Mit dem eigenen Ruhestand hat es Frank-Jürgen Weise nicht so. Schon als sich seine 13 Jahre dauernde Amtszeit an der Spitze der Bundesagentur für Arbeit dem Ende entgegen neigte, ließ er im kleinen Kreis gerne fallen, dass ihm die Vorstellung ein Graus sei, der Tagesablauf könnte nur noch aus Rosenzüchten bestehen. Wer das möchte, solle das natürlich gerne machen. Aber für Weise ist Müßiggang keine Alternative.
Das hat dazu geführt, dass ihm auch nach dem Abschied aus Deutschlands größter Behörde im Jahre 2017 die Arbeit nie ausging: Er war zum Beispiel Präsident der Johanniter-Unfall-Hilfe, Stand an der Spitze der Hertie-Stiftung und war auch am Markt für Unternehmensübernahmen beschäftigt. Sein Rentnerdasein akzeptiert der 74 Jahre alte Manager also allenfalls widerwillig.
Herumdoktern ist keine Lösung mehr
Nun hat er es bald mit der Rente einer ganzen Nation zu tun. Denn Weise leitet zusammen mit der Wissenschaftlerin Constanze Janda von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer die neue Rentenkommission der Bundesregierung. Zusammen mit drei Abgeordneten, acht Rentenfachleuten und der Deutschen Rentenversicherung Bund soll die Kommission im nächsten Jahr Antworten auf einer der größten und dringendsten Fragen des deutschen Sozialstaats geben: Wie lässt sich die Alterssicherung demographiefest für die Zukunft aufstellen?
Allen Beteiligten ist klar, dass ein bloßes Herumdoktern am System keine Lösung mehr ist. Die Lösungsansätze zwischen Union und SPD gehen jedoch deutlich auseinander, auch zwischen Jung und Alt klafft zumindest bei den Konservativen eine große Lücke, wie die quälend langen Verhandlungen um die jüngste Rentengesetzgebung gerade erst gezeigt haben. Nun gilt es, diesen gordischen Knoten zu durchschlagen.
Warum ruft man gerade ihn?
Dass er ein ausgemachter Rentenfachmann und deshalb prädestiniert für das neue Amt sei, würde Weise wohl selbst klar zurückweisen. Man muss sich deshalb fragen, warum man immer wieder ihn in solche Positionen beruft, wenn die Not groß ist. Die Antwort geht offenkundig aus seiner Vita hervor.
Als Betriebswirt machte Weise zunächst in der Wirtschaft, vor allem der Autoindustrie, Karriere. In den Hochzeiten des Neuen Marktes um die Jahrtausendwende brachte er dann mit Microlog Logistics noch vor dem großen Platzen der Blase ein eigenes Start-up an die Börse. Der Verkauf seiner Aktien sicherte ihm finanzielle Unabhängigkeit.
2002 berief ihn dann der damalige Chef der Arbeitsagentur, Florian Gerster, als Finanzvorstand nach Nürnberg. Nach Gersters plötzlichem Abgang 2004 folgte ihm Weise nach. Sein Anreiz sei gewesen, zu beweisen, dass dieser Behördenkoloss entgegen aller Behauptungen steuerbar sei, sagte Weise später.
Die modernste Behörde des Landes geschaffen
Er rief externe Berater zu Hilfe für die Umsetzung der Hartz-Reformen – ein Kulturschock für viele Mitarbeiter und eine Provokation für alle Sozialingenieure in Berlin und in der Provinz. Doch dem langjährigen Führungstrio um Weise sowie die Vorstandsmitglieder Heinrich Alt und Raimund Becker gelang es, aus der defizitären Bundesanstalt die modernste Behörde des Landes zu machen, die in der Aufschwungphase gleichzeitig die Zwangsbeiträge senkte und ein Milliardenpolster anlegte, was in späteren Krisen die Folgen erheblich milderte.
Noch heute teilen die damaligen Weggefährten, die eigentlich aus unterschiedlichen politischen Lagern kamen, die gemeinsame Vorliebe für Motorradtouren. Sein CDU-Parteibuch hat Weise nie daran gehindert, auf dem Weg zur sachorientierten Lösung auch mit vermeintlichen Gegnern zu kooperieren. Und wer nicht mitarbeitet, der bekommt Druck – Parteifreundschaften hin oder her. Diese Eigenschaft hat Weise zu einer Art Feuerwehrmann für heikle Einsätze gemacht.
Eine besondere Ehre
Als während der Flüchtlingskrise 2015 das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unter dem Ansturm zu kollabieren drohte, rief die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Weise, der als Interimsmanager mehr als ein Jahr die Sanierung leitete und die Managementprozesse im Amt neu aufsetzte. Nicht die erste Doppelrolle: 2010 leitete er im Auftrag des damaligen Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg die Bundeswehrkommission. Für den Oberst der Reserve Weise eine ganz besondere Ehre.
Dazu kommen spätere Schlichtereinsätze für festgefahrene Tarifverhandlungen bei der Lufthansa und in jüngster Vergangenheit die Berufung in den Aufsichtsrat der Stahlsparte von Thyssenkrupp. Dort gelang nach extrem zähen Verhandlungen jüngst die Einigung auf einen Sanierungstarifvertrag, der rund 11.000 Arbeitsplätze kosten wird. Gerade war Weise Teil einer Delegation, die in Indien über den Verkauf der Sparte verhandelt hat.
Nicht polarisieren, sondern den Kompromiss suchen
Moderat im Ton, hart in der Sache, verbindlich im Ergebnis – so bezeichnen Personen Frank-Jürgen Weise, die mit ihm durch solche Runden gegangen sind. Neben dem aus Bundeswehrzeiten tief verankerten Konzept der Inneren Führung kommt ihm in schwierigen Lagen vor allem seine christliche Haltung zu Gute: nicht polarisieren, sondern den Kompromiss suchen. Eigenschaften, die in Zeiten von Wutbürgen und Internetblasen seltener werden.
Darauf wird auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) setzen, wenn er Weise in der Kommission verankert – auch ohne ausgewiesene Rentenexpertise. Obwohl: Wer die umlagefinanzierte Rente sichern will, egal mit welcher Formel, braucht möglichst viele Beitragszahler. Es schlummert noch einiges Potential im bisherigen Bürgergeld, dessen Ende an diesem Mittwoch vom Kabinett beschlossen wurde. Wer Frank-Jürgen Weise kennt, weiß, dass er auch in der Frage nicht locker lassen wird, wie man rund 500.000 Grundsicherungsbezieher in Arbeit bringen kann, um ihren Lebensunterhalt in Würde bestreiten zu können – und damit auch die Rente zu stabilisieren.
Diese Personen sitzen ebenfalls in der Rentenkommission
Die drei stellvertretenden Vorsitzenden der Rentenkommission sind Bundestagsabgeordnete: Florian Dorn (CSU), Annika Klose (SPD) und Pascal Reddig (CDU). Außerdem hat das Gremium acht wissenschaftliche Mitglieder: Peter Bofinger (einst „Wirtschaftsweiser“ auf Vorschlag der Gewerkschaften), Tabea Bucher-Koenen (ZEW-Bereichsleiterin „Altersvorsorge und nachhaltige Finanzmärkte“), Georg Cremer (früher Generalsekretär des Caritasverbands), Camille Logeay (Hochschule für Technik und Wirtschaft), Monika Queisser (OECD-Abteilungsleiterin Sozialpolitik), Jörg Rocholl (ESMT-Präsident), Silke Übelmesser (Universität Jena), Martin Werding (Wirtschaftsweiser auf Vorschlag der Arbeitgeber). (mas.)