Dreimal wurden die Carabinieri im November in der Toskana bei drei zweifelhaften Zulieferbetrieben der Luxusbranche vorstellig. Sie stießen auf ein kompliziertes System aus sieben Ebenen von Unteraufträgen – und auf Handtaschen von Marken wie Prada, Saint Laurent und Zegna.
Dabei kehren deren Eigner häufig ihre Fertigungstiefe heraus: Sie ließen angeblich kaum extern produzieren, sondern fertigten lieber unter dem eigenen Dach, auch um die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten besser zu kontrollieren. Prada beispielsweise betonte dies gerade erst vor wenigen Tagen auf einer Präsentation seiner Ausbildungsstätten.
Kurz darauf aber klingelte die Mailänder Staatsanwaltschaft: Sie verlangt Nachweise über die Lieferketten bei den 13 Modehäusern Gucci, Yves Saint Laurent, Alexander McQueen, Givenchy, Prada, Versace, Ferragamo, Pinko, Dolce & Gabbana, Missoni, Off-White, Coccinelle sowie auch von Adidas Italien. Das ist keine Verurteilung, deutet aber darauf hin, dass die Ermittler Anhaltspunkte für ausbeuterische Zustände in etlichen Zulieferbetrieben in der Hand halten.
Viele Marken schauen bewusst weg
Die Branche hat sich die Misere selbst anzukreiden. Arbeiter, die 14 Stunden am Tag sechsmal die Woche arbeiten, für einen Stundenlohn von 3,50 Euro, häufig ohne Sicherheitsvorkehrungen, der Schlafplatz unter dem gleichen Dach nur wenige Meter entfernt – solche Zustände gibt es in Italien seit Jahren.
Häufig sind es chinesische Unternehmen, die Arbeiter aus ihrer Heimat, aus Pakistan oder Bangladesch angeheuert haben. Mit den großen Häusern haben sie selten Kontakt, denn dazwischen liegen mehrere Stufen von Handlangern. Viele Marken schauen bewusst weg oder lassen es bei Kontrollen an Gründlichkeit fehlen.
Der Mailänder Staatsanwaltschaft ist inzwischen die Geduld ausgegangen: Bei den Herstellern Loro Piana, Armani, Dior, Valentino und Alviero Martini hat sie in jüngerer Zeit dafür gesorgt, dass ein staatlicher Verwalter den Unternehmenslenkern für eine gewisse Zeit zur Seite gestellt wurde. Bei Tod’s fordert sie als Sanktion sogar ein sechsmonatiges Werbeverbot, worüber im kommenden Jahr entschieden wird. Die Luxushäuser sind oft die Keimzellen der Missstände, nicht die Zulieferer.
Die Branche braucht Standards
Als Endabnehmer betreiben sie nicht selten Preisdrückerei und bestellen große Stückzahlen mit kurzen Fristen. Überforderte Lieferanten schalten dann andere Unternehmen ein, die wiederum weitere Betriebe beauftragen.
Für eine Handtasche, die später im Geschäft Tausende von Euros kostet, kann ein Unterzulieferer deutlich weniger als 100 Euro bekommen – all das unter dem vermeintlich beruhigenden Siegel von „Made in Italy“ und nicht an einem fernen exotischen Ort. Weil die Unternehmen südlich der Alpen noch über erhebliche Fertigungskenntnisse und Erfahrung verfügen, sind sie (abgesehen von Uhren) die größte Werkstatt der europäischen Luxusindustrie. Damit das so bleibt, muss aber einiges passieren.
So braucht die Branche neue ethische Standards, die sie dann auch einhält – und zwar aus eigener Einsicht. Zusätzlicher Druck vom Gesetzgeber wäre sinnvoll. So wird im Parlament gerade ein neues Lieferkettengesetz diskutiert, doch von der italienischen Verwaltung mit ihren spärlich gesäten Arbeitsinspektoren ist wenig zu erwarten.
Wer auf der Herstellerseite dagegen Überbürokratisierung durch größere Aufsichtspflichten beklagt, sollte sich fragen, ob der Standort Italien wirklich für Billigproduktion und Sweatshops stehen soll. Der Fabrikbrand in der Textilstadt Prato, bei dem im Jahre 2013 sieben chinesische Arbeiter starben, liegt noch nicht so lange zurück. Das sind Extremfälle, doch sie prägen das Bild.
Eine saubere Weste ist auch ein Marketingargument
Die Gewinnmargen vieler Hersteller würden es erlauben, sich besser um die Zulieferer zu kümmern; einige Anleger und Analysten dürften murren, doch nicht jede Zahlung für Dividenden, Ladenmieten und Werbung ist in der aktuellen Höhe gerechtfertigt. Wenn man wie LVMH an der Börse mehr als 300 Milliarden Euro wert ist, hat man Spielraum. Eine saubere Weste in der Herstellungskette ist auch ein Marketingargument, wenn sie gut verifiziert wurde.
Weiterhin muss die Produktion in Europa stattfinden, denn deren Verlegung nach Asien oder Nordafrika entzöge den hohen Preisen die letzte Rechtfertigung. In jüngerer Zeit haben sich bereits etliche Verbraucher nicht nur vom Trend des lauten und marktschreierischen Luxus abgewandt, sondern ganz von der künstlichen Welt des vermeintlich Feinen und Edlen. Zeit für einen Neuanfang auf einer gesünderen Basis also.