Eine Gruppenschau heute mit queeren Künstlerinnen und Künstlern einzurichten, um ihre Werke sichtbar zu machen, wäre keine interessante Idee. Viele von ihnen sind ja überall sichtbar, werden in Museen gefeiert, schreiben am Kanon der Gegenwart mit. Weniger bekannt sind hingegen die Namen derer, die vor rund hundert Jahren ihre Neigung verstecken mussten und Scheinehen eingingen, weil Homosexualität unter Strafe stand. Ihnen bereitet die Düsseldorfer Ausstellung „Queere Moderne“ mit Beiträgen von 34 Künstlerinnen und Künstlern aus dem Zeitraum von 1900 bis 1950 eine Bühne. Manche sind sicherlich auch mangels Klasse nicht geläufig, Mittelmaß gibt es aber auch in der Gegenwartskunst, die trotzdem etwas Interessantes über den Zeitgeist berichten kann.
Die von Isabelle Malz und Anke Kempkes kuratierte Schau fügt sich in ein Programm der Kunstsammlung, Moderne und Gegenwart seit einigen Jahren globaler, pluralistischer zu denken. Das bedeutet in der Klassiker-Kollektion vor allem anders sammeln, bewahren und ausstellen als zu Zeiten des Gründungsdirektors Werner Schmalenbach, der vom Parnass auf das Treiben der Kunstwelt schaute, der Kunstsammlung damit aber eine singuläre Perlenkette von „Masterpieces“ – sein Sprachgebrauch – sicherte. Ein großer Beirat für eine Ausstellung wie jetzt die „Queere Moderne“ wäre für ihn völlig undenkbar gewesen. Aber zur Eröffnung strömten mehr Menschen als zur vorangegangen Chagall-Ausstellung, das will etwas heißen, der Katalog wird bereits nachgedruckt. Besucht wird die LGBTQ+-Schau von einem jungen, interessierten Publikum (m/w/d), man kann den Eindruck gewinnen, dass viele sie als Bestätigung, gar als Empowerment aufnehmen.
Sapphische Szenen und surreale Welten
Im Katalog werden die persönlichen Netzwerke in London, Paris, New York, Berlin und den Niederlanden rekonstruiert, in der Ausstellung bildet die französische Metropole das Zentrum. Stilistisch wirkt vieles aus der Zeit gefallen, sehr divers, in Kapiteln über ein „modernes Arkadien“, eine „sapphische“, also lesbische Szene oder „surreale Welten“ malten viele Künstlerinnen und Künstler einfach naturalistisch, symbolistisch, impressionistisch weiter, scherten sich nicht um die herrschenden Avantgarden – wie der New Yorker Paul Cadmus, der 1951, zu Zeiten des Abstrakten Expressionismus, zwei entblößte, sehr gut gebaute junge Männer in einem süßlichen Naturalismus im Badezimmer zusammenbringt.
Zu Anfang des Jahrhunderts knüpfen die Maler an Vorbilder wie Paul Cézanne und den Topos der Badenden an wie Ludwig von Hofmann mit drei Jünglingen an einer „Quelle“ von 1913, die überm Schreibtisch von Thomas Mann hing. Bei Dame Ethel Walker und ihrem „Ausflug der Nausicaa“ von 1920 könnte ein Puvis de Chavanne Pate gestanden haben, während sich Marie Laurencin 1910 Picassos Schlüsselbild „Les Demoiselles d’Avignon“ aus dem Jahr 1907 aneignet und „Junge Frauen“ in eine kubistische Landschaft stellt. Den malerischen Maßstab setzt hier Lotte Laserstein: Sie präsentiert sich 1929/30 mit ihrer Partnerin Traute Rose an der Staffelei. Die beiden Frauen bekunden ihre Zuneigung in einem melancholischen Kolorit, als die späte Weimarer Republik ein modernes Arkadien nicht mehr darstellte.
Einige Hingucker der Schau: Romaine Brooks greift für ihr Bildnis der Markgräfin Casati auf den Symbolismus zurück, malt sie aber zugleich schon wie einen Ziggy Stardust. Hinreißend zeichnet Jean Cocteau seine erotischen Phantasien über einen Küchenjungen in einem Hotel oder den Schauspieler Édouard Dermit als liegenden Akt, den man glatt für eine Zeichnung Warhols halten könnte. Klein im Format, großartig in der Wirkung sind die Stillleben und Porträts der non-binären, androgynen Persona namens Gluck, geboren 1895 in London als Hannah Gluckstein; erotisch die Pflanzen von Louise Janin, einer Amerikanerin in Paris; theatralisch ist die Beweinung eines „sterbenden Dandy“ des dänischen Malers Nils Dardel. Dann sind da noch die „Inneren Landschaften“ von Pavel Tchelitchew, subtile Selbstbefragungen des eigenen Selbst. Einen Kopf, vielleicht seinen eigenen, malt der russischstämmige Amerikaner 1947 wie ein farbiges Röntgenbild, von Energie durchströmt, der neue, nervöse Mensch seiner Zeit.
Selbst eine queere Abstraktion gibt es zu vermelden. So malt die britische Künstlerin Marlow Moss Kompositionen à la Piet Mondrian und ergänzt sie um vertikale Doppellinien, um damit die Gleichheit der Geschlechter zu behaupten und Mondrian zu widersprechen: Der hatte Waagerechte und Senkrechte als weiblich und männlich definiert, sicherlich nicht die stärkste Pointe seines Œuvres. Fazit: Von so manchen dieser Künstlerinnen und Künstler dürfte man demnächst in monographischen Ausstellungen mehr zu sehen bekommen.
Source: faz.net