Potsdamer Garnisonkirche: Hier beteten die Offiziere des 20. Juli 1944 – WELT

Der „Tag von Potsdam“ 1933 ruinierte den Ruf der Potsdamer Garnisonkirche. SED-Chef Walter Ulbricht ließ die Ruine 1968 sprengen. Jetzt wird der wiedererrichtete Turm eingeweiht. Gegner schimpfen über die angebliche „Ikone für Rechtsradikale“.

Zum Festakt kommt das Staatsoberhaupt. Am 22. August 2024 wird der wiederaufgebaute Turm der Potsdamer Garnisonkirche einschließlich der historischen Ausstellung darin feierlich eröffnet, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nimmt teil – und für manche Leute ist der Bau ein Grund für Aufregung. Der Architekturtheoretiker Philipp Oswalt, bekannt als radikaler Feind des wiederaufgebauten Berliner Stadtschlosses, lässt sich beispielsweise mit den Worten zitieren, der Turm sei eine „Ikone für Rechtsradikale“.

Tatsächlich hat die Garnisonkirche eine bewegte Vergangenheit. Gerade deren Zäsuren machen ihren rund 60 Meter hohen Turm, der allerdings erst mit dem Aufsetzen der einschließlich der Wetterfahne weitere knapp 30 Meter hohen Haube 2025 vollendet sein wird, zu einem besonders geeigneten „Nationalsymbol“. Als solches kritisiert Oswalt das Projekt.

Vergiftet hat den Ruf der barocken Kirche vor allem ein Tag: der 21. März 1933. Der zwei Monate zuvor ernannte Reichskanzler Adolf Hitler suchte Anschluss an die traditionellen Eliten des vorrepublikanischen Deutschlands und hatte daher vorgeschlagen, die feierliche Eröffnung des neu gewählten Reichstages außerhalb der Reichshauptstadt Berlin zu begehen.

Ihm ging es darum, an die Tradition Preußens anzuknüpfen. Deshalb sollte die Versammlung in Potsdam stattfinden, der vormaligen Residenz der Hohenzollern-Monarchie. Doch das barocke Stadtschloss (übrigens nach Beschädigungen im Krieg und Abriss durch die SED-Diktatur in den Jahren 2010 bis 2013 ebenfalls wieder aufgebaut, zur allgemeinen Zufriedenheit bis auf ganz wenige „Aktivisten“) hatte keinen Saal, der groß genug gewesen wäre.

Ein Potsdamer Beamter machte den entscheidenden Vorschlag: Die Garnisonkirche an der Breiten Straße wäre wohl ausreichend – und böte, als Grablege der Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II., die gewünschte Anbindung. Da es der einzige realistische Vorschlag blieb, stimmte Hitler zu; weiter beschäftigte er sich nach Aktenlage nicht mit der Reichstagseröffnung – das überließ er dem Reichsinnenministerium, dem Reichspräsidialamt und seinem eigenen Propagandaexperten Joseph Goebbels.

Mit dem ihm eigenen Instinkt für wirksame Bilder sorgte der inzwischen zum Reichsminister aufgestiegene Goebbels dafür, dass Aufnahmen von diesem Staatsakt deutschland- und weltweit verbreitet wurden. Besonders bekannt ist heute ein Foto, das den Ruf der Garnisonkirche besonders nachhaltig beschädigt hat, obwohl sie darauf gar nicht zu sehen war.

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Untypischerweise im formellen Cut trat Hitler auf diesem Bild auf den in vollem Wichs eines kaiserlichen Feldmarschalls samt polierter Pickelhaube erschienenen Reichspräsidenten zu. Dabei senkte er scheinbar demütig das Haupt und schüttelte Hindenburg die Hand. Entgegen einem verbreiteten Irrglauben wurde dieser von einem „New York Times“-Fotografen gemachte Schnappschuss vergleichsweise selten von der NS-Propaganda verwendet. Das hat der Historiker und ehemalige Direktor des Zentrums für zeitgeschichtliche Forschung in Potsdam Martin Sabrow festgestellt.

Wirklich stark verbreitet wurde die heute ikonische Aufnahme demnach erst nach 1945 – damit bricht zumindest ein zentraler Aufreger der Garnisonkirchen-Gegner weg. Allerdings war wohl nicht zuletzt dieses Foto der Grund für die Sprengung der gesicherten Ruine durch das SED-Regime ab dem 14. Mai 1968. Die erste Sprengung des Turms am 19. Juni 1968 misslang übrigens, denn eine Hälfte stehen blieb. Erst im zweiten Anlauf vier Tage später gelang die Zerstörung, die schon Zeitgenossen wie dem Potsdamer Bauingenieur und Fotografen Herbert Posmyk (1929–2019) barbarisch erschien.

Auch sonst liegen die Garnisonkirchen-Gegner oft falsch. Zwar war der Bau tatsächlich die Militärkirche der in Potsdam stationierten preußischen Truppen – aber genau gegenüber hatte die Infanterie-Regiment 9 sein Hauptquartier. Von dessen knapp 30 höheren Offizieren (ab Hauptmann aufwärts) im Dritten Reich zählten zwei Drittel zum militärischen Widerstand und beteiligten sich am Aufstand des 20. Juli 1944. Der noch vor Claus Schenk von Stauffenberg wichtigste Kopf der Fronde, Henning von Tresckow, ließ in der Garnisonkirche seine Kinder taufen.

Trotzdem liegen die Gegner des Wiederaufbaus zumindest in einem Punkt richtig: Nach der Abdankung der Hohenzollern im November 1918 diente die Kirche tatsächlich als Veranstaltungsort für republikfeindliche Kreise. Es war kein Zufall, dass am 24. November 1919 der ehemalige General Erich Ludendorff ausgerechnet hier einen Auftritt absolvierte, der in ein Hochamt der Antidemokraten mündete.

Ob die historische Ausstellung im Turm der Garnisonkirche, die der frühere Ausstellungsmacher des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn Jürgen Reiche verantwortet, diese Ambivalenz überzeugend einordnet, muss man abwarten. Gewinnen werden mit der Eröffnung des wiederaufgebauten Turms aber vor allem Potsdam selbst, dessen Silhouette ein wenig mehr die Plattenbau-Tristesse der DDR-Zeit hinter sich lässt, und alle, die von der Besucherplattform aus einen grandiosen Blick über die Stadt am Rande Berlins genießen können.

Den Potsdamer Bauingenieur und Fotografen Herbert Posmyk lernte Sven Felix Kellerhoff 2012 kennen. 2016 veröffentlichte er dessen betörend schöne Fotografien in dem Band „Der Untergang des Potsdamer Stadtschlosses“.

Source: welt.de

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