Es war einmal ein ranghoher AfD-Politiker, der uns im Vertrauen gestand, er würde für dieses Land nicht kämpfen wollen. Im Sinne der Landesverteidigung. Er würde sein Leben nicht riskieren wollen, damit dieses Land nicht von Russland überrannt wird, und das seiner Kinder schon gar nicht.
Dieser AfD-Politiker argumentierte nicht pazifistisch. Er behauptete nicht, ein zu sensibles Gewissen zu haben, um ein Sturmgewehr in die Hand zu nehmen, wie es Kriegsdienstverweigerer früher taten. Er sagte etwas anderes: Diese Bundesrepublik war ihm zu woke, zu links, zu liberal, zu sehr von den Falschen regiert, als dass er für so einen Staat sein Leben oder das seiner Kinder einsetzen wollte.
Das war also eine neue Form der Kriegsdienstverweigerung, eine rechte. Nicht aus einer Haltung der Gewaltlosigkeit heraus, wie am Freitag beim „Schulstreik gegen Wehrpflicht“, sondern aus einer der Verachtung für die demokratisch ausgehandelte Ordnung.
Die F.A.S. wollte wissen, ob der AfD-Politiker ein Einzelfall ist oder ob es andere gibt, die genauso denken. Also stellten wir sämtlichen Mitgliedern der AfD-Bundestagsfraktion dieselbe Frage: Würden Sie im Falle eines Krieges unter dieser Regierung für Deutschland kämpfen?
Der Zusatz „unter dieser Regierung“ hatte seinen Sinn. Schließlich handelte die Frage davon, was für einen Menschen zuerst kommt: das Land oder die Weltanschauung. Ob jemand, wenn russische Artillerie in Brandenburg steht, noch darüber nachdenkt, dass sein Nachbar mal grün gewählt hat, oder ob dann alle zuerst Deutsche sind, die Grünen, die Linken, die mit Vornamen Mohammed und die von der AfD.
Zwei Sorten von AfD-Abgeordneten antworteten sehr schnell: die früheren Soldaten und die Älteren. Volker Scheurell zum Beispiel schrieb: „Ich war nie Soldat und bin fast 60 Jahre alt. Aufgrund einer beschädigten Hüfte und langjähriger Knieprobleme durch viele Jahrzehnte körperlich schwere Arbeit bin ich gesundheitlich nicht in der Lage, militärischen Dienst zu leisten.“
Die früheren Offiziere, die es in der AfD-Fraktion gibt, zögerten keine Sekunde. Rüdiger Lucassen, Oberst a. D., antwortete: „Wenn ich als Soldat in den Einsatz gehe, dann für Deutschland, mein Vaterland.“ Jan Nolte, Oberbootsmann a. D., erklärte: „Wenn die territoriale Integrität Deutschlands oder das Leben Deutscher bedroht sind, stünde ich ohne jeden Zweifel bereit.“ Daniel Zerbin, Oberstleutnant der Reserve, schrieb: „Als Offizier habe ich einen Eid auf die Bundesrepublik Deutschland und das deutsche Volk geleistet. Dieser gilt.“
Ähnlich formulierte es Kurt Kleinschmidt, Oberstabsfeldwebel der Reserve, und präzisierte auf Nachfrage: „Es gab, gibt und gäbe keine Begründung für mich, zu selektieren, wen ich und wen ich nicht als Soldat verteidigen sollte.“ Julian Schmidt, Zeitsoldat a. D., erklärte: „Ich habe als Soldat geschworen, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Dieser Eid ist völlig unabhängig davon, wie ich persönlich die Politik der in diesem Fall amtierenden Bundesregierung bewerte.“ Klarer konnte man nicht antworten.
„Ich empfehle jedem jungen Menschen, den Dienst zu verweigern!“
Es gab aber auch Nein-Sager: Otto Strauß zum Beispiel. Oder Matthias Moosdorf, früherer außenpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion und von Beruf Solocellist: „Die Antwort lautet Nein! Diese Regierung und ihre kopflose Hysterie ist mehr Feind als alles was da bisher von ihr hingehängt wurde. Auch meine Kinder werde ich nicht in diese Richtung erziehen. Und ich empfehle als Mitglied des Bundestages jedem jungen Menschen, den Dienst für die derzeitigen Schwachköpfe zu verweigern! Ihren angerichteten Dreck müssen sie schon selbst wegfegen.“ Da war sie wieder, diese neue, sehr spezielle Form der Kriegsdienstverweigerung.
Manche in der AfD-Fraktion würden Moosdorf als isolierte Figur bezeichnen. Er spricht also für niemanden außer für sich selbst. Was sollte aus der Äußerung eines Einzelnen folgen, wenn sie gegen so viele stramm stehende Reservisten und frühere Soldaten stand? Antwort: nichts.
Noch nicht einmal ein Dutzend Abgeordnete wollten der F.A.S. auf ihre Frage antworten. Genau genommen waren es 11 von insgesamt 151 Abgeordneten. Eine seriöse Aussage lassen so geringe Zahlen nicht zu. Die Antworten waren schlicht nicht repräsentativ. Die Recherche der F.A.S. war gescheitert. Vorerst jedenfalls.
Dann kam Beatrix von Storch. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende machte sich auf der Plattform X über die F.A.S. lustig und schrieb: „Ich habe gerade eine Anfrage von Justus Bender, F.A.Z., erhalten: ‚Bitte eine Ja- oder Nein-Antwort: Würden Sie im Falle eines Krieges unter dieser Regierung für Deutschland kämpfen?‘ Meine Gegenfrage an Justus Bender: ‚Würden Sie im Falle eines Krieges unter einer AfD-Regierung für Deutschland kämpfen: Ja- oder Nein-Antwort‘.“
Mehr als 100.000 Menschen schauten sich den Post an, Tausende AfD-Anhänger likten ihn, über 200 kommentierten ihn hämisch – etwa deshalb, weil der Autor selbst Zivildienst geleistet hatte und nicht bei der Truppe war. Beatrix von Storch garnierte ihren Post mit drei Tränen lachenden Emojis. Eine Antwort auf die Frage gab sie nicht.
Die AfD-Pressestelle empfahl, nicht auf unsere Frage zu antworten
Dann klingelte das Telefon, es war eine Berliner Nummer der AfD-Fraktion. Eine freundliche Kontaktperson der F.A.S. meldete sich und wollte einen Tipp geben. Ob wir wüssten, dass es eine Empfehlung gegeben habe, die Anfrage nicht zu beantworten? Nein, das hatten wir nicht gewusst. Wir hatten die Frage nicht für so gefährlich gehalten, dass eine Antwort die AfD in Bedrängnis bringen könnte.
Tatsächlich hatte aber der Pressesprecher der AfD-Fraktion, Marcus Schmidt, am Dienstag um 12 Uhr an alle Fraktionsmitglieder geschrieben: „Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat am Montag eine Anfrage an alle Fraktionsmitglieder verschickt, in der die Bereitschaft abgefragt wird, in einem Krieg zu kämpfen. Die Pressestelle empfiehlt, auf die Anfrage nicht zu antworten.“ So steht es in der E-Mail, die der F.A.S. zugespielt wurde.
Die Recherche war also gescheitert, weil sie von der AfD-Pressestelle sabotiert wurde. Wir fragten uns, warum Schmidt diese Empfehlung gegeben hatte, aber das wollte er uns nicht sagen. Telefonisch war er mehrfach nicht zu erreichen, er war stets „im Gespräch“, und gab auch auf eine E-Mail keine Antwort. Wir fragten uns: Welches Risiko hatte Schmidt gewittert? Welche Antworten hätten der AfD geschadet?
Zur gleichen Zeit füllten sich auf X die Kommentarspalten unter dem Beitrag von Beatrix von Storch. Aufgebrachte Anhänger hatten das Bedürfnis, die Frage, um die Storch sich drückte, selbst zu beantworten. Ein „Tober“ schrieb: „Meine Antwort ist Nein bei Altparteien-BRD und Ja bei Deutschland (AfD)“. Ein Willi Hartmann sagte: „Wie soll man unter einer antideutschen Regierung für Deutschland kämpfen? Die Frage ist gegenstandslos.“ Ein Thomas Wachsmuth erklärte: „Ich würde nicht gegen die Russen kämpfen, eher gegen diese Regierung! Deutschland wieder vom Linksfaschismus befreien.“
Michi Nau schrieb: „Nein, unter dieser Regierung würde ich nicht für Deutschland kämpfen.“ Rene Beccard schrieb: „Natürlich nicht. Mal ernsthaft die Frage: Was sollen wir noch verteidigen?“ Ein Achijah Zorn erklärte: „Wenn der Krieg gegen Berlin und Brüssel ginge, um unser Land gegen die Politelite im Elfenbeinturm zu verteidigen, könnte man überlegen.“ Und ein „hanshatdurst“ schrieb: „Meine Antwort: Wer für Deutschland kämpfen will, muss gegen diese Regierung kämpfen. Denn sie führt den Krieg gegen das deutsche Volk.“
Das waren ganz andere Antworten als die der früheren Militärs. Wer sagt, dass er lieber gegen das eigene Volk kämpfen würde als gegen Russland, ist der Definition nach kein Patriot. Manches von dem, was die Anhänger von Beatrix von Storch da schrieben, war schlicht Landesverrat. „Kerstin“ erklärte: „Also ich persönlich zeige dem Feind den Weg nach Berlin.“ Dazu ein Tränen lachender Smiley.
Höcke knüpft den Wehrdienst an politische Bedingungen
Am Mittwoch verschickte der thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke eine Pressemitteilung, die als unbeabsichtigte Antwort auf unsere Frage gelesen werden konnte: „Bevor auch nur ein einziger junger Mensch zwangsweise wieder in Uniform antreten soll, muss dieser Staat endlich wieder ein Staat für die Deutschen werden.“ Die Loyalität zum Land wird von Höcke an politische Bedingungen geknüpft.
Höcke ist aber nur ein Landesvorsitzender von vielen. Die Frage ist, wie vielen Politikern seiner Partei er damit aus dem Herzen spricht. Was also die denken, die der F.A.S. nicht geantwortet haben, weil die Pressestelle es ihnen so empfohlen hatte.
Wer in der AfD-Fraktion vertraulich nachfragt, bekommt einen Hinweis. Mitte Oktober wurde in einer Fraktionssitzung diskutiert, ob die AfD die Wiedereinführung der Wehrpflicht beantragen sollte im Bundestag. Das wäre ein kluger Schachzug gewesen, die AfD hätte die Koalition vorführen können. Die CDU ist dafür, die SPD dagegen, der AfD-Antrag hätte wie ein Keil gewirkt. Bei der allgemeinen Wehrpflicht geht es im Kern um die gleiche Frage, die wir den AfD-Abgeordneten gestellt hatten, nur auf das gesamte Volk bezogen: Wären die Deutschen bereit, für dieses Land zu kämpfen?
Bei der AfD steht die Wehrpflicht im Grundsatzprogramm. Angeblich gehört sie also zum politischen Fundament. Aber als es ernst wurde und in der Fraktion diskutiert wurde, die Wiedereinführung der Wehrpflicht zu beantragen, waren auf einmal AfD-Abgeordnete dagegen. Sehr viele sogar. Manche sagen, dass 60 Prozent der Abgeordneten gegen die Wehrpflicht waren, vielleicht sogar 70 Prozent. Einer erklärte, in seinem Ost-Wahlkreis würden ihn die Leute „umbringen“, wenn er für die Wehrpflicht stimmte.
Es gab eine hitzige Diskussion. Die Befürworter einer Wehrpflicht sagten, die AfD müsse bei ihrem Grundsatzprogramm bleiben, das schade sonst bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg im nächsten Jahr. Das verhallte. Abgeordnete aus dem Osten hatten eine Resolution gestartet, ihr Slogan lautete: „Keine Wehrpflicht für fremde Kriege!“
Der Parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann sagte nach der Fraktionssitzung, es gebe „Bedenken, ob man dieser Regierung unsere jungen Leute anvertrauen kann“. Statt mit dem Thema die Koalition zu spalten, hatte die AfD einen Keil in ihre eigene Fraktion getrieben, ihr Grundsatzprogramm verraten und die eigene Parteiführung entzweit.
Zwei AfD-Vorsitzende, zwei Meinungen zur Wehrpflicht
Die AfD hat zwei Sprecher. Der eine, Tino Chrupalla, sagte im Sommer 2024 in der ARD: „Ich persönlich bin aktuell gegen die Einführung der Wehrpflicht.“ Die zweite, Alice Weidel, sagte damals im ZDF: „Natürlich gilt die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Das steht bei uns im Programm.“
Manche AfD-Mitglieder fühlen sich nun wie im falschen Film. Sie waren Bundeswehroffiziere, haben gedient, wollten in eine patriotische Partei eintreten, die stramm rechts ist, und sehen sich auf einmal Menschen gegenüber, die für eine devote Haltung gegenüber Russland eintreten, die Wehrpflicht ablehnen und das Vaterland kampflos seinen Feinden überlassen wollen. Für sie ist Moosdorf oder Chrupalla eine Zumutung.
Das Dilemma ist aber größer. Frühere Soldaten, die heute in der AfD sind, fühlen sich auch von der anderen Seite verstoßen. Sie sind in der Truppe nicht mehr willkommen. Sie sind Rechtsextreme und stünden sofort auf Listen des Militärischen Abschirmdienstes. Ihre Loyalität, für die sie gegen die Moosdorfs und Chrupallas ihrer Partei kämpfen, stößt auf keine Gegenliebe.
„Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“?
Was Kriegsdienstverweigerer aus der AfD sagen, passt eigentlich nicht zu dem, was sie an anderer Stelle fordern. In der Migrationspolitik hatten sie immer getönt, Neubürger würden im Zweifelsfall nicht loyal sein gegenüber Deutschland. Im AfD-Milieu wird oft eine Parole skandiert: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!“ Damit sind alle gemeint, denen Illoyalität gegenüber dem Vaterland unterstellt wird, also Migranten und Linke. Wenn AfD-Anhänger nun sagen, sie kämpften lieber gegen die eigene Regierung als gegen Russland, gehören sie selbst zu denen, die das Land verlassen sollen.
Beatrix von Storch hatte auf X eine Gegenfrage gestellt: „Würden Sie im Falle eines Krieges unter einer AfD-Regierung für Deutschland kämpfen?“ Der Zusatz „unter einer AfD-Regierung“ hatte auch seinen Sinn. Er sollte den Befragten testen, ob dieser Nein sagt, weil er die AfD kritisiert und damit genauso seine Parteipräferenz über das Land stellt. Genau so wie manche AfD-Anhänger es getan hatten.
Das Argument funktioniert nur, wenn eine AfD-Regierung das Gleiche wäre wie eine Regierung jeder anderen Partei. Das ist sie aber nicht. Der Verfassungsschutz hat festgestellt, dass die Partei die Menschenwürde und das Demokratieprinzip angreift. Deshalb bringt Storchs Frage auch aktive Soldaten in Not. Für die Ziele einer rechtsextremen Partei dürften Bundeswehrsoldaten nicht kämpfen. Paragraph 8 des Soldatengesetzes lautet: „Der Soldat muss die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung eintreten.“
Offenbar sind nicht alle in der AfD dazu bereit. Einer sagt: „Glauben Sie, dass ein AfD-Mitglied seine Kinder für die Verteidigung dieser Diversität und dieses woken Unsinns hergeben würde? Ich würde meinem Sohn verbieten da hinzugehen. Mit Pazifismus hat das gar nichts zu tun.“
Source: faz.net