Protest von „Rheinmetall entwaffnen“: Sand ins Panzergetriebe

An die 100 schwarz gekleidete Demonstranten preschen mittags eine Straße in Köln-Kalk hinunter. Die Schals tief ins Gesicht gezogen, skandieren sie „Nie wieder Wehrpflicht“. Ihr Ziel: das Kalker Werk der Deutz AG. Ein Demons­trant entzündet einen Bengalo, ein anderer aus der Gruppe sprüht Parolen an eine Hauswand. An der Einfahrt der Fabrik verbarrikadieren sie sich hinter ihren Transparenten und verschließen das Werkstor mit einem Fahrradschloss. Nur wenige Minuten später springen behelmte Polizisten aus ihren Wagen und wollen die Blockade beenden.

Die Aktion ist eine der Protestformen, mit denen mehrere Hundert Aktivisten aus Deutschland, der Schweiz und Österreich eine Woche lang im Raum Köln gegen Militarisierung und Aufrüstung protestieren. Ein Zusammenschluss unter dem Namen „Rheinmetall Entwaffnen“, der sich als eine neue Antikriegsbewegung sieht. Bereits im Vorfeld wurde das Protestcamp durch die Versammlungsbehörde verboten. Nach wenigen Tagen kippte das Oberverwaltungsgericht Münster das Verbot.

Eine Gruppe von Arbeitern steht neben der Blockade und kommt nicht ins Fabrikgebäude. Einer sagt, er könne den Protest nachvollziehen, möchte aber nicht mit seinem Namen in der Zeitung stehen. „Wir wissen zwar noch nicht, was kommt, aber ich würde natürlich lieber Motoren für Autos als für Panzer bauen.“

Die Rüstungsbranche war für die Deutz AG bisher nur eine kleine Sparte, dieses Jahr kündigte das Unternehmen allerdings an, das Geschäft im Bereich Rüstung auszuweiten. In der Belegschaft sorgt dies für Gesprächsstoff. Der Fabrikarbeiter sagt: „Ich kann mir schon vorstellen, dass sich einige Kollegen dagegen wehren, aber der Chefetage geht es nun mal ums Geld.“ Es dauert Stunden, bis die Polizei die Blockade vor dem Werkstor beendet. Blockiert wird in dieser Woche nicht nur die Deutz AG in Kalk, sondern auch eine Bundeswehrkaserne und die Einfahrt eines Tochterunternehmens von Rheinmetall in Bonn. Zwischenzeitlich wird die Kölner SPD-Zentrale besetzt.

Rüstung treibt den Aktienkurs

Friedlicher geht es am Fuße des Kölner Fernsehturms „Colonius“ zu. Dort hat das Aktionsbündnis sein Camp errichtet. Zentral auf der Wiese steht ein Zirkuszelt, Stände verschiedener politischer Organisationen säumen den Weg hinunter zu den Schlafzelten. Über die Wiese schlendern junge Menschen in Jogginghosen und T-Shirts mit politischen Parolen wie „Free Palestine“ oder den Konterfeis von Marx und Engels, dazu häufig eine Kufija um den Hals. Laut den Veranstaltern kommen über die Woche etwa 1.500 Teilnehmer auf das Camp und damit fast doppelt so viele wie im Vorjahr in Kiel. Seit 2017 veranstaltet das Bündnis Protestcamps und Aktionen gegen die Rüstungsindustrie. Die steigenden Militärausgaben in Deutschland haben das Interesse am Camp erhöht.

Gekommen sind kommunistische und autonome Gruppen, Mitglieder der alten Friedensbewegung – ein Sammelsurium der linken Szene.

Eine der Teilnehmerinnen ist Matilde aus Leipzig, sie sitzt auf der Wiese und bemalt einen Panzer aus Pappe. Sie sagt: „Ich bin hier, weil ich sehe, wie immer mehr Geld in die Aufrüstung gesteckt und gleichzeitig beim Sozialen gekürzt wird.“ Ibo ist Student aus Berlin und stimmt ihr zu. Er kritisiert, dass der Krieg immer weiter normalisiert werde. „Ich sehe es nicht ein, für Profite von Rüstungskonzernen zu sterben“, sagt Ibo. Die Antworten wiederholen sich. Viele kritisieren das Sondervermögen der Bundeswehr und wollen die Aufrüstung stoppen.

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Bei reiner Kritik bleibt es jedoch nicht. Die Gruppe „Widerstandsnetzwerk Schweiz“ stellt im Zirkuszelt eine Analyse der aktuellen Weltlage vor. Alle Bänke im Zelt sind besetzt, zwischen den Reihen sitzen Zuhörer auf dem Boden. Der Schweizer erklärt am Mikrofon, dass die BRICS-Staaten die G7 wirtschaftlich überholt hätten. Dadurch sei ein imperialistischer Wettstreit ausgebrochen, der die Aufrüstung und Militarisierung zur Folge habe. „Auf diese Entwicklung müssen wir eine Antwort finden“, schließt er seine Analyse. Die Antwort bleibt aus und auch die Titel der Veranstaltungen zeigen, dass hier eine Bewegung noch nach dem eigenen Profil sucht. Die Workshops tragen Titel wie „Überblick Militarisierung“, „Was tun?“, oder „Bundeswehr stören – aber wie?“.

Doch ist es die Abschlussdemonstration, die im Gedächtnis bleibt. Zu dieser kommen am Samstag rund 3.000 Menschen. Bereits zu Beginn stehen Polizisten mit aufgesetzten Helmen zwei Meter neben dem Demozug Spalier. Immer wieder stoppen sie den Demonstrationszug. Wegen der Metallstangen, die als Fahnenstangen benutzt werden, wenig später wegen Vermummung, dann wegen verknoteter Transparente – und schließlich brennen im revolutionären Block ein Dutzend Rauchtöpfe und Bengalos.

Die Polizei hält bis zu 500 Demonstranten im Kessel

Zuerst dürfen die Demonstranten nach einiger Zeit weiterlaufen, doch nach einigen Hundert Metern ist Schluss. Die Polizei will den Lautsprecherwagen durchsuchen. Laut Aussagen der Polizei seien sie dabei angegriffen worden. Die Angreifer hätten versucht, die Waffen der Beamten zu stehlen. Statt der Waffen hätten die Angreifer den Polizisten zwei Schlagstöcke und eine Einsatzmappe entwendet. Es folgt ein zwölfstündiger Polizeikessel, bei dem die Polizei 500 Personen bis in die Morgenstunden festhält.

Anna Schmitz* ist eine von ihnen. Von dem Angriff auf die Polizisten hat sie nichts mitbekommen. Für sie war die Nacht „dystopisch“, so etwas habe sie bislang nicht erlebt. Die Polizei sei immer wieder brutal auf die Personen im Kessel losgegangen. Viele hätten sich bei den Festnahmen an anderen Demonstranten festgehalten, um zu zeigen, dass sie mit den Maßnahmen nicht einverstanden sind. „Dann haben die Polizisten auf alles und jeden rings um die Person eingeschlagen“, sagt Schmitz.

Die Linkenabgeordnete Lisa Schubert ist als parlamentarische Beobachterin die ganze Zeit, bis fünf Uhr früh, vor Ort gewesen. Sie stützt die Aussage der Demoteilnehmer und spricht von Polizeigewalt. Sie ergänzt, dass unter anderem ein Pressevertreter festgenommen worden sei und Sanitäter bei ihrer Arbeit behindert wurden.

In dem Vorgehen der Polizei sieht sie auch eine politische Schlagseite. „Nachdem das Verbot des Protestcamps nicht haltbar war, hat die Polizei alles getan, um den Protest einzuschüchtern und Gründe für zukünftige Verbote zu produzieren“, sagt Schubert. Die Polizei spricht im Anschluss von zwölf verletzten Beamten, von denen vier den Dienst beenden mussten. Die Sanitäter verzeichnen 147 Behandlungen bei den Demonstranten. Diese Zahlen und die Frage, von wem die Gewalt ausging, bestimmen nun den Blick auf die Aktionswoche. Ob in Köln jetzt tatsächlich eine neue Antikriegsbewegung entstanden ist, bleibt abzuwarten.

* Name von der Redaktion geändert

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