Quantencomputer, Wasserstoff, Kernfusion und alles, was mit Künstlicher Intelligenz zu tun hat: Das sind die Branchen, die Politiker und Ökonomen auflisten, wenn es um die künftigen Treiber von Wirtschaftswachstum geht. Wenig überraschend sind dies auch genau die Branchen, die chinesische Politiker Ende vergangener Woche nannten, als sie erklärten, worauf sich Chinas Industriepolitik im neuen Fünfjahresplan konzentrieren wird.
China ist schon jetzt mit einem Anteil von rund einem Drittel der globalen Produktion die mit Abstand führende Industriemacht. Mit seinen früheren Fünfjahresplänen hat das Land sich in alten deutschen Kernindustrien wie der Chemie-, der Auto- oder der Maschinenbauindustrie etabliert. Für die kommenden fünf Jahre nehmen die Parteikader sich „bedeutende Erfolge in der hochqualitativen Entwicklung“ vor.
In der Sprache der Kommunistischen Partei sind damit die oben genannten Zukunftsbranchen gemeint. Das erklärte Ziel sind „wesentliche Verbesserungen der wissenschaftlichen und technologischen Eigenständigkeit und Stärke“. Die Realwirtschaft zu fördern, sei Chinas wichtigste strategische Aufgabe, sagte Zheng Shanjie. Er ist als Chef der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission Chinas oberster Wirtschaftsplaner.
Chinas Überschuss im Außenhandel wird bleiben
Fachleute gehen davon aus, dass der Plan den Druck auf westliche Industrien noch erhöhen wird. Bis Ende September summierten sich Chinas Ausfuhren in diesem Jahr nach Angaben des chinesischen Zollamts umgerechnet auf rund 2400 Milliarden Euro, während die Einfuhren nur gut 1600 Milliarden Euro betrugen. Chinas Überschuss im Außenhandel werde angesichts der formulierten Prioritäten bestehen bleiben, erwarten die Analysten von Oxford Economics.
In Europa stehen in der Debatte um Chinas Industriepolitik vor allem die als unfair empfundenen Subventionen im Mittelpunkt. Das finanzielle Ausmaß der chinesischen Industriepolitik bezifferten Ökonomen des Internationalen Währungsfonds (IWF) kürzlich auf rund 4,4 Prozent der gesamten chinesischen Wirtschaftsleistung. Das entspräche umgerechnet knapp 650 Milliarden Euro im Jahr, deutlich mehr als die Ausgaben im deutschen Bundeshaushalt insgesamt. Rund zwei Prozentpunkte entfallen danach auf Subventionen, 1,5 Prozentpunkte auf Steuererleichterungen und je ein halber Prozentpunkt auf vergünstigte Kredite sowie Grund und Boden. Mit rund 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung sei das industriepolitische Engagement in der Europäischen Union weniger als halb so groß, schreiben die Autoren.
Führend im Bereich Wasserstoff
In Sachen Wasserstoff gilt die Volksrepublik schon heute international als führend. Rund drei Fünftel der Fabrikkapazitäten für Elektrolyseure, mit denen Wasserstoff hergestellt wird, stehen nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) in China. Die Elektrolyseure, die im Einsatz sind, befinden sich gemäß der IEA-Studie zu 70 Prozent in dem Land. Voraussetzung für die Herstellung von Wasserstoff ist reichlich Strom. In China mit seinem Mix aus Kohle, Erneuerbaren und Atomkraft ist das – anders als in Deutschland – kein Problem.
Chinas Industriepolitik umfasst noch mehr: Etliche Universitäten, darunter die Shanghaier Fudan-Universität, haben angekündigt, ihr Angebot in Geisteswissenschaften zu kürzen, um mehr Geld in technische und naturwissenschaftliche Fächer investieren zu können. In der Wirtschaft sind Vergehen gegen chinesisches Arbeitsrecht, etwa Vorgaben zu Überstunden, weit verbreitet. Geahndet werden sie kaum.
Die Bundesregierung beschloss Ende Juli eine Hightech-Agenda, um Deutschlands Position in Zukunftsfeldern wie Künstlicher Intelligenz, Quantentechnologie und Biotech zu stärken. Es gibt auch einen Aktionsplan für die Kernfusion und eine Strategie zur Förderung der Mikroelektronik. Am Mittwoch wollen Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Forschungsministerin Dorothee Bär (CSU) die Vorhaben offiziell in Gang setzen. Reicht das, um Deutschland zu einem „führenden Innovationsstandort“ zu machen, wie es in der Strategie heißt?
Zuständigkeiten-Klein-Klein in Deutschland
Schon frühere Regierungen formulierten ambitionierte Ziele, aus denen wenig wurde. Die jetzige Regierung verwendete erst mal knapp sechs Monate darauf, die Zuständigkeiten in der Wirtschafts- und Industriepolitik zwischen den Ministerien zu klären. Das Wirtschaftsministerium von Katherina Reiche (CDU) musste etliche Referate an das Ministerium von Bär abgeben. Es gibt im Wirtschaftsministerium zwar noch eine eigenständige Abteilung für Zukunftstechnologien. Der ist jedoch gerade die Abteilungsleiterin abhandengekommen. Christina Decker leitet nun im Digitalministerium die Abteilung „Deutschland-Stack“, die eine gemeinsame Grundlage der Informationstechnologie (IT) für die öffentliche Verwaltung schaffen soll. Zur Nachfolge von Decker äußerte sich das Wirtschaftsministerium auf Anfrage nicht.
Zwischen Bär und Reiche umkämpfte Förderprogramme wie das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand oder das Gründerprogramm EXIST bleiben im Wirtschaftsministerium. Die bundeseigene Agentur für Sprunginnovationen (SPRIND) wechselt dagegen aus dem Wirtschafts- ins Forschungsministerium, wo es nun auch eine Abteilung für Innovationspolitik gibt. Die Agentur war 2019 gegründet worden, um nach dem Vorbild der amerikanischen DARPA gänzlich neue Technologien zu entwickeln. Als „Heimat für radikale Neudenker:innen“ sieht die deutsche Agentur sich. Bislang haben die geförderten Projekte – von neuen Ansätzen in der Krebstherapie über große Windräder bis zu Kunststoffrecycling – wenig Aufsehen erregt.
In der Wirtschaft verfolgt man die Entwicklungen mit Sorge. „Der neue Fünfjahresplan zeigt einmal mehr: Deutschland und die EU müssen ihre Hausaufgaben machen“, sagt Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung im Bundesverband der deutschen Industrie (BDI). Es gebe einen politischen wie ökonomischen Systemwettbewerb mit China. Da „hilft kein Jammern“, sagt Niedermark. Europa müsse seine Wettbewerbsfähigkeit stärken, Lieferketten diversifizieren und Abhängigkeiten reduzieren. „Dabei dürfen wir allerdings auch die Debatte über wirksame Marktschutzinstrumente nicht scheuen.“ Mit Letzterem meint der BDI höhere Hürden für chinesische Exporte in die EU.
Wenig Geld für Zukunft
Die Beträge, mit denen die Bundesregierung zukunftsträchtige Wirtschaftsbereiche fördert, sind im Vergleich zu anderen Ausgabeposten klein. Rund vier Milliarden Euro weist der Haushaltsentwurf für 2026 für die Innovations- und Technologiepolitik aus. Zum Vergleich: Rund 17 Milliarden Euro gibt der Staat für die Förderung der erneuerbaren Energien aus, zwölf Milliarden ist ihm die energetische Sanierung von Häusern wert.
Als unlängst der Koalitionsausschuss tagte und nach Möglichkeiten suchte, die Lücken im Verkehrsetat zu füllen, wurden kurzerhand drei Milliarden Euro von der Mikroelektronikförderung abgezweigt. Nach der Absage von Intel für die geplante Chipfabrik in Magdeburg, hieß es zur Begründung, werde in diesem Bereich weniger Geld benötigt.