In Deutschland sind es Jahr für Jahr 65.000 Menschen, die so sterben: Erst flimmert ihr Herz, dann hört es auf zu schlagen. Dass es das Phänomen gibt, ist bewiesen. Nur ist oft nicht klar, was genau dahintersteckt. Es liegt in der Natur der Sache: Nach Angaben der Deutschen Herzstiftung wird die Diagnose dann gestellt, „wenn Personen noch 24 Stunden zuvor vermeintlich gesund waren.“
Ärzte der Mayo Clinic in Rochester, US-Bundesstaat Minnesota, haben nun Energydrinks als heimliche Auslöser unter Verdacht. Das berichten sie in einer aktuellen Studie in Heart Rhythm, der offiziellen Zeitschrift mehrerer herzmedizinischer Fachgesellschaften.
Studienleiter Michael Ackerman, Kardiologe und Leiter einer Forschungseinrichtung, die genetische Hintergründe des plötzlichen Herztods aufklären will, hat dazu zusammen mit seinem Team 144 Überlebende eines plötzlichen Herzstillstands befragt. So wurde klar: Jeder Zwanzigste konsumierte so einen Drink unmittelbar vor dem Zusammenbruch. Die Patienten waren jung, im Mittel 29 Jahre alt, der jüngste erst 21, der älteste 37 Jahre.
„Der Markt für Energydrinks ist in den letzten Jahren stetig gewachsen“, sagt Ackerman, „und er richtet sich explizit an Jugendliche und junge Erwachsene.“ Die meisten Hersteller behaupteten, natürliche Zutaten zu verwenden, und sie klassifizieren sie als Nahrungsergänzungsmittel, nicht als Medikamente.
Deswegen würden die Inhaltsstoffe nicht von den Behörden auf mögliche Nebenwirkungen überprüft. „Entsprechend wichtig ist es, die Auswirkungen dieser Getränke wissenschaftlich zu untersuchen; Energydrinks sind in der Altersgruppe bereits das zweithäufigste Nahrungsergänzungsmittel nach Vitaminen.“
Der Herzspezialist hatte schon länger Bedenken, denn die Energydrinks machen nicht einfach so knallwach: Die Hersteller reichern sie dazu mit allerlei (bio)chemischen Substanzen an. Zunächst mal mit dem Wachmacher Koffein, dazu kommen 15 Prozent Zucker oder Süßstoffe, ebenfalls eine Belastung für den Kreislauf und die Nieren.
Kohlenhydrate und die Aminosäure Taurin
Auf die Zutatenliste gehört gewöhnlich auch das Kohlenhydrat Glucuronolacton, das körperlicher Erschöpfung entgegenwirken soll. Es kommt auch in Nahrungsmitteln vor, aber in Energydrinks ist ein Vielfaches der Menge enthalten, die jemand über Nahrungsmittel aufnehmen könnte. Auch der Stoff Inositol wird in hohen Konzentrationen beigemischt, er spielt eine Rolle im Fettstoffwechsel und beim Schlafhormon-Haushalt.
Und schließlich steckt in den Drinks die Aminosäure Taurin. Ihr wird auf Lifestyle-Seiten nachgesagt, dass sie die Herzgesundheit fördere. Allerdings ist die beigegebene Menge auch hier unnatürlich hoch: Fünfmal mehr als eine normale Tagesaufnahme.
Ärzte machen sich vor allem Sorgen wegen des Koffeins. Es beschleunigt den Herzschlag, das kann den Herzmuskeln unter Stress setzen. Herzrhythmusstörungen auslösen kann es auch – und die sind eine häufige Ursache des plötzlichen Herzstillstands. Wenn der Herzmuskel in hoher Frequenz zuckt, „flimmert“, kann er nicht mehr koordiniert Blut pumpen. Innerhalb weniger Sekunden kommt es zum Kreislaufkollaps und das Herz hört auf zu schlagen.
Ackerman zitiert auch Wirtschaftsdaten, nach denen die Industrie in den USA 14 Milliarden US-Dollar im Jahr umsetze, mit „Red Bull“ und „Monster“ als Marktführern. Und der Kardiologe rechnet vor: Sie enthalten bis zu 300 Milligramm Koffein pro Dose, also dreimal mehr als eine Tasse Filterkaffee.
„Vorherige Studien haben gezeigt, dass mehr als zehn Tassen Kaffee am Tag einen plötzlichen Herztod auslösen können“, sagt Ackerman. Gefährdet wären demnach alle, die mehr als drei Energydrinks am Tag trinken. Aber es kommt noch ein weiteres Problem dazu: Niemand wisse, wie zum Beispiel Koffein und Taurin und Koffein und Glucoronolacton in Kombination wirkten.
In Deutschland sind in einem Energydrink der beiden Marken 30 Milligramm Koffein pro 100 Milliliter Flüssigkeit enthalten, eine 250-Milliliter-Dose Energydrink ist also so „gefährlich“ wie der Genuss von zweieinhalb Cappuccino. Aber gerade auf Partys, unter Jugendlichen, werden oft mehrere Dosen hintereinander geleert.
Alkohol und Sport
Tückisch werde es auch, wenn Alkohol ins Spiel komme oder beim Sport, warnt das niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel. „Grundsätzlich sollten Energydrinks nicht zusammen mit Alkohol oder im Zusammenhang mit intensiven sportlichen Tätigkeiten konsumiert werden. Das Koffein maskiert die ermüdende Wirkung des Alkohols, sodass die körperliche Leistungsfähigkeit beim Konsum von Alkohol und Energydrinks leicht überschätzt werden kann.“ Auch was bei Langzeitkonsum passiere und welche Auswirkungen der Konsum dieser Getränke bei Herzkranken habe, sei nicht abschließend geklärt.
Für den Herzmediziner Ehud Chorin von der Universität in Tel Aviv sind Lebensmittel, die den Herzrhythmus stören können, ein unterschätztes medizinisches Problem. „Immer häufiger enthalten auch Lebensmittel Substanzen, die aufs Herz wirken und dessen Takt verändern, wenn nicht stören. Energydrinks fallen in diese Kategorie. Insofern passt diese Studie in ein größeres Bild aktueller Daten.“ Gefährlich würde es dann, wenn jemand ohnehin ein Hochrisikopatient sei.
Das Problem beim plötzlichen Herztod ist: Die Menschen, die ihn erleiden, haben zwar oft ein Risiko, etwa eine besondere genetische Disposition, Herzklappenerkrankungen oder angeborene Herzfehler, ahnen aber nichts davon. Sie können also auch nicht wissen, dass sie zu denen gehören, die Energydrinks – oder die häusliche Espressomaschine – besser meiden sollten.
Bei allen Studienteilnehmern, die direkt vor ihrem Herzstillstand einen Energydrink getrunken hatten, fanden die Forscher noch eine ganze Reihe weiterer Stressfaktoren fürs Herz. Schlafentzug, eine Diät oder extremes Fasten, gleichzeitige Einnahme von antipsychotischen Medikamenten oder die Geburt eines Kindes. „Der Konsum von Energydrinks hat sich höchstwahrscheinlich mit anderen Variablen kombiniert, um einen ,perfekten Sturm‘ von Risikofaktoren zu erzeugen“, vermutet Ackerman.
Der Mailänder Herzrhythmus-Forscher Peter Schwartz kommentiert die Studie so: „Natürlich könnte all das auch Zufall sein, mehr Daten sind erforderlich. Aber es wäre auch nachlässig, bei solchen Befunden nicht Alarm zu schlagen.“
Source: welt.de