Nach einem Jahr im Amt steht der linke Präsident in Peru, Pedro Castillo, kurz vor der unvermeidlichen Demission
Im Juni 2021 gewann der Dorflehrer und Gewerkschafter Pedro Castillo mit hauchdünnem Vorsprung eine denkwürdige Präsidentenwahl, er besiegte die Rechtspopulistin und Diktatoren-Tochter Keiko Fujimori (der Freitag 20/2021). Wie ist es nach einem Jahr Regierungszeit um den neuen Staatschef bestellt?
Zunächst einmal fällt die enorme personelle Instabilität ins Auge. Mehr als 60 Ministerinnen und Minister haben in weniger als zwölf Monaten die Regierung durchlaufen. Zu erklären ist das mit der fragilen Machtbasis Castillos, der als Kandidat, aber zunächst nicht als Mitglied der leninistischen Partei Perú Libre angetreten war, ohne in dieser Gruppierung über großen Einfluss zu verfügen. Erschwerend kam hinzu, dass er über keine parlamentarische Mehrheit verfügte, sodass personelle Zugeständnisse an die Opposition unausweichlich waren. Zunächst versuchten sich linke Parteien als Teil eines Regierungsbündnisses, während der Part leninistischer Kader aus Perú Libre zurückgedrängt wurde. Symbolhaft dafür war die Ernennung von Mirtha Vásquez von der bewegungsnahen Frente Amplio (Breite Front) zur Premierministerin. Im Februar dann kam es jedoch zu einer entscheidenden Neuausrichtung. Wegen einer Korruptionsaffäre, in die Castillo selbst verstrickt sein soll, verließen Mirtha Vásquez und zehn weitere Minister die Regierung, darunter der renommierte kritische Ökonom Pedro Francke. Neuer Wirtschaftsminister wurde der neoliberale Technokrat Óscar Graham. Mit dieser Zäsur fand sich nicht nur die bürgerliche Opposition besänftigt, sondern auch die Partei Perú Libre wieder verstärkt eingebunden, die sich mit ihrer teilweise wertkonservativen Programmatik als anschlussfähig erwies.
Nach einem weiteren Revirement Ende Mai, das von Perú Libre als „extreme Bewegung nach rechts“ beanstandet wurde, kam es im Juni zum endgültigen Bruch zwischen Castillo und dieser Partei, die ihm nie eine Hausmacht war. Um einem Ausschluss zuvorzukommen, verließ der Präsident Perú Libre. Nicht allein innerparteiliche Rivalitäten mögen dafür ausschlaggebend gewesen sein, auch die anstehenden Regionalwahlen trieben die einstigen Partner auseinander. Castillo hat in den vergangenen Monaten stark an Rückhalt verloren und findet aktuell nur noch bei einem Drittel der Bevölkerung Zuspruch, sicher auch die Folge eines oft unglücklichen Krisenmanagements.
Rauswurf per Gericht
Ende März drohte das Land wegen der gestiegenen Energiepreise und Lebenshaltungskosten unter einer Streikwelle begraben zu werden. Anfang April wurde gar eine Ausgangssperre für den Großraum Lima verhängt, um die Proteste einzudämmen, was aber nur weiter polarisierte. Die Maßnahme wurde daraufhin noch am gleichen Tag zurückgenommen. Was den Willen zum Aufruhr erst recht anfachte, war eine brutal vorgehende Polizei, der fünf Menschen zum Opfer fielen.
Vor einem Jahr hatte die Reformagenda Castillos für die Hoffnung auf einen sozialen Wandel gesorgt. Zentrale Punkte wie eine verfassunggebende Versammlung, eine verstaatlichte Erdgasförderung und eine Agrarreform wurden jedoch im Keim erstickt. Die Opposition hat mit ihren Blockaden im Kongress großen Anteil daran. Die ständigen Wechsel in den Ministerien und Castillos intransparenter Führungsstil taten ein Übriges. Ex-Minister berichten, es existiere so gut wie keine Koordination zwischen den Ressorts. Stattdessen verkehre Castillo mit einer Gruppe von Beratern, die keine offiziellen Ämter innehaben, sich aber wie ein Schattenkabinett gerieren.
Dieser Kreis der Erwählten ist nun offenbar tief in eine weitere Korruptionsaffäre verstrickt, die das ganze Land beschäftigt. Bei der Vergabe von Staatsaufträgen soll es zu persönlicher Bereicherung gekommen sein. Die Staatsanwaltschaft hat auch gegen Castillo Anklage erhoben, obwohl ihm das Präsidentenamt Immunität gewährt. Nachdem bisher zwei Versuche zur Amtsenthebung gescheitert sind, scheint der rechten Gegnerschaft nun ein Gerichtsverfahren das aussichtsreichste Mittel zu sein, um Castillo loszuwerden.
Da der Präsident keine Partei mehr hinter sich hat, durch den Korruptionsvorwurf belastet ist und mittlerweile dank einer erneuten Streikfront weiter in Bedrängnis gerät, ist zu vermuten, dass er bald abtreten könnte. Andererseits haben sich Teile der Opposition mit ihm arrangiert, da eine Amtsenthebung wie Neuwahlen schwere Risiken bergen. Zudem ist Castillo mittlerweile von seinem sozialreformerischen Programm auf ein neoliberales „Weiter so“ umgeschwenkt und stellt kaum mehr eine Bedrohung für die Interessen der wirtschaftlichen Elite dar.
Die Linksparteien befinden sich damit ebenfalls in der Opposition und werfen der Regierung den Bruch von Versprechen vor, wollen aber keinesfalls ihren Sturz auslösen. Denn eines ist klar: Die in der Folge zu erwartende Machtübernahme durch Rechtsparteien würde den ohnehin geringen Spielraum für emanzipatorische Politik komplett zerstören.
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