Wer hat denn nun gewonnen im Rentenstreit? Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD), die angeblich „hart“ geblieben ist? Kanzler Friedrich Merz (CDU), der optimistisch in die Zukunft schaut und hofft, dass seine Jungmänner am Freitag bei der Abstimmung im Parlament strammstehen? Oder doch die aufständische Junge Gruppe in der Union, die der Koalition ein Papier abgerungen hat, das es in sich hat?
Am Dienstag stimmte in der Unionsfraktion in einer Probeabstimmung eine Mehrheit für die Einigung im Rentenstreit: Aber es gab immer noch Gegenstimmen und Enthaltungen. Jetzt haben die „Rentenrebellen“ noch bis Freitag Zeit, sich ihre Position für die Stunde der Wahrheit im Bundestag zu überlegen. Wollen sie wirklich eine Koalitionskrise riskieren?
Einer aus der Unions-Truppe hat sich nach dem Debakel um die designierte Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf jedenfalls ein weiteres Mal blamiert: Unions-Fraktionschef Jens Spahn. Wem die Gäule derart durchgehen, ist ein schlechter Zuchtmeister, zumal wenn sich die Ungezähmten auch noch an den öffentlichen Hafertrögen über ihren Herrn beklagen.
Das Rentenpaket ist als Ganzes gesehen eigentlich gar nicht so kompliziert, wie es sein Name, „Gesetz zur Stabilisierung des Rentenniveaus und zur vollständigen Gleichstellung der Kindererziehungszeiten“, vermuten lässt. Wären die Jungpolitiker konsequent, hätten sie sich am zweiten Teil aufgehängt, denn über die von der CSU durchgesetzte Mütterrente II gäbe es aus emanzipatorischer Sicht manches zu sagen. Markus Söder (CSU) hätte die aufsässigen Pferdchen dann aber gepeitscht.
Deshalb zerrten sie lieber an der Halteleine „Rentenniveau“, die ihnen zu teuer ist. Das Rentenniveau reguliert das Verhältnis der Renten im Verhältnis zum einstigen Lohn. Nicht individuell, sondern standardisiert, berechnet auf 45 Versicherungsjahre bei einem fiktiven durchschnittlichen Nettoeinkommen. Im Moment liegt das Rentenniveau bei 48 Prozent, die zu halten sich die Koalition bis 2031 verständigt hatte, die sogenannte Haltelinie. Das tragen auch die Jungen mit.
Der Teufel steckt in der Tabelle
Streit gibt es darum, was nach 2031 passiert, wenn die Haltelinie nicht mehr gilt. Die jungen Abgeordneten sagen, ab 2031 müssten die künftigen Rentenberechnungen nicht bei 48, sondern bei 47 Prozent ansetzen, so, als ob es die Haltelinie nicht gegeben hätte. Sie entnehmen das einer unglücklich positionierten Parallelberechnung im Gesetzesentwurf. Würde man die Haltelinie wegdenken, läge das Rentenniveau 2035 dann eben nur bei 45,7 statt bei 46,7 Prozent, und jedes weitere Jahr entsprechend. Die Gegner einer solchen Flickrechnerei bringen immer ins Spiel, das sei so, als ob man eine gewerkschaftliche Lohnerhöhung nicht auf der Basis der letzten, sondern auf der der vorletzten aushandeln würde.
Der Vergleich ist nicht falsch, denn das Rentenniveau ist grundsätzlich gebunden an die Lohnentwicklung. Das hat lange funktioniert, weil viele Beitragszahler für vergleichsweise wenige Rentner:innen aufgekommen sind. Dass sich die demografische Entwicklung verändert hat, ist bekannt. Diesem Umstand wurde 2004 mit dem Nachhaltigkeitsfaktor Rechnung getragen, eine folgenreiche Veränderung der Rentenformel mit dem Effekt, dass das Rentenniveau hinter dem Lohnniveau zurückblieb. Verantwortlich dafür waren die SPD und ihr Minister Wolfgang Clement. Der Nachhaltigkeitsfaktor war als Teil des Rentenpakets von 2018 ausgesetzt worden und soll nun wieder in die Rentenkalkulation einbezogen werden.
Bei all dieser Rentenklauberei ist zu berücksichtigen, dass die Renten über das Umlagesystem bislang ausschließlich über den Faktor Arbeit – die Beiträge von Arbeitnehmer:innen und Unternehmen – finanziert werden, andere Einkunftsquellen wie Immobilien und Kapital sind außen vor. Der im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt gar nicht gestiegene, sondern sogar leicht gesunkene Bundeszuschuss ist Teil des Systems, denn es gibt viele Rentenbezieher:innen, die vergleichsweise wenig oder nichts in die Kasse einbezahlt haben, aber aufgrund ihrer gesamtgesellschaftlichen Leistung dennoch Ansprüche haben: Mütter (und zunehmend Väter), Erwerbsgeminderte, Soldat:innen oder Ersatzdienstleistende, Menschen aus dem Osten, deren Rente angeglichen wurde, und andere Gruppen.
Wird die Kommission nun auf der Klaviatur der Grausamkeiten spielen
An dem Bundeszuschuss, der ja die Differenz, die sich aus den 47 und 48 Prozent Rentenniveau ergibt, stemmen muss, hängen sich wiederum die Rentenrebell:innen auf. Würde die Rentenkasse löhnen, wäre ihnen das alles schnurz, denn sie zahlen – zumeist Selbstständige – dort sowieso nicht ein. Aber die 120 Milliarden Euro, die das Paket den Bund in zehn Jahren kosten wird, erzürnen sie. Eigentlich handelt es sich um Steuerrebell:innen.
Gekauft werden sollen sie nun durch ein Begleitschreiben zum Gesetzespaket, das gleichzeitig den Arbeitsauftrag für die neu einzurichtende Rentenkommission umschreibt. Das 13 Mitglieder umfassende Gremium, das von zwei von Kanzler Friedrich Merz und Bärbel Bas benannten Vorsitzenden geleitet werden soll, wird neben drei Abgeordneten aus CDU, CSU und SPD von acht Wissenschaftler:innen besetzt sein. Abgeordnete aus der Opposition sind nicht vorgesehen, wie die Bündnisgrünen monieren. Vielmehr soll der Rat im Turbo möglichst schnell Vorschläge auf den Tisch legen, die angesichts des Abstimmungswirbels um das Rentenpaket nun klar kanalisiert sind und alles beinhalten, was bislang – auch im Koalitionsvertrag – tabu war.
Dazu gehören die mögliche Abwicklung der Rente mit 63 (für langjährig Versicherte) und das Renteneintrittsalter. Zur Disposition steht das künftige Rentenniveau, und um den Jungpolitiker:innen aus den eigenen Reihen etwas Konkretes anzubieten, hat der Koalitionsausschuss beschlossen, aus den staatlichen Aktienbeständen zehn Milliarden Euro zum Aufbau der privaten Altersvorsorge der jungen Generation bereitzustellen. Die Details will Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) am 10. Dezember vorlegen. Linken-Fraktionschef Sören Pellmann sieht es so: „Die Union hat genau das bekommen, was sie wollte.“ Nun „ist ganze Klaviatur der Renten-Grausamkeiten auf dem Tisch, und die Rentenkommission hat daraus freie Auswahl“.
Es gibt allerdings auch eine andere Seite: Plötzlich ist da von der Einbeziehung der Beamten und Selbstständigen in das Rentensystem die Rede und von anderen Einkunftsarten wie Mieten oder Kapitaleinkünften. Das sind tatsächlich neue Töne. Ob sie bis zur nicht paritätisch besetzten Rentenkommission dringen werden, in der weder Sozialverbände noch Gewerkschaften vertreten sind? Sollte die Koalition die Rentenabstimmung überstehen, dürfte klar sein: Sie muss den jungen Freunden liefern. Und dann wird es wahrscheinlich richtig schmerzhaft für die Masse der derzeitigen – und künftigen – Rentner:innen.