Kurz vor Jahresende hat die EU noch einen Kompromiss über ein lange umstrittenes Gesetzesvorhaben erzielt. In der Nacht auf Donnerstag einigten sich die Unterhändler von EU-Parlament und Mitgliedstaaten in Straßburg auf eine endgültige Fassung der sogenannten Kleinanlegerstrategie. Ihr Ziel ist es, Privatinvestoren besser zu schützen. Vor allem sollen Anbieter und Vermittler von Finanzprodukten stärker verpflichtet werden, potentielle Kleinanleger über die Risiken dieser Produkte besser zu informieren.
Von beiden Verhandlungsseiten hieß es, die neue Richtlinie solle für mehr Schutz, Transparenz und Fairness sorgen. Vertreter der Finanzbranche wiederholten dagegen ihre Kritik, das Gesetz bleibe ein „Bürokratiemonster“. Nach der Einigung der Unterhändler müssen nun noch das Parlamentsplenum und der Ministerrat als Vertretung der Mitgliedstaaten zustimmen. Das gilt als Formsache.
Ein Schritt Richtung Kapitalmarktunion?
Das neue Gesetz lässt sich als Versuch lesen, die EU-Kapitalmarktunion voranzutreiben. Deren Hauptzweck besteht darin, mehr Anleger zu Investitionen an den europäischen Kapitalmärkten zu veranlassen und den Kapitalabfluss aus der EU in Drittländer zu bremsen. Dieser beträgt derzeit jährlich etwa 300 Milliarden Euro.
Damit auch Kleinanleger zu diesem Ziel beitragen könnten, müssten sie gut beraten werden, hieß es in einer Parlamentsmitteilung. „Gleichzeitig eröffnen wir europäischen Sparern die Chance, ihre hohen Sparquoten besser zu nutzen, höhere Renditen zu erzielen und wirksamer fürs Alter vorzusorgen“, sagte der in den Verhandlungen für seine Fraktion federführende CDU-Abgeordnete Ralf Seekatz.
Das Vorhaben hat eine längere Vorgeschichte, die sich in einem Streit zwischen der damaligen Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness und der Finanzwirtschaft niederschlug. Die Irin hatte sich 2022 zunächst für ein Verbot der provisionsbasierten Anlageberatung eingesetzt.
Ihre Begründung war, dass Berater, die für den Verkauf „eigener“ Produkte Provisionen erhalten, nicht objektiv seien. Die Vermittlungsgebühren verursachten für Kleinanleger im Schnitt 35 Prozent höhere Kosten im Vergleich zu einer unabhängigen Honorarberatung. Oft trauten sich die Kunden nicht, nach der genauen Höhe der Kosten zu fragen.
Finanzberatung mit Provision oder auf Honorarbasis?
Die Branche protestierte daraufhin massiv gegen die Verbotspläne. So beschworen mehrere deutsche Verbände den Abbau von Zehntausenden Arbeitsplätzen und eine „Beratungswüste“ in Deutschland. Wegen dieses Widerstands war das Provisionsverbot schon im Kommissionsvorschlag für die Kleinanlegerstrategie vom Mai 2023 nur noch stark abgeschwächt enthalten.
Die Unterhändler von Parlament und Mitgliedstaaten haben es nun ganz vom Tisch genommen. Der CDU-Berichterstatter Seekatz begründete das damit, dass „Verbote in einer freien Marktwirtschaft kein geeigneter Weg“ seien und das Gegenteil dessen bewirkten, was mit ihnen angestrebt werde. „Gerade Kleinanleger mit geringerem Kapital verlieren den Zugang zum Kapitalmarkt oder werden in riskantere Produkte gedrängt.“
Neu eingeführt werden sollen erste EU-weite Regeln für den digitalen Vertrieb von Produkten über sogenannte Finfluencer. Solche Regeln bestehen bisher nur in einzelnen Mitgliedstaaten. Der CSU-Parlamentarier Markus Ferber sagte, der neue Rahmen bringe mehr Transparenz und Verantwortlichkeit in einen bislang weitgehend ungeregelten Bereich.
Finfluencer lassen sich für Fehlberatung schwer haftbar machen
Allerdings dürfte es schwierig bleiben, mit dem neuen Regelwerk Finfluencer haftbar für Fehlberatungen zu machen. Die Durchsetzung einer solchen Bestimmung orientiert sich wie bisher am jeweiligen nationalen Zivilrecht; ein Durchgriffsrecht der EU besteht nicht.
Die Reaktionen auf den Kompromiss spiegeln die unterschiedlichen Einschätzungen des Gesetzesvorhabens seit dessen Entstehen wider. Der SPD-Abgeordnete René Repasi lobte die Einigung als „klares Ja zu mehr Verbraucherschutz und fairen Finanzmärkten“. Diese dienten den Menschen, „nicht umgekehrt“.
Der CSU-Politiker Ferber sagte dagegen, das „lange und schwierige Gesetzgebungsverfahren“ habe von Anfang an vor allem im Versuch bestanden, einen „sehr schlechten Vorschlag der Europäischen Kommission zu korrigieren“. Dieser sei getragen von einer „fehlgeleiteten, übermäßig bevormundenden Vorstellung von Anlegerschutz“ und von zu wenig Vertrauen in informierte Anleger. „Ein großer Teil der Arbeit von Parlament und Rat bestand in Schadensbegrenzung.“
Der Streit über das neue Gesetz dauert an
Ferber stellte infrage, dass das Verhandlungsergebnis in der Summe einen erheblichen Fortschritt bedeute. „Es handelt sich um eine Richtlinie mit erheblichen Anpassungskosten für Unternehmen und Aufsichtsbehörden, während der konkrete Mehrwert begrenzt bleibt.“
Daher stelle sich die Frage, ob die überschaubaren Verbesserungen den „regulatorischen Kraftakt“ rechtfertigten oder ob es nicht besser gewesen wäre, einen neuen Anlauf zu nehmen. „In ihrer jetzigen Form wird die Kleinanlegerstrategie voraussichtlich nicht dazu beitragen, europäische Sparer zu Investoren zu machen und privates Kapital für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zu mobilisieren“, sagte Ferber.
Ähnlich äußerte sich der deutsche Fondsverband BVI. „Die EU hat die Chance vertan, ein überflüssiges Gesetzesvorhaben und damit neue Bürokratie zu verhindern. Die Kleinanlegerstrategie verursacht mehr Aufwand als Nutzen, und praktisch alle Beteiligten sind mit ihr unzufrieden. Leider beweist die EU damit, dass sie die Dringlichkeit des Bürokratieabbaus nicht wirklich verstanden hat“, sagte BVI-Hauptgeschäftsführer Thomas Richter.