Proteste in Georgien: Verbaut sich Georgien den Weg in die EU?

Mit wochenlangen Massendemonstrationen konnten die Georgierinnen und Georgier im vergangenen Jahr nur knapp ein Gesetz abwenden, welches die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen einschränken sollte. Der Entwurf galt als gescheitert – bis die Regierung ihn im April unter anderem Namen erneut einbrachte. Seitdem füllen sich die Straßen der georgischen Hauptstadt Tbilissi wieder allabendlich mit Protestierenden. Aber auch die Regierung gibt sich fest entschlossen. Worum geht es in dem Gesetz, und warum ist die Situation in diesem Jahr eine andere? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Welche Vorgeschichte hat das Gesetzesvorhaben?

Seit 2012 hat
die Partei Georgischer Traum die Mehrheit im georgischen Parlament inne.
Sie war damals als sozialdemokratisch geprägtes Parteienbündnis
angetreten, welches Georgien in Richtung EU führen wollte. Inzwischen
gilt die aus dem Bündnis hervorgegangene eigenständige Partei als
nationalkonservativ. Hinter dieser Entwicklung steht Bidsina Iwanischwili – ein Oligarch und Geschäftsmann mit Beziehungen nach Russland. Die Partei selbst pflegt einen unkritischen Umgang mit Russland.

Vor
gut einem Jahr hatte der Georgische Traum bereits versucht, das umstrittene „Gesetz zur Ausländischen Einflussnahme“ – bekannt geworden als „Agentengesetz“ –  zu verabschieden. Das konnte durch Massenproteste abgewendet werden und durch den Druck der EU, die den Kandidatenstatus Georgiens daran knüpfte, das Gesetz nicht zu beschließen. Das
Parlament lehnte das Vorhaben schließlich in der zweiten Lesung ab

In diesem Frühjahr brachte die Regierung das Gesetz unter dem leicht veränderten Namen „Transparenzgesetz zur Ausländischen Einflussnahme“ erneut ein. Als Grund dafür sieht Marcel Röthig, der die Situation in Tbilissi für die Friedrich-Ebert-Stiftung beobachtet, die bevorstehenden Parlamentswahlen im Herbst. Dabei will der Georgische Traum seine Macht weiter ausbauen.

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Worum geht es in dem Gesetz?

Das nun „Transparenzgesetz zur Ausländischen Einflussnahme“ betitelte Gesetz sieht neue Regeln für Nichtregierungsorganisationen und Medien vor. Wenn diese zu 20 Prozent oder mehr aus dem Ausland finanziert werden, müssen sie sich laut dem Entwurf als sogenannte „Vertreter
von Interessen ausländischer Kräfte“ registrieren. Zudem müssen sie über die
Herkunft ihrer Finanzen Rechenschaft ablegen. Verstöße sollen mit
Geldstrafen von bis zu 25.000 Lari (9.000 Euro) geahndet werden.

Das Gesetz betrifft den Großteil der zivilgesellschaftlichen Organisationen in Georgien. Das in Tbilissi ansässige Civil Society Institute schätzt, dass 95 Prozent der NGOs finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten. Viele Projekte
zur Demokratieförderung in der ehemaligen Sowjetrepublik arbeiten mit
Geld aus EU-Staaten oder den USA.

Schon jetzt gibt es umfangreiche Offenlegungsrichtlinien für NGOs in Georgien. Diese müssen gegenüber den Behörden angeben, von wem sie Geld erhalten, wie hoch die Summen sind und wofür sie diese verwenden. Ändern würde sich aufgrund des Gesetzes vor allem die öffentliche Sichtbarkeit von Finanzflüssen und dass sich die Organisationen als „Einflussagenten“ registrieren lassen müssten.

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Was sind die wichtigsten Kritikpunkte an dem Gesetz?

Kritikerinnen und Kritiker bezeichnen den Entwurf als „russisches Gesetz“. Der Vorstoß ähnelt einer Regelung, welche die russische Regierung im Jahr 2012 verabschiedet hatte. Mit dem sogenannten Ausländische-Agenten-Gesetz stoppt sie seitdem ausländische
Geldflüsse und verfolgt prowestliche Kräfte. Auch diskreditiert sie
Regierungskritiker aus NGOs und Zivilgesellschaft als aus dem Ausland
gesteuert.

Marcel Röthig von der Friedrich-Ebert-Stiftung befürchtet eine ähnliche Entwicklung in Georgien, sollte der Gesetzentwurf in Kraft treten. Vor allem wegen des Wortlauts. Der Gesetzestext lese sich weniger wie ein Versuch, mehr Transparenz zu schaffen, sondern eher wie eine Regelung, „Organisationen als Vertreter fremder Mächte zu verleumden“, sagt er. Eine Umweltschutzorganisation etwa, die Finanzhilfen aus Schweden bekomme, müsste sich aufgrund des Gesetzes als Vertreterin schwedischer Interessen ausweisen. Die Arbeit von NGOs im Allgemeinen werde dadurch stigmatisiert und bedroht.

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Welche Folgen hat das Gesetz für den möglichen georgischen EU-Beitritt?

Nach
langjähriger Annäherung an die EU reichte Georgien angesichts des
russischen Großangriffs auf
die Ukraine im Frühjahr 2022 sein Beitrittsgesuch beim Europäischen Rat
ein. Im vergangenen Dezember erkannte die Europäische Kommission das
Land offiziell als Beitrittskandidat an. Allerdings übermittelte das
Gremium dazu eine Liste mit neun Punkten, welche die Regierung erfüllen
sollte, damit Anfang kommenden Jahres die Beitrittsgespräche aufgenommen
werden können.

Das geplante Gesetz verstößt gegen zwei der neun Punkte –
diese betreffen die Medienfreiheit und die Polarisierung. Deshalb
empfahl der Europäische Rat in einer Resolution Ende April, dass die Beitrittsgespräche mit Georgien nicht aufgenommen
werden sollten, sofern die Regierung das Gesetz final verabschiedet. „Der Beitrittswunsch wäre erst einmal auf Eis gelegt“,
sagt Stephan Malerius, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung Südkaukasus. Auch
gibt es offenbar Überlegungen, die bereits bestehenden
Visa-Liberalisierungen zwischen Georgien und der EU zurückzunehmen.

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Wann soll das Gesetz in Kraft treten?

Die Regierungspartei
Georgischer Traum strebt an, dass das Gesetz Mitte Mai in Kraft treten soll. Dann steht die dritte und letzte Lesung im Parlament an. In den beiden ersten Lesungen hatten die Abgeordneten den Entwurf bereits gebilligt.

Auf legislativer Ebene gibt es somit keine große Hürde mehr für die umstrittene Regelung. Zwar kann die proeuropäische
Präsidentin Salome Surabischwili ihr Veto einlegen,
allerdings verfügt die Regierung im Parlament über eine ausreichende
Mehrheit, um diesen Einspruch zu überstimmen. Hinzu kommt, dass der Oligarch Bidsina Iwanischwili das Gesetz in seiner programmatischen Rede Ende April zur Chefsache erklärt hatte. Laut Stephan Malerius gilt Iwanischwili als „De-facto-Entscheider der georgischen Politik“.

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Wie reagiert die georgische Zivilgesellschaft auf die Pläne der Regierung?

Seit April finden in der georgischen Hauptstadt Tbilissi Massenproteste statt, welche an die Versammlungen vom vergangenen Jahr erinnern. Während anfangs vor allem Studierende auf die Straßen gingen, beteiligen sich mittlerweile weitere Bevölkerungsschichten an den allabendlichen Protesten. Zudem werden die Protestformen vielfältiger. Anfangs fanden sich die Demonstrierenden spontan vor dem Parlament ein, inzwischen legen sie beispielsweise auch
zentrale Verkehrspunkte lahm. Zudem hat die Bewegung mittlerweile weitere Städte ergriffen. In Batumi, Kutaissi und Gori fanden zuletzt ebenfalls Proteste statt.

Auf den Bildern der Proteste in Tbilissi sieht man zahlreiche EU- und
Georgien-Fahnen. Die Menschen stellen sich mit Rufen wie „Nein zum
russischen Gesetz“ und „Fuck Putin“ klar gegen den vermuteten russischen
Einfluss. Konkret fordern sie, dass die Regierung zurücktritt und den Gesetzesentwurf zurückzieht. Stephan Malerius und Marcel Röthig beobachten eine deutliche Entschiedenheit in der Bewegung. Diese hat offenbar Rückhalt in der georgischen Bevölkerung. Immer wieder spricht sich eine große Mehrheit für einen EU-Beitritt aus – und damit gegen Tendenzen einer Orientierung nach Russland. Zuletzt sprachen sich bei einer Umfrage im vergangenen Jahr rund 75 Prozent für eine Mitgliedschaft in der EU aus.

Dennoch hat die Bewegung noch keinen revolutionären Charakter erreicht. „Was ich beobachte, ist aber trotzdem eine sehr Instagram-taugliche Form von Protest“, sagt Röthig. „Das heißt, die Menschen kommen jeden Abend auf die Straße, aber gehen dann auch wieder nach Hause.“ Er weist aber darauf hin, dass sich die Dynamik verändern könnte, wenn das Gesetz in der dritten Lesung am 17. Mai angenommen wird.

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Mit wochenlangen Massendemonstrationen konnten die Georgierinnen und Georgier im vergangenen Jahr nur knapp ein Gesetz abwenden, welches die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen einschränken sollte. Der Entwurf galt als gescheitert – bis die Regierung ihn im April unter anderem Namen erneut einbrachte. Seitdem füllen sich die Straßen der georgischen Hauptstadt Tbilissi wieder allabendlich mit Protestierenden. Aber auch die Regierung gibt sich fest entschlossen. Worum geht es in dem Gesetz, und warum ist die Situation in diesem Jahr eine andere? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

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