Porträt von Helmut Schmidt: Stillhalten fiel ihm schwergewichtig

Das Archiv von Helmut Schmidt in Hamburg-Langenhorn beherbergt eine Vielzahl von Quellen unterschiedlichster Art. Zu den bereits erschlossen Quellen gehören die Reiseakten Helmut Schmidts. Dem Archivar Axel Schuster fiel dabei eine spannende Akte in die Hände, aus der erzählt zu werden lohnt. Es ist eine deutsch-deutsche Geschichte zur Porträtkunst, einer Freundschaft des Bundeskanzlers a. D. Helmut Schmidt und dem Leipziger Maler Bernhard Heisig.

Am 11. November 1983, mehr als ein Jahr nach dem Ende der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt, bat Philipp Jenninger, damals Staatsminister im Bundeskanzleramt unter Helmut Kohl, Schmidt möge doch bitte die Tradition fortsetzen und einen Künstler für ein Kanzlerporträt auswählen. Der bis dato fünfte Kanzler fehlte noch in der Galerie im damaligen Bundeskanzleramt in Bonn. Wie die ZEIT schrieb, entstand die Idee für eine Kanzlerserie in Öl offenbar im Jahr 1976 und stammte von dem damaligen Kanzler Schmidt selbst, denn das Bundeskanzleramt in Bonn hätte eine Ausstrahlung ähnlich einer „Sparkassenhauptverwaltung“. Es fehle im Gebäude an Kunst.

Nach Jenningers Nachricht begann die Suche nach dem passenden Maler oder der passenden Malerin, der oder die das Kanzlerporträt Helmut Schmidts anfertigen würde. Gert von der Groeben, ein damaliger Mitarbeiter des Kanzlerbüros a. D., fertigte für Schmidt eine längere Notiz an, in der Vorgaben zu dem zu entstehenden Gemälde verzeichnet waren und bereits konkrete Vorschläge für Künstler standen, die für den Auftrag infrage kämen. Das Porträt sollte eine äußere Ähnlichkeit widerspiegeln, allerdings nicht im Stil bloßen Abmalens einer Fotografie. Die Porträtmalerei entwickele sich in zwei Stilrichtungen, schrieb von der Groeben: einer realistischen und einer expressionistisch-impressionistischen. Aber: „Die besten Realisten sind leider Ausländer.“ Dazu zählte von der Groeben den Kanadier Alex Colville sowie den US-Amerikaner Howard Kanovitz. Auch die Idee, David Hockney zu beauftragen, wurde verworfen. 

Und bei allen hätte das Budget von 40.000 DM nicht ausgereicht, das das Bundeskanzleramt vorgegeben hatte. Die empfohlenen deutschen Realisten waren Hans Platschek, Eberhard Schlotter oder Angelika Schwenk-Will. An expressionistischen Malern galt von der Groeben der Brite Francis Bacon als die Nummer Eins. Abschreckend wirkte aber auch hier: kein deutscher Maler, hohe Kosten, „zudem extrem schwierig“.

Diese Notiz, die wie eine Kleinanzeige formuliert war, erschien am 8. Dezember 1983 in der „Bild“-Zeitung.

Wer dann auf die Idee kam, eine Notiz am 8. Dezember 1983 in der Bild-Zeitung zu veröffentlichen, die ähnlich einer Kleinanzeige aussah, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. „Schmidt. Guter Maler gesucht. Helmut Schmidt (64) sucht einen Künstler, der ihn malt. Das Ölgemälde soll nicht mehr als 35000 Mark kosten. Staatsminister Jenninger (51) hat es für die Kanzler-Ahnengalerie (von Adenauer bis Brandt) neben dem Kabinettssaal bestellt. Ein Mitarbeiter Schmidts: ‚Es ist schwer, einen guten Maler zu finden.'“

Bei einer Bild-Auflagenhöhe von damals knapp fünf Millionen Exemplaren gingen die Angebote ab dem ersten Tag im Kanzleramt ein. „Eine große Freude und Ehre, Sie, Herr Bundeskanzler porträtieren zu dürfen“ oder „durch Zufall habe ich gelesen, daß Sie sich malen lassen wollen. Dabei habe ich an meine Mutter gedacht, die fantastisch malen kann.“ Viele Maler stellten ihre Künste vor, andere empfahlen Personen aus dem Bekanntenkreis, dritte wollten honorarfrei malen. Weit über 100 Angebote liefen bis zum 8. März 1984 ein, über 200 Zuschriften erreichten bis 17. August das Bundeskanzleramt. „Sie suchen einen Portraitisten. Ich male seit 1951 in Hamburg – Kapitäne und Kaufleute, Frauen und Kinder.“ Aber kein Maler und keine Malerin konnte Schmidt überzeugen.

Die Wahl fiel dann auf Bernhard Heisig. Der Name des Leipziger Malers war bereits in der Notiz von der Groeben aufgetaucht, und Hans Otto Bräutigam, der damalige Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR, hatte schon einmal inoffiziell vorgesprochen, Heisig wäre bereit. Auch die Künstlerfamilien Modersohn und die von Olga Bontjes van Beek in Fischerhude sprachen sich für Heisig aus, Schmidt pflegte seit den späten Dreißigerjahren Freundschaften zu Mitgliedern der Künstlerkolonie Fischerhude. Heisig zu beauftragen, hatte auch einen politischen Aspekt in Zeiten deutsch-deutscher Befindlichkeit, und Heisig galt als künstlerischer Erbe von Oskar Kokoschka in dessen mittleren Schaffenszeiten.

Der österreichische Maler Kokoschka hatte im Jahr 1966 den drei Jahre zuvor aus dem Amt geschiedenen Bundeskanzler a. D. Konrad Adenauer gemalt, die knapp drei Wochen dauernden Porträtsitzungen Adenauers in dessen Sommerresidenz am Comer See sind wohldokumentiert. In der Kanzlergalerie indes ist Hans Jürgen Kallmanns Adenauer-Porträt aus dem Jahr 1963 vertreten, während Kokoschkas Adenauer-Porträt zur Kunstsammlung des Deutschen Bundestages gehört und ab 2006 längere Zeit als Leihgabe im Kanzlerinnenbüro von Angela Merkel hing.

Schmidt nun schätzte offenbar ebenfalls Kokoschkas Adenauer-Porträt, der Maler und Helmut Schmidt lernten sich auch persönlich kennen. Nach seinem gewonnenen Bundestagswahlkampf 1976 besuchte Schmidt Kokoschka in Villeneuve am Genfer See und ließ sich dort während mehrerer Besuche zeichnen. Für ein Porträt in Öl sollten die Kräfte Kokoschkas jedoch nicht mehr ausreichen, er starb 1980 im Alter von 94 Jahren.

„Alle Schrecken des Krieges und der Geschichte“

Die künstlerische Nähe Heisigs zu Kokoschka mag also ein weiterer Grund gewesen sein, sich für ihn als Porträtisten zu entscheiden. Andererseits zeichneten Heisigs jüngste Werke zu jener Zeit Mitte der Achtzigerjahre ein melancholisch-skeptischer Einschlag aus – das sorgte für Zweifel. Finanziell aber läge man mit dem Maler im Budgetrahmen.

Schmidt fand den Vorschlag gut. Anlässlich des 80. Geburtstags Heisigs im Jahr 2005 erinnerte sich Schmidt: „Nach 1982 wollte das Kanzleramt auch von mir ein Porträt haben. Beim Nachdenken über einen geeigneten Maler kam ich auf Bernhard Heisig, von dem ich einige Bilder und Abbildungen gesehen hatte. Ich kannte Heisig nicht; er lebte in Leipzig in der DDR. Ich fand es wünschenswert, daß ein DDR-Maler im Bonner Kanzleramt vertreten ist.“ Zweierlei traf zusammen: „Meine Idee erwies sich als ein Glücksfall. Denn zum einen begegneten wir zwei Menschen, die zu kennen sich lohnt, den Maler und seine Lebensgefährtin … Zum zweiten traf Heisigs Malweise … ausgesprochen meine eigenen Vorstellungen. Seine Themen schienen zum Teil von Otto Dix und Max Beckmann inspiriert, auch wohl etwas von Pieter Brueghel: alle Schrecken des Krieges und der Geschichte.“

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