Regierungskrise in Frankreich: Schon wollen sie ihn stürzen

Wie lange wird diese neue französische Regierung bestehen? Die wichtigste Frage nach der Nominierung von François Bayrou zum neuen Premierminister Frankreichs ist bereits die nach seinem möglichen Sturz. Das versteht auch Bayrou. „Jeder weiß, wie schwer meine Aufgabe ist“, sagte der Zentrumspolitiker. Er wolle aber nötige Kompromisse finden und das stark zersplitterte Parlament versöhnen.

François Bayrou ist den meisten Französinnen und Franzosen ein vertrauter Politiker. Vor einigen Jahrzehnten war er Bildungsminister. Mit seiner Partei MoDem trat er bereits dreimal bei Präsidentschaftswahlen an. Und seit 2017 ist seine Fraktion in jeder Regierung von Präsident Emmanuel Macron vertreten. Seine Ernennung ist kein Neuanfang, den Macron noch kürzlich versprach. Bayrou bleibt ein treuer Gefolgsmann des Präsidenten.

Der 73-Jährige brachte sich über viele Jahrzehnte immer wieder für verschiedene politische Posten ins Gespräch – stets mit dem Hinweis, er würde die Beförderung annehmen, sofern sie dem Land diene. Diese allzu oft gehörte Formel inspirierte zahlreiche Karikaturen über den ewigen Anwärter. Politisch balanciert der Südfranzose stets zwischen fortschrittlichen und konservativen Ansichten: Beispielsweise sei er persönlich, wie er sagt, gegen Abtreibungen. Als Politiker befürwortet er aber ein generelles Recht auf den Abbruch einer Schwangerschaft. Er beschreibt sich als überzeugten Katholiken, will aber religiöse Symbole aus allen staatlichen Einrichtungen verbannen. In der Wirtschaftspolitik teilt er Macrons marktliberale Ansichten. Er befürwortet beispielsweise geringere Steuern für Besserverdienende und die umstrittene Rentenreform.

Aber offenbar war selbst Macron nicht hundertprozentig von Bayrou überzeugt: Nach Informationen der Tageszeitung Le Monde berief der Präsident heute Morgen Bayrou in den Élysée-Palast, um ihm im letzten Moment abzusagen. Bayrou soll daraufhin gedroht haben, mit seiner MoDem-Gruppe die Allianz mit Macrons Partei zu verlassen. Nach knapp zwei Stunden andauernder Diskussion bekam er den Posten.

Vor wenigen Tagen spottete die Zeitung Libération, wie schade es sei, dass Macron sich nicht selbst zum Premier berufen könne, dann hätte er sich doch längst selbst ernannt. Die Überspitzung trifft einen Punkt: Macron ernennt Premierminister, ohne den Ausgang der jüngsten Parlamentswahl zu berücksichtigen. Die Wählerinnen und Wähler haben im Sommer der Neuen Volksfront die meisten Stimmen gegeben. Kommunisten, Sozialisten, Grüne und Linke schmiedeten dieses Bündnis, um vereint gegen Le Pen zu kandidieren und bekamen die meisten Sitze. Trotzdem lehnte es Macron seitdem ab, einen Premier aus den Reihen der Volksfront zu ernennen. 

Erst ernannte er Michel Barnier zum Regierungschef. Einen Vertreter der konservativen Republikaner, die bei den Wahlen mit nur fünf Prozent der Stimmen auf dem vierten Platz landeten. Nun ist es ein Mann aus seiner eigenen Fraktion, die bei der Wahl auf den zweiten Platz kam.

Opposition droht mit Misstrauensantrag

Entsprechend klein ist der Spielraum für den neuen Premier. Für die großen Fragen, etwa ob angesichts der riesigen Staatsschulden die Steuern erhöht oder doch an Schulen zu sparen sei, gibt es aktuell keine Mehrheiten. Der neue Premierminister könnte daher zunächst Gesetze zu weniger kontroversen Themen wie Gesundheit- oder Europapolitik anstoßen. Doch wichtige Entscheidungen blieben dann aufgeschoben – wohl bis zur nächsten Parlamentswahl. Diese kann erst ein Jahr nach der vorherigen stattfinden, also frühestens im Juni 2025.

Bayrous Ernennung zog sich viele Tage hin. Andere potenzielle Kandidaten sagten öffentlich ab, wie etwa der frühere Außenminister Jean-Yves Le Drian. Schließlich wird sich Bayrou nach der überraschend ausgerufenen Neuwahl im Frühsommer in einer kaum zu lösenden Situation befinden: Bei der Wahl erhielt keine Fraktion die absolute Mehrheit. Jede Gruppe kann also mit wenigen Mitstreitern einen Misstrauensantrag durchbringen und den Premier stürzen. So wie es vergangene Woche mit dem Konservativen Barnier geschehen ist. 

Bayrou droht nun das gleiche Problem. Bereits wenige Minuten nach der Ernennung kündigten die linken insoumis an, einen Misstrauensantrag stellen zu wollen. Auch die Grüne Parteichefin Marine Tondelier kündigte an, sie werde  einem möglichen Misstrauensantrag zustimmen, wenn so wenig wie bislang für Rentner, ökologische Projekte und steuerliche Gerechtigkeit getan werde. Auch die Sozialisten stellten Forderungen: Bayrou dürfe nicht den Sonderparagrafen 49.3 nutzen, der es erlaubt, Gesetze am Parlament vorbei zu verabschieden. Macrons verschiedenen Regierungschefs nutzten diesen Paragrafen etwa, um die umstrittene Erhöhung des Renteneintrittsalters durchzubringen.

Seit ihrem Wahlsieg im Sommer fordert die Volksfront, als stärkste Kraft auch die Premierministerin zu stellen – so wie es in Frankreich und allen westlichen Demokratien üblich ist. Macron aber fürchtet offenbar einen solchen links-grünen Regierungschef. Denn das Programm der Volksfront sieht vor, die wesentlichen Reformen seiner Amtszeit abzuwickeln: Die Volksfront will die gegen großen Widerstand beschlossene Rentenreform zurücknehmen und das Alter wieder auf 62 Jahre senken, sie will die einst von Macron reduzierte Vermögenssteuer erhöhen und mehr Lehrerinnen und Lehrer einstellen.

Auch Marine Le Pen verfolgt ihre eigene Agenda. Sie wolle die neue Regierung nicht per se stürzen. Ohnehin ist schwer vorstellbar, dass Le Pen Bayrou sehr viel länger im Amt lässt als seinen Vorgänger. Zwar war Barnier auf Le Pens Drängen hin inhaltlich so weit nach rechts gerückt wie kein anderer Premier vor ihm. Beispielsweise wollte er die medizinische Versorgung von kranken Flüchtlingen stark einschränken. Trotzdem stimmte die Rechtsextreme für die Entlassung von Barnier. Und auch heute drohte Sie wenige Minuten nach der Ernennung von Bayrou auf X: „Jede Regierung, die den Macronismus weiterführt, wird scheitern.“

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