„Polizeiruf 110“ Brandenburg: Aber dann kam die Wende

Im
Brandenburger Polizeiruf Abgrund (rbb-Redaktion: Daria Moheb Zandi)
heißt es, Abschied zu nehmen. Eine richtige Neuigkeit ist das nicht, denn aufs
Abschiednehmen versteht sich die Reihe gut. Vor vier Folgen erst ist Maria Simon als Olga Lenski ausgestiegen. Lucas Gregorowicz hat als Adam
Raczek übergangsweise allein ermittelt
(beziehungsweise mit der von Gisa Flake gespielten Einmalkollegin Alexandra Luschke), um mit Vincent Ross (André Kaczmarczyk) in der Folge Hildes Erbe einen neuen Partner zu bekommen. Von dem verabschiedet
sich nun wiederum Raczek in der neuen Folge, weshalb Ross das
kommende Abenteuer allein bestreiten wird – also auch ohne Alexandra Luschke.

Raczek hat
es am Ende auf zwölf Polizeiruf-Einsätze gebracht, das sind, Funfact, elf mehr als Til Schweiger. Auch wenn Gregorowicz eine
sympathische, charismatische Erscheinung war: In tieferer Erinnerung wird die
Ermittlerfigur wohl nicht bleiben, dafür mangelte es ihren Fällen wie auch
ihrem Charakter an Konsequenz. Dabei wäre gerade das deutsch-polnische Revier
in Świecko geeignet gewesen, um aus den verschiedenen Rollenvorstellungen von
Frau und Mann mehr zu ziehen als nur Andeutungen – nämlich im konfliktreichen Miteinander
von emanzipatorischem Pragmatismus (Lenski) und sanft modernisiertem
Konservatismus (Raczek) die großen Fragen der Zeit zu verhandeln.

Ins Rennen ging Raczek 2015 in Grenzgänger als
Familienvater, der den Urlaub damit verbringt, im hauseigenen Garten die Wäsche
abzunehmen. In Abgrund ist die Familienidylle längst futsch und die daraus
resultierenden Probleme bearbeitet der lonely rider (eingeführt wurde der
Kommissar einst fesch mit Motorrad) durch Schlaftabletten. Die Vereinbarkeit
von Beruf und Familie bleibt für den ARD-Sonntagabendkrimi eine kaum zu
bewältigende Herausforderung (siehe auch: Bootz, Lindholm, Thiel).

Abgrund fährt fürs Finale das
große Gerät auf, genauer die F60,
eine riesige Abraumförderbrücke, die heute im Besucherbergwerk Lichterfeld besichtigt werden kann. So wirbt der Polizeiruf für den
Tourismus in seinem Sendegebiet und findet zugleich ein Setting, zu dem auch ein künstlicher See gehört, der nun da ist, wo früher Kohle
abgebaut wurde. Am See soll das Opfer, „Magdalena
Nowak, 29, aus Gubin“, in einem Kleinbus gewohnt haben. Vor der F60
posiert Dirk Grabowski (Peter Moltzen), der Schwager der Toten, als Verlierer
der ökonomischen
und politischen Transformationsprozesse nach 1990.

Fürs Emotionale ist in Abgrund
dann die Opfergruppe zuständig – wieder einmal haben wir es mit einem gateway body zu tun, einem weißen, nackten, versehrten Frauenkörper (Maskenbild:
Kathrin Buhlan, Anja Hoppe). Von Nowak schlägt sich die Ermittlung zu
weiteren Frauenleichen durch. In der Dorfidylle wohnt ein Serienmörder,
den der Polizeiruf versteckt (Drehbuch: Peter Dommaschk, Ralf Leuther, Regie:
Stephan Rick) – zuerst hinter dem von Peter René Lüdicke gespielten
Kneipenbetreiber, der seiner Angestellten Ewa (Anja Antonowicz) durch eine
versteckte Kamera beim Ausziehen zuschaut. Dann hinter dem von Steven Scharf
gespielten Pfarrer, der seine Rolle als Verdächtiger so ernst nimmt, dass er
sich dramatisch zu erhängen versucht, was als Eingeständnis einer möglichen
Schuld für die versierte ARD-Sonntagabendkrimi-Zuschauerin aber deutlich zu
früh kommt im 90-minütigen Spielfilm.

Die ganze Zeitverschwendung führt dazu, dass dem
eigentlichen Täter, nämlich Dirk Grabowski, auch am
Ende noch ein Mord gelingt. Würde Abgrund nicht nur das Whodunit-Karussell
drehen, sondern Polizeiarbeit ernst nehmen, hätte bei Grabowski ein dem Mord
vorausgegangener Gewaltausbruch gegen die eigene Schwägerin womöglich früher auf
die richtige Fährte geführt.

So aber entführt der Mörder schließlich die
Kneipenangestellte Ewa, die doch schon des Namens wegen für den irrlichternden
Adam Radczek als mögliche Hoffnung auf einen Abgang ins Paradies vorgesehen
war. Daraus wird nichts, weil Ewa anders als der Pfarrer schon tot ist, als sie
gefunden wird. Was auf das harte Los von Frauen in dieser Geschichte verweist: die
sterben reihenweise und geschichtslos weg, damit die Männer um sie herum sich
fühlen können – und sei es im Schmerz.

Das ist die bittere Erkenntnis der letzten Raczek-Folge. Abgrund
macht es sich leicht bei der Herstellung von Brisanz. Der Polizeiruf versucht
damit, die Mängel zu kaschieren, die der schematische Fall aufweist – wenn zum
Beispiel in der Geschichte von Dirk Grabowski auch noch ein Bruder auftaucht,
der ein Alibi für einen früheren Mord verschafft, dann weiß dieser Bruder doch augenscheinlich
Bescheid über die Taten von Dirk. Wie lebt man damit, ist nur eine Frage, deren
Beantwortung so viel spannender wäre als das durchschaubare Spiel mit den
falschen Verdächtigen. Und als die ganzen Frauenleichen sowieso.

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