Rentenpaket: „Noch mehr Zeitverschwendung kann Deutschland sich nicht leisten“

Herr Dulger, wie kommt Deutschland besser wieder auf Wachstumskurs, mit oder ohne Ampelkoalition?

Die deutsche Wirtschaft jedenfalls erfüllt alle Voraussetzungen, um wieder auf Wachstumskurs zu kommen. Man muss sie nur lassen. Die Unternehmen sind noch wettbewerbsfähig, aber dieser Standort ist es nicht mehr. Die meisten Faktoren, die der deutschen Wirtschaft im Weg stehen, sind politisch veränderbar. Wir haben nach wie vor ein sehr stabiles Rückgrat an mittelständischen Unternehmen, wir haben viele qualifizierte Mitarbeiter und ein hervorragendes Ingenieurswissen. Wir sind in vielen Bereichen immer noch Weltspitze. Aber wir stecken in einer Rezession. Und es ist derzeit auch nicht absehbar, dass Deutschland aus dieser Misere schnell wieder herauskommt, wenn sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht grundlegend ändern.

Noch einmal: Trauen Sie der Ampelkoalition zu, dass sie die nötigen Veränderungen zur Stärkung der Wirtschaft schafft?

Regierungsauftrag heißt auch Regierungsverpflichtung. Die Ampel ist für vier Jahre gewählt. Die deutsche Wirtschaft hat deshalb die klare Erwartung an diese Bundesregierung, die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass erfolgreiches Wirtschaften wieder möglich wird. Außerdem: Was wäre denn die Alternative? Es ist ja nicht so, dass wir nach einem Platzen der Koalition automatisch sofort eine handlungsfähige neue Regierung bekommen würden, die die nötigen Reformen umsetzt. Wir brauchen jetzt schnelle Entscheidungen, noch in diesem Herbst. Noch mehr Zeitverschwendung kann Deutschland sich nicht leisten.

Was wäre also zu tun?

Wir erwarten echte Fortschritte beim Bürokratieabbau. Bisher sind das nur Buchstaben auf Papier. In den Unternehmen spürt man davon nichts. Zudem brauchen wir endlich eine wirksame Strategie gegen den Arbeits- und Fachkräftemangel. Die abschlagsfreie Rente ab 63 muss abgeschafft werden, und wir brauchen eine grundlegende Reform des Bürgergeldes. Die Beschäftigten brauchen wieder mehr Netto vom Brutto. Da braucht es endlich ein Stoppschild bei den Sozialabgaben. Die Liste ist lang.

Wie viel hilft die 49 Punkte umfassende Wachstumsinitiative, die die Regierung im Sommer angekündigt hat?

Die Wachstumsinitiative soll 0,5 Prozentpunkte Wirtschaftswachstum bringen. Das soll ein großer Wurf sein? Ich erwarte von dieser Bundesregierung deutlich mehr Ambition.

So ganz verstehen wir noch nicht, ob Sie der Ampelkoalition das zutrauen. Ist sie die geeignete Kraft für diese Wende?

Noch einmal: Es ist doch keine Frage des Zutrauens! Diese Ampelregierung wurde für vier Jahre gewählt, und ich erwarte, dass sie ihren Job erledigt. Angesichts der Wirtschaftszahlen sollte die Politik daran arbeiten, verloren gegangenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen mit Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit dieses Standortes, anstatt sich in politische Schaukämpfe zu verheddern.

Für die SPD hängt die Zukunft der Koalition stark davon ab, dass diese schnell das sogenannte Rentenpaket beschließt. Lässt sich Deutschland auch mit diesem Rentenpaket auf einen guten Wachstumskurs bringen?

Dieses Rentenpaket wäre das bisher teuerste Sozialgesetz des Jahrhunderts – und das mitten im demographischen Wandel. In den nächsten 20 Jahren würde es uns mehr als 500 Milliarden Euro kosten, durchschnittlich 25 Milliarden Euro pro Jahr. Und es dient ja nicht etwa dazu, irgendwelche Rentenkürzungen abzuwenden. Es geht lediglich darum, dass die jährlichen Rentenerhöhungen höher ausfallen sollen – übrigens zugunsten der bestversorgten Rentnergeneration in der Geschichte dieses Landes. Verlierer sind die jungen Menschen, die künftig mehr in die Versicherung einzahlen, als sie später herausbekommen. Das ist nicht nur generationenungerecht. Es untergräbt auch die Akzeptanz in das System der gesetzlichen Rente.

Also schlecht fürs Wirtschaftswachstum?

Eindeutig. Dieses Paket würde die ohnehin zu hohen Sozialabgaben noch weiter hochtreiben. Zugleich droht es aufgrund noch stärker steigender Steuerzuschüsse den Bundeshaushalt zu sprengen. Natürlich geht das radikal auf Kosten der finanziellen Spielräume für Infrastruktur, Bildung, Verteidigung und Sicherheit. Mit Generationengerechtigkeit hat eine solche Politik wirklich gar nichts mehr zu tun. Wir werden alle länger arbeiten müssen, das lässt sich doch allein am demographischen Wandel ablesen. Deutschland leidet doch jetzt schon unter Fach- und Arbeitskräftemangel.

Die SPD sieht das anders. Im Hinblick auf die Koalition deshalb die Frage: Wie sollte sich die FDP dazu verhalten?

Mit dem Vorschlag des Generationenkapitals der FDP oder der Ablösung der Riester-Verträge, um transparente Sparanreize zu schaffen, ist man ja schon einmal auf einem guten Weg. Aber es steht mir nicht zu, der FDP irgendwelche taktischen Ratschläge zu geben.

Aber es geht ja nicht um Taktik, sondern eine Grundsatzfrage. Oder nicht?

Und die habe ich Ihnen beantwortet: Dieses Rentenpaket ist das unfairste und teuerste Sozialgesetz dieses Jahrhunderts.

Um den eigenen Etat zusammenzubringen, kürzt die Regierung Zu­schüsse an die Rentenversicherung und verschiebt bisher steuer­finanzierte Aufgaben auf die Beitragszahler. Ist das solide Politik?

Ein politisches Grundproblem liegt darin, dass wir in Deutschland gar keine offenen Debatten über diese Zielkonflikte führen. Wir Arbeitgeber werben schon lange dafür, dass die Regierung einmal im Jahr dem Bundestag einen Bericht mit einer Gesamtschau liefern sollte, wie es um die Leistungs- und Zukunftsfähigkeit aller fünf Sozialversicherungszweige steht. Bisher traut sich leider kein Politiker, die Zielkonflikte zwischen mehr Sozialleistungen und höheren Finanzierungslasten offen anzusprechen, weil er um seine Wiederwahl fürchtet. Aber das wird so nicht mehr lange funktionieren. Denn der Beitragsanstieg wird immer stärker, und das merken die Menschen ja.

Nimmt man alle offiziellen Ankündigungen zusammen, steigen die Sozialbeiträge nach heutigem Stand bis spätestens 2028 auf 44 Prozent des Bruttolohns…

… und das beeinträchtigt unsere Wettbewerbsfähigkeit enorm. In den Aufschwungzeiten des vergangenen Jahrzehnts waren es noch unter 40 Prozent. Wir müssen uns wieder darauf besinnen, dass dieser Wert eine Obergrenze ist. Sonst wird weniger in Deutschland und mehr im Ausland investiert. Es geht hier um Investitionen, die sich in den 2030er-Jahren auszahlen werden. Ich mache mir große Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes.

Die Ampelregierung plant auch ein „Tariftreuegesetz“. Unternehmen sollen vom Staat keine Aufträge mehr erhalten, falls sie sich nicht vorher auf eine dafür zu erlassende Arbeitsbedingungen-Rechtsverordnung verpflichten. Können Sie uns erklären, wie das funktionieren wird?

Wir benachteiligen damit massiv unser eigenes Wirtschaftssystem. Das Gesetz ist realitätsfern und mittelstandsfeindlich. Für die Praxis bedeutet es mehr Komplexität, hohen Verwaltungsaufwand und zusätzliche Kosten. Wenn das Vergaberecht noch komplizierter wird, haben Unternehmen bald gar kein Interesse mehr an öffentlichen Aufträgen.

Noch einmal: Soll die FDP all dem zustimmen, damit die Koalition dann vielleicht nebenbei auch noch etwas zur Stärkung der Wirtschaft beschließt?

Die gesamte Bundesregierung ist in der Pflicht, Rahmenbedingungen für profitables Wirtschaften zu schaffen. Und sie muss erkennen, dass Deutschland in einer Rezession steckt. Sie muss endlich handeln. Das weiß auch die FDP.

SPD und Grüne versprechen, dass bald der Min­destlohn auf 15 Euro oder mehr steigt. Wie lange machen die Arbeitgeber noch in der Mindestlohnkommission mit?

Ich fordere die Bundesregierung und insbesondere die Sozialdemokratie auf, die Mindestlohnkommission und deren Beschlüsse zu respektieren. Wir haben in diesem Land, vom Grundgesetz geschützt, die Tarifautonomie. Die Gehälter werden in diesem Land von den Sozialpartnern ausgehandelt – Ende der Debatte. Der Mindestlohn darf nicht zum Spielball der Politik werden.

Der Mindestlohn ist doch längst Spielball der Politik.

Dieses Spiel muss aufhören. Haben Sie den jüngsten Beschluss des SPD-Vorstands dazu genau gelesen?

Ja, das haben wir.

Ich habe ihn gleich zweimal gelesen, weil er so bemerkenswert ist: Dort steht sinngemäß, dass die heutige Höhe des Mindestlohns zwar nicht den Vorstellungen der SPD entspricht. Aber da steht nicht, dass die SPD die Höhe des Mindestlohns durch gesetzliche Eingriffe ändern will.

Und das glauben Sie?

Wir werden das sehen.

Noch einmal zurück zur Frage, wie sich die Wirtschaft stärken lässt: Wirtschaftsminister Robert Habeck hat gerade die ersten „Transformationsschecks“ an Un­ternehmen überreicht, um ihren Umstieg auf grüne Produktion zu fördern. Was für eine Förderung wünschen Sie sich?

Zuerst: Wettbewerbsfähigkeit muss man sich erarbeiten. Das kann man nicht herbeisubventionieren. Und der Strom muss billiger werden, und zwar für alle: für Handwerksbetriebe, ob Bäcker oder Metzger, für Handelsbetriebe, für Landwirte, für die Industrie und natürlich für die Bürger. Leider ist es durch übereilte Entscheidungen der Vergangenheit, allen voran den kompromisslosen Ausstieg aus der Kernenergie, schwierig geworden, dies ohne Abstriche vom Klimaschutz und ohne enorme Belastungen öffentlicher Kassen zu erreichen.

Sollte das Ziel vollständiger Klimaneutralität im Jahr 2045 gelockert werden?

Mit der Zielmarke 2045 ist Deutschland noch über das EU-Ziel 2050 hinausgegangen. Aus heutiger Sicht war das zu ehrgeizig, weil die Politik – nicht erst die Ampel – wichtige Hausaufgaben schuldig geblieben ist. Denken Sie an den Stromnetzausbau. Ich sage daher sehr klar: Wir sollten den Klima-Zeitplan so weit strecken, dass er realistisch wird. Das Verbrennerverbot war falsch und sollte in dieser engen Form keinen Bestand haben. Es schädigt das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Aber bitte kein Missverständnis: Ich will nicht die Klimaziele infrage stellen. Es geht darum, sie zu realisieren – und zwar technologieoffen.

Haben Sie keine Sorge, dass eine leichte Verschiebung Proteste von Klimaaktivisten provozieren würde?

Aber wir können doch erst recht nicht in Kauf nehmen, dass unsere Wirtschaft kaputtgeht und wir unseren Wohlstand vernichten. Ich bin überzeugt, dass man Klimaneutralität mit ökonomischer Prosperität und sozialer Sicherheit verbinden kann. Wenn aber der Zeitplan zu ehrgeizig gesteckt wurde, müssen wir ihn anpassen. Alles andere läuft eher darauf hinaus, dass das ganze Projekt dieser Transformation an Zustimmung und damit Legitimation verliert.

Würde etwa kein Stahl mehr in Deutschland mehr hergestellt, wäre das gut für die deutsche Klimabilanz. Wie sehr sind Sie dafür, die hiesige Stahlproduktion zu erhalten?

Was für eine Frage! Deutschland ohne eigene Stahlproduktion, das wäre in jeder Hinsicht eine Katastrophe. Wandert sie in Länder mit weniger strengen Auflagen ab, ist fürs Klima gar nichts gewonnen. Und für die deutsche Wirtschaft gilt: Würde die Grundstoffindus­trie abwandern, verschwindet auch schnell die verarbeitende Industrie. Es wäre das Ende des Industriestandorts Deutschland.

Auch wenn Sie die Ampelkoalition noch nicht aufgeben wollen: Wie sicher sind Sie sich, dass eine unionsgeführte Bundesregierung die Wirtschaft spürbar stärken würde?

Zumindest sind viele Punkte, die die Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland verbessern würden, in das neue Grundsatzprogramm der CDU eingeflossen. Das ermutigt mich. Sie will Energiekosten und Unternehmensteuern senken, Investitionen erleichtern, Arbeitsanreize stärken und lähmende Bürokratie wie die des Lieferkettengesetzes abbauen. Das wirkt konkreter und entschlossener, als ich es von der amtierenden Regierung je gehört habe.

Ist Ihnen das schon konkret genug?

Natürlich hat es eine Oppositionspartei immer leichter, ihre Positionen zu formulieren als eine Regierungskoalition. Aber wenn das Grundsatzprogramm der CDU auch nur in Teilen in Kraft gesetzt wird, wäre das ein wesentlicher Fortschritt.

Sehen Sie bei der Union denn auch Konzepte, die Sozialbeiträge wieder in Richtung 40 Prozent zu bringen?

Mir ist klar, dass das nicht leicht wird. Und natürlich nehme ich wahr, dass es auch in der Union Ideen gibt, die Leistungen der Sozialversicherung noch auszuweiten. Aber es gibt immerhin ein Bekenntnis zu dem 40-Prozent-Ziel – einen politischen Willen, sich daran zu messen. Das ist schon deutlich mehr, als die Ampelparteien dazu geboten haben. Sie haben dieses Ziel offenbar schon aufgegeben.

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