Es ist ein elegantes Resort am Fuße von Dreitausender-Bergen im Kaukasus, das Russlands Präsident für seine Botschaft an die Welt gewählt hatte. Das „Poljana“-Hotel, 1.389 Meter über dem Meeresspiegel, oberhalb von Sotschi am Schwarzen Meer, ist bewacht wie eine Festung.
Russland sei ein Partner für mehr Balance in der Welt
Der Putin-Auftritt auf der alljährlichen Konferenz des Internationalen Waldai-Klubs in Krassnaja Poljana war mit Spannung erwartet worden. Eröffnet am 29. September, nahmen daran 140 Experten aus 47 Ländern teil, die über Perspektiven einer „multipolaren Welt“ diskutierten. Weit stärker als früher waren Afrika und Asien präsent, besonders Indien und China. Der Waldai-Klub lädt seit 2004 Wissenschaftler, Politiker und Journalisten aus verschiedenen Kontinenten dazu ein, sich mit Weltpolitik zu beschäftigen.
In seinem knapp einstündigen Vortrag beschrieb Putin die „Multipolarität“ als Folge der früheren globalen US-Hegemonie nach dem Ende des Kalten Krieges. Nun befinde sich die Welt in einer Lage, „die sich schnell kardinal ändert“. Er empfahl sein Land als Partner für mehr „Balance in der Welt“. Der Versuch westlicher Staaten, Russland zu isolieren, sei „völlig gescheitert“. Man benötige jetzt eine „Renaissance der diplomatischen Kunst“ mit der Fähigkeit, einen Konsens auch mit Gegnern zu finden. Gebraucht würden „Vereinbarungen, die alle zufriedenstellen“ – ein vager Hinweis auf Verhandlungsbereitschaft.
Trump könne zuhören, bescheinigt Putin dem US-Präsidenten
Nötig sei eine „gemeinsame konstruktive Suche“ nach „unteilbarer Sicherheit“. Dies gelte auch für die „schreckliche ukrainische Tragödie“. Der Krieg habe „leider“ noch nicht beendet werden können, weil Europa den Konflikt durch Waffenlieferungen anheize.
Faktisch kämpften in der Ukraine „alle Länder der NATO gegen Russland“. Er hoffe dennoch, dass die „Führer des Kiewer Regimes“ sich dazu „durchringen, am Verhandlungstisch zu sitzen“. Dazu könne auch beitragen, dass die neue Führung der USA „vernünftig“ an den Ukraine-Konflikt herangehe, „ausgehend von nationalen Interessen“.
Er, so Putin, wolle weiter mit Donald Trump an einer Verhandlungslösung arbeiten, auch wenn dies „schwierig“ sei. Er habe Trump als „komfortablen Gesprächspartner“ erlebt, der zuhöre und ihn im Gespräch nicht unterbrochen habe.
Die Warnung geht an den Westen vor einem „Weg in die Eskalation und hin zu großen militärischen Konflikten“. Wenn deutsche Politiker davon sprächen, die Bundeswehr solle „die stärkste Armee Europas“ werden, so verfolge man dies in Russland sehr genau.
Die Antwort, so Putin, werde „nicht auf sich warten lassen“. Die Zwischenfälle mit Drohnen in Dänemark und Norddeutschland stufte er als „Provokationen“ ein, die dazu dienten, das Feindbild Russland zu pflegen. Manche europäische Politiker versuchten, so Putin, mit dem Bild von einer russischen Bedrohung von den wachsenden Spannungen innerhalb der EU abzulenken. Doch würden in Europa, „darunter auch in Frankreich und Deutschland“, politische Kräfte stärker, die „an den nationalen Interessen“ orientiert seien.
Russland will seine sozialökonomische Stabilität bewahren
Zur russischen Ökonomie sagte Putin, seine Regierung setze auf eine „Diversifizierung“, auf mehr Hochtechnologien und darauf, die Arbeitsproduktivität zu steigern. In der Finanzpolitik gelte es, die Inflation zu senken, aber zugleich ein positives Wachstumstempo zu sichern.
Auf seinem Treffen hatte der Waldai-Klub seinen analytischen Jahresbericht mit dem Titel „Dr. Chaos oder: Wie man aufhört, sich Sorgen zu machen und die Unordnung liebt“ vorgestellt. Der unter Federführung des Moskauer Politologen Fjodor Lukjanow entstandene Bericht konstatiert eine „rapide Erosion internationaler Institutionen“ und eine Zunahme „archaischer Konflikte“. Es drohe, „eine Serie von gewaltsamen, brutalen Zusammenstößen“. Dabei werde „der Einsatz von Gewalt dargestellt als eine Schlacht zwischen dem Guten und Bösen“ – als ein Kampf, der keinen Kompromiss zulässt.
In diesen Konflikten sei es für die Beteiligten nicht möglich, „sich eine Siegesstrategie zu sichern“. Dies sei auch im Ukraine-Konflikt nicht zu erwarten, der durch die Hoffnung auf eine russische Niederlage nur verlängert werde. Auch Russland werde, so die Einschätzung des Waldai-Klubs, „seine eigene sozialökonomische Stabilität nicht aufs Spiel setzen für einen entschiedenen Sieg in einem militärischen Konflikt“. Zu berücksichtigen sei dabei auch, dass die „Weltmehrheit“ sich weigere, in diesem Konflikt Partei für eine Seite zu ergreifen.
Den Dollar sehe man im globalen Süden als Risiko-Währung
Ansonsten reichte das Spektrum der Debatten von Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz über die Folgen des Wettrüstens, Nutzen und Gefahren von Migration bis zur Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte. Die Welt gehe, so Ranzy Ezzeldin Ramzy, einst Vizeaußenminister Ägyptens, „in eine Ära von Strongmen“, was Risiken etwa für die Pressefreiheit nach sich ziehe.
Ökonomische Fragen beherrschten die Debatten, an denen führende Fachleute aus der russischen Regierung teilnahmen. Kirill Dmitrijew, Direktor des Fonds für Direkte Investitionen und Bevollmächtigter des Präsidenten für Verhandlungen mit den USA, vertrat die These, der Dollar werde von vielen Ländern im globalen Süden als Risiko-Währung empfunden. Deshalb strebten immer mehr Staaten Geschäfte in nationaler Valuta an, was Moskau befürworte.
Zur finanziellen Stabilität Russlands sagte der Erste Vizepremier Alexander Nowak, derzeit verzeichne man eine „lenkbare Abkühlung“ der Wirtschaft. Die Inflation, die bei acht Prozent liege, werde bis Jahresende auf sechs bis sieben fallen, das Wachstum von momentan einem Prozent auf etwa vier 2026 steigen.
Maxim Oreschkin wirbt für Rückkehr westlicher Investoren
Probleme in der eigenen Wirtschafts- und Finanzpolitik räumte Maxim Oreschkin aus der Präsidentenadministration ein. Die Zahl der Rubelkredite wachse und heize die Inflation an. Zudem verlange der Gebrauch Künstlicher Intelligenz eine bessere Qualifizierung von Fachkräften. International komme die von Russland unterstützte Entwicklungsbank der BRICS-Länder nur langsam voran.
Dabei konterkarierte der Spitzenbeamte die russische Begeisterung für China mit der Prognose, dort würden gegen Ende des Jahrhunderts nur noch 500 Millionen statt anderthalb Milliarden Menschen leben, Afrika wachse weit stärker. Oreschkin, der als Wirtschaftsliberaler gilt, warb für die Rückkehr von Investoren aus dem Westen: „Wir haben die europäischen Unternehmen nicht hinausgeworfen. Sie haben die Zusammenarbeit aufgekündigt. Wir sind offen“.