die Forderung der FDP nach einer Erhöhung des Renteneintrittsalters.
Berechnungen zeigen, dass allein beim Anstieg der Lebenserwartung um ein
Jahr die Lebensarbeitszeit um acht Monate steigen müsste, um die zusätzlichen
Kosten zu finanzieren. Das Problem bei diesem FDP-Vorschlag ist jedoch, dass
viele Menschen schon heute vor dem regulären Renteneintritt erwerbsunfähig
werden und damit auch dem Sozialsystem eine erhebliche zusätzliche Belastung
bescheren. Ein
generelles Anheben des Renteneintrittsalters
würde
dieses Problem verschärfen. Eine Option wäre, das Renteneintrittsalter flexibel zu gestalten und den Beschäftigten mehr Mitsprache dabei einzuräumen. Für Menschen, die länger arbeiten wollen und können, sollte es noch attraktiver gemacht werden, über die Regelaltersgrenze hinaus erwerbstätig zu sein – ohne das anderen aber aufzuzwingen.

Unbezahlte Arbeit verstärkt die Altersarmut

Eine dritte und meist ignorierte
Dimension der Verteilungsfrage ist jene zwischen bezahlter Arbeit und unbezahlter
Arbeit. Der beste Schutz gegen Altersarmut liegt in besseren Löhnen und einer
höheren Arbeitszeit. Die Altersarmut
in Deutschland ist vergleichsweise hoch und betrifft vor allem Frauen, auch
weil viele Hürden für Frauen im Arbeitsmarkt vorhanden sind. In kaum
einem anderen Land der Welt arbeitet ein so großer Anteil der Frauen in Teilzeit,
obwohl sehr viele angeben, gerne mehr Stunden arbeiten zu wollen. Der Schlüssel
hierfür sind Investitionen in bessere Kitas und Schulen, eine Stärkung der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf und auch Reformen des Ehegattensplittings und der Minijobs.

Aber genau hier bremst die FDP, lehnt Reformen ab
und versucht, traditionelle Modelle zu zementieren. Dazu gehörte auch eine
größere Anerkennung von unbezahlter Arbeit, insbesondere in der informellen Pflege,
die vor allem von Frauen gemacht wird.

Der gegenwärtige Streit um die
gesetzliche Rente ist kontraproduktiv, da die FDP bei aller berechtigten Kritik keine nachhaltigen und zielgenauen Lösungen anbietet. Sie verhindert
stattdessen wichtige Reformen im Arbeitsmarkt und im Steuersystem. Ihr starres
Festhalten an der Schuldenbremse erschwert zudem notwendige Investitionen im Sinne
der jungen Generation — in Bildung, Innovation, Klimaschutz und Infrastruktur.

Die Bundesregierung könnte sich auf
eine kluge Lösung im Streit um die Rente einigen und ein Paket schnüren, das im
Sinne aller Menschen und der Wirtschaft ist: indem sie das Rentenpaket II nun verabschiedet und gleichzeitig die notwendigen Reformen bei dem
Renteneintrittsalter, dem Arbeitsmarkt, im Steuersystem und in der
Finanzpolitik auf den Weg bringt.

Die FDP geht mit ihrem Veto gegen das
Rentenpaket II
wieder einmal auf Konfrontationskurs zu den eigenen
Koalitionspartnern. Ihre Kritik ist aber in einem Punkt berechtigt: Die
Rentenpolitik der vergangenen 20 Jahre ging zu sehr zulasten der jungen
Generation, ein Kurswechsel ist notwendig. Leider bietet die FDP keine
überzeugenden Lösungen an, sondern vergrößert die Belastung der jungen
Generation, indem sie auf ein sogenanntes Generationenkapital insistiert, das sie nun blockiert. Dabei
sollten in einem konstruktiven Streit um die Zukunft der Rente andere Fragen im
Mittelpunkt stehen.

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