Porträt | Rap-Sensation Theodora: „Mein Hintern ist nicht weithin, so what?“

Neonlicht, Bass und ein Wirbel aus Strass und Glitzer: So inszeniert Theodora ihren Hit Kongolese Sous BBL im Musikvideo. Das Lied, das in Frankreich zum Sommerhit wurde, greift den einstigen Schönheitswahn um den Brazilian Butt Lift auf – die riskante Gesäßvergrößerung mit körpereigenem Fett – und verdichtet sich zu einem ironischen, empowernden Manifest.

Es ist ein spöttischer Egotrip mit einer Mischung aus provokantem Humor und Gen-Z-Attitüde: „Baby Boo, du weißt, ich bin viel wert. Auch wenn ich manchmal nicht über die Runden komme. Das liegt an meinem Hintern, der meine Knie auseinanderschiebt. Und meine großen Titten bereiten mir Nackenschmerzen …“ Dazu tanzt und twerkt sie in einer blauen Perücke, die die Flagge der Demokratischen Republik Kongo symbolisiert, mit silbernen Grillz auf den Zähnen und einem Joint in der Hand mit Freund:innen auf einer Neon-beleuchteten Hausparty. Ihr weißes Korsett und der kurze Rock erinnern an die Anime-Superheldin Sailor Moon, dazu trägt sie schwarze Nietenarmbänder. Eine Ästhetik irgendwo zwischen US-Stripclub, Anime-Fantasie und Afrofuturismus.

Auf Tiktok ging der treibende Track viral, als Creator:innen ihn sich mit einer Welle von Tanzvideos zu eigen machten. Aber auch die Tageszeitung Le Monde bezeichnete Theodora jüngst als „das Pop-Phänomen des Sommers“. Woher rührt ihr Erfolg?

Theodora hat Céline Dion überholt

„In einer Szene, die oft auf Konsens und Massenkompatibilität getrimmt ist“, so die französische Journalistin und Rap-Expertin Sandra Gomes, „sorgt Theodora mit ihrer künstlerischen Radikalität für wohltuenden Aufruhr. Sie bringt frischen Wind in die französische Musiklandschaft: gewagt, empowernd und voller Lebensfreude.“ Ganz in der Tradition des Bouyon aus dem karibischen Inselstaat Dominica, dessen sich der Song bedient. Der Musikstil animiert mit frenetischen, basslastigen Rhythmen zum Feiern.

Im Mai wurde die erst 21-jährige Theodora bei der Verleihung des Rap-, R’n’B- und Nouvelle-Pop-Preises Les Flammes als „weibliche Entdeckung des Jahres“ gefeiert. Kaum erschien ihr Album Mega BBL, wurde es als Album des Jahres gehandelt, inzwischen hat es Platinstatus erreicht. Kommendes Jahr spielt sie ganze vier Konzerte in der riesigen Arena Zénith in Paris – alle sind bereits ausverkauft. Mit Platz zwei unter den meistgestreamten Künstlerinnen in Frankreich hat sie sogar Céline Dion überholt.

Auch in Belgien, Kanada und Madagaskar ist Theodora längst ein Begriff, doch die Künstlerin strebt den globalen Superstar-Status an. Im Zoom-Interview ist sie nahbar: Sehr freundlich, bestimmt und gut gelaunt – ohne jegliche Diva-Allüren – ist sie bemüht, ihre Musik zu erklären. Die kindliche Stimme, die auch ihre Musik auszeichnet, kommt dabei durch.

Von der Banlieue-Platte zur Skyline

Lili-Théodora Mbangayo Mujinga, geboren 2003 als Kind politischer Geflüchteter aus dem Kongo in Luzern, wuchs zwischen Griechenland, der Insel La Réunion und Kongo auf, bevor sich die Familie schließlich in Frankreich niederließ. Mit ihrem großen Bruder, der als Jeez Suave ihre Songs produziert, zog sie vor vier Jahren in das berühmt-berüchtigte Pariser Banlieue Seine-Saint-Denis, das vor allem Rapgrößen wie Booba hervorgebracht hat, aber auch Popstar Aya Nakamura, die bei der Eröffnung der Olympischen Spiele sang.

In „9-3“, wie es in Frankreich nach der Nummer des Départements auch heißt, fühlt sie sich angekommen. „In Frankreich wird 9-3 gehasst“, sagt sie. Für die Pariser sei es der Inbegriff von Ghetto. „Dabei ist es riesig, mit den verschiedensten kulturellen Einflüssen, wirklich kosmopolitisch – ich finde hier ein Stück von allem, was mich ausmacht.“ Mit 19 konnte sie einen ersten Erfolg feiern mit dem Song Le Paradis se trouve dans le 93 („Das Paradies befindet sich in 93“), in dem sie über Banlieues, prekäre Jugend und Steuerflüchtlinge spricht – eine Hymne an ihr Département, die mit Klischees brechen soll, wenn auch etwas überspitzt: „Klar ist 93 nicht das Paradies, aber es ist auch nicht die Hölle.“ Das Geschwisterduo entwickelte in dem Song einen hybriden Sound, der mit einer starken Rap-Basis Hyperpop und Afrobeats miteinander verbindet, aber ebenso in der Tradition des französischen Chansons steht.

Wir Diaspora-Kids haben so viele Einflüsse. Ich mache Pop – aber es ist viel mehr als das. Alles aus unserer Umgebung, was wir aufsaugen, vereinen, machen wir zu etwas Eigenem.

Theodora

Damit bringt sie als junge Schwarze Frau in das sonst medial von männlichen Rappern dominierte 93 frischen Wind. „Wir Diaspora-Kids sind eine Mischung von so vielen Einflüssen“, erzählt sie. „Ich mache Pop – aber es ist viel mehr als das.“ Sie und ihr Bruder versuchten, „all die populäre Musik aus unserer Umgebung, die wir aufgesogen haben, zu vereinen und daraus etwas Eigenes zu schaffen.“ Vor allem aber will sie afrokaribische Musik, die trotz großer Popularität im Netz oft links liegengelassen wird, sichtbarer machen.

Drop die Soundbombe

Mit Mega BBL hat sie nun eine regelrechte Soundbombe gedroppt, mit Kollaborationen, die von der Chanson-Sängerin Juliette Armanet bis Jul, dem kommerziell erfolgreichsten Rapper Frankreichs, reichen. Auch der kanadische Pianist Chilly Gonzales ist dabei – mit der Live-Version der Ballade Ils me rient tous au nez („Sie lachen mich alle aus“), in der die „Boss Lady“ ihre verletzliche Seite offenbart.

Ihre Musik ist mutig und eigenwillig, mitunter auch etwas chaotisch, wenn so viele Stile und Sounds aufeinandertreffen. „Ich bin mit kongolesischer Musik aufgewachsen und meine Wurzeln haben mir eine Stimme gegeben, die meiner Musik den roten Faden verleiht“, sagt sie. In Massoko na Mabele, auf Deutsch „Hintern und Brüste“, verbindet Theodora auf kongolesischem Lingala, ihrer Muttersprache, mühelos schnelle basslastige Amapiano- und Afro-House-Elemente. Der Track ist eine Kollaboration mit dem Grammy-nominierten nigerianischen Produzenten Thisizlondon, der bereits Calm Down, den Welthit des Musikers Rema produzierte.

Ich mache das für die Schwarzen Mädchen, die sich etwas seltsam vorkommen. In der afrokaribischen Diaspora wurde ich oft marginalisiert, weil ich als zu alternativ, zu gothic galt, da haben wir wiederum viele das ‚Schwarzsein‘ abgesprochen.

Theodora

Theodora changiert zwischen sinnlichem und kindlich-verspieltem Gesang und Rap und spricht dabei auch schwere Themen wie Depressionen, sexuelle Gewalt oder Suizidversuche an. Ihre Musik erzählt von ihrem Alltag als Schwarzer Frau, und auch von ihrer queeren Identität. „Ich mache das für die Schwarzen Mädchen, die sich etwas seltsam vorkommen“, sagt sie. Denn in Frankreich werde die Schwarze Frau oft nicht mitgedacht. Gleichzeitig werde alles, was sie als Künstlerin tut, automatisch mit ihrem Schwarzsein verknüpft. „In der afrokaribischen Diaspora wiederum wurde ich oft marginalisiert, weil ich als zu alternativ, zu gothic galt, da wurde mir das ‚Schwarzsein‘ abgesprochen.“

„BBL“ stehe eigentlich für „Bad Boy Lovestory“, klärt Theodora auf. Den Brazilian Butt Lift nimmt sie damit auf die Schippe. Sie selbst würde sich einer solchen OP nicht unterziehen. „Ja, mein Hintern ist nicht groß, ich habe keinen BBL, so what?“ Dennoch gefällt ihr die sogenannte BBL-Ästhetik – jedoch als Ausdruck weiblicher Selbstgestaltung, losgelöst vom männlichen Blick. „In den Banlieues existieren spezifische gesellschaftliche Diktate besonders für Schwarze und rassifizierte Körper.“ Ihre eigene „Bad Boy Lovestory“ sei zudem keine seltene in den Banlieues. Diese Dynamik habe sie mit ihrem Album aufgreifen wollen. Ihre Erzählung ist dabei nicht nur eine persönliche, sondern auch eine gesellschaftskritische – über toxische Männer, die Teil desselben Systems sind, dem auch das Phänomen des Brazilian Butt Lift entsprungen ist.

Doch BBL steht bei Theodora auch für „Big Boss Lady“, als die sie sich in ihrer Musik inszeniert, etwa im Song Fashion Designa: „Boss Lady, das bin ich. Deals, Verträge, Dolla-la-la-lars. Fashion-Designerin – ich kauf nichts mehr, ich designe.“ Diese Selbstinszenierung erinnert an Rihannas Bad-Girl-Ära, lyrisch etwa an deren Song Pour It Up von 2012: „All I see is signs, all I see is dollar signs.“ Kein Wunder: „Seit ich ,Umbrella‘ entdeckt habe, bin ich unsterblich in Rihanna verliebt“, gestand Theodora in einer Radiosendung.

Papa war der erste Bad Boy

Ein Abziehbild der klassischen Boss Lady oder des Girlboss-Begriffs will sie nicht sein. Einst verhießen diese Bilder auf Social Media Female Empowerment, mittlerweile gelten sie aber als toxisch: Studium, Nine-to-five-Job, Hustle, Karriereleiter bis zur CEO.

Theodoras Selbstermächtigung als Boss Lady beginnt genau da, wo sie sich gegen diesen Weg entschieden hat. „Ich habe die Schule abgebrochen, um meinen Traum, Musik zu machen, zu verwirklichen, nicht aus Trotz, sondern aus Entschlossenheit.“ Zielstrebig alles für ihren Traum zu geben , das macht für sie eine wahre Boss Lady aus. Oder, besser gesagt, eine „Mwasi Sukali“– eine Frau, die mit guter Absicht handelt, wie es auf Lingala heißt.

Der erste Song auf ihrem Album, Papa <3, gilt Theodoras Vater – ihrem „ersten Bad Boy“, wie sie sagt. Gemeint ist in diesem Fall kein Macho, sondern ein Mann, der alles daransetzte, ihr ein besseres Leben zu ermöglichen. „Damit ich schöne Haare und schöne Schuhe haben kann“, sagt sie ganz nüchtern, vor allem aber: Freiheit. Eine Freiheit, die ihr ermöglicht hat, ihr eigenes Universum zu bauen. „Er wollte mich immer frei und glücklich sehen.“ Nur eines könne er bis heute nicht ertragen, sagt sie: „wenn ich in den Musikvideos Joints rauche“.

Diese Freiheit ist auch in ihrer Selbstdarstellung auf den sozialen Medien und auf der Bühne unverkennbar. Freizügig, sexuell offen, mit exzentrisch aufwendigen cartoonhaften Looks. Inspiriert von US-Pop, navigiert sie zwischen Nicki Minajs Hyperfeminität und der Bad-Gyal-Attitüde à la Rihanna und mischt sie neu mit Gothic-, Rock- und Punk-Elementen sowie Videospielcharakteren.

Ausdruck einer neuen Generation

Wie vielseitig sie künstlerisch ist, demonstriert unter anderem der Song Un meilleur nous („Ein besseres Wir“). Er hebt sich deutlich vom Rest des Albums ab und ist eine Mischung aus Disco und Chanson. Theodoras Stimme klingt hier weich und süß, stellenweise klingt ihr Gesang wie japanisch. Das könnte daran liegen, dass sie während der Arbeit am Album viel Anime geschaut habe, wie sie erklärt.

Mit Unverschämtheiten und vulgären Pointen spielt Theodora humorvoll mit Klischees, ist frei von Hemmungen und bringt Leichtigkeit in den Umgang mit Sexualität und Genderrollen, etwa wenn sie im Track Do you wanna ganz unverkrampft fragt: „Bae I wanna fuck tonight, so do you wanna?“

Oder im Song Fashion Designa: „Zu kongolesisch, wenn ich ihn reite, und Boo ruft: Go Africky! Tchoukou-tchoukou-tchoukou-tchou…“ Dabei gibt sie sich frech, verspielt und selbstironisch – so charmant, dass es ihr die Franzosen nicht übelnehmen können. Außerdem bricht sie mit toxischen Schönheitsidealen und zeigt: Sexy und nasty geht auch ohne chirurgische Eingriffe. Ihr künstlerisches Selbstverständnis ist engagiert und inklusiv – Ausdruck einer neuen Generation, die gesellschaftspolitisch wach ist, aber das Feiern nicht verlernt hat.

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