Paul Ziemiak: „Nicht jedes Unzufriedensein ist rechts“

Paul Ziemiak ist seit 2017 Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Von 2018 bis 2022 war er Generalsekretär der CDU. Seit November 2022 ist er Generalsekretär der CDU in Nordrhein-Westfalen.

DIE ZEIT: Herr Ziemiak, am
Wochenende hat die CDU über ihren Umgang mit der AfD diskutiert. Was ist denn
nun das Neue?

Paul Ziemiak: Die
Erwartungshaltung war hoch, das Ergebnis – dass wir unsere Position gegenüber der AfD
nicht verändert haben – war erwartbar und klar. Auf jeden Fall wird die AfD
nicht dadurch schwächer, indem wir über Tage über ihre Stärke diskutieren.

ZEIT: Der Anlass war doch,
dass die bisherigen Ansätze nicht geholfen haben. Die AfD ist immer stärker
geworden und zieht inzwischen in den Umfragen oft an der Union vorbei.

Ziemiak: Deshalb helfen keine Strategiedebatten,
sondern konkretes politisches Handeln in der Regierung. Man muss sich immer klarmachen, dass die unionsgeführte
Regierung noch nicht lange im Amt ist. Es dauert einfach, den Schalter wirklich
umzulegen. Aber Friedrich Merz und die Bundesregierung sind auf dem richtigen
Weg. Die Migrationswende ist erfolgreich eingeleitet, das Bürgergeld wird bald
Geschichte sein. Jetzt geht es weiter. Und in Sachsen-Anhalt beispielsweise hat
der Wahlkampf nicht einmal begonnen. Wir haben als Union jeden Grund, selbstbewusster
aufzutreten.

„Deutschland ist ein weltoffenes Land“

ZEIT: Was Sie sagen, läuft
auf die gute alte Parole vom Wegregieren raus: durch Aufgreifen und
Bearbeiten von Problemen der AfD die Luft zum Atmen zu nehmen. Jetzt hat man
eine neue Migrationspolitik, die auch von starken Worten begleitet wird. Aber
die AfD steigt trotzdem immer weiter in der Gunst der Wähler.

Ziemiak: Viele Bürgerinnen und Bürger in
unserem Land lehnen sich doch nicht gegen eine übermächtige Mitte auf, die ihre
Verantwortung wahrnimmt – sondern gegen das Gefühl von der Ohnmacht dieser
Mitte. Und da hilft es nicht, nur zu erklären, warum Partei X oder Y nicht
gewinnen soll. Sondern zu beschreiben, warum wir, die Union, genau die
Richtigen sind, um diese Probleme zu lösen. Wir sollten uns eher fragen, was
wir als Kanzlerpartei noch besser und noch schneller machen können.

ZEIT: Der Kanzler hat jetzt mit dem
Stichwort vom „Stadtbild“ Furore gemacht. War das hilfreich?

Ziemiak: Es ist doch klar:
Deutschland ist ein weltoffenes Land und wir brauchen Zuwanderung. Wir können auf die große Integrationsleistung unserer Gesellschaft in den
letzten Jahrzehnten stolz sein. Allerdings spricht der Kanzler auch die Probleme an, die
es gibt. Jeder, der regelmäßig Zug fährt
und sich an Bahnhöfen aufhält oder ins Freibad geht, weiß genau, was gemeint
ist.

ZEIT: Warum wird es dann nicht
konkret gesagt? Was genau ist gemeint?

Ziemiak: Es geht nicht ums Aussehen, sondern um das Fehlverhalten von einigen – mit und ohne Migrationsgeschichte. Gehen Sie mal an
einen Bahnhof, an den Berliner Hauptbahnhof zum Beispiel. Dann kommt über Lautsprecher eine Warnung, dass Taschendiebe sich im
Bahnhof aufhalten. Menschen erleben jeden Tag in deutschen Großstädten
Kriminalität, Vermüllung und die Folgen der irregulären Migration in Form von
Parallelgesellschaften. Man erlebt aggressives Betteln, man sieht die
Verwahrlosung ganzer Stadtteile, was auch sehr viel mit sozialen Fragen zu tun
hat, mit Armutsmigration, insbesondere aus Südosteuropa.

„Rückschritt in der Frage, wie wir leben“

Obendrein haben wir mittlerweile
einen Zustand, dass es Jüdinnen und Juden mit einer Kippa in manchen Stadtteilen von Berlin nur noch unter Lebensgefahr möglich ist, sich zu bewegen. Das ist
die Realität heute in Deutschland. In Berlin gibt es inzwischen Taxi-Angebote von
Frauen für Frauen. Das ist kein Fortschritt, das ist ein Rückschritt in der
Frage, wie wir leben. 

ZEIT: Hatte ich bisher noch nie, dieses Problem. Aber Stichwort „Stadtbild“. Im Kommunalwahlkampf in NRW war das Thema im
Zusammenhang mit Armutsmigration allgegenwärtig. Warum ist es der
Landesregierung bisher nicht gelungen, dem Herr zu werden?

Ziemiak: Keine
Landesregierung geht so entschlossen gegen den Sozialmissbrauch vor wie die
von Nordrhein-Westfalen. Wir unterstützen die Kommunen energisch darin, sogenannte
Schrottimmobilien, die Anker des Sozialmissbrauchs sind, zu erwerben und
abzureißen. Dafür haben wir Rechtsgrundlagen geschaffen, dafür haben wir Geld
zur Verfügung gestellt.

„Dass die Gesellschaft immer rechter wird, würde ich so pauschal nicht unterschreiben“, sagt Paul Ziemiak.

ZEIT: Wie läuft so etwas dann?

Ziemiak: Wir erleben
Armutszuwanderung aus Südosteuropa, dabei geht es vor allem um zwei Länder, nämlich
Bulgarien und Rumänien, vor allem um die Gruppe der Sinti und Roma. Viele von
ihnen wandern im Rahmen der europäischen Freizügigkeit statt in den
Arbeitsmarkt direkt in die deutschen Sozialsysteme ein. Das konzentriert sich
vor allem auf Städte wie Gelsenkirchen, Duisburg oder Hagen. Das ist der eine
Teil.

ZEIT: Also der individuelle Missbrauch …

Ziemiak: Genau. Dahinter gibt
es aber einen großen Teil von sozialem Missbrauch, der von regelrechten
Banden kriminell organisiert wird. Die Armut der Zugewanderten wird gnadenlos
missbraucht, damit einige wenige sich extrem bereichern können. Da werden die
eben schon erwähnten Schrottimmobilien erworben, in denen die Menschen
untergebracht werden. Alleine bei einer Kontrolle im Wohnkomplex Weißer Riese in Duisburg wurde festgestellt, dass dort Leistungen für Kinder in Höhe von 177.000
Euro unrechtmäßig bezogen wurden. Die Kinder sind gar nicht mehr da oder waren
vielleicht niemals da. 

Die Bewohner müssen zum Teil Geld abgeben an die Leute,
die hinter diesen Systemen stehen. Die zahlen keine Abgaben für die Immobilien.
Diese Häuser sind häufig im Prinzip unbewohnbar, aber die Miete aus dem
Bürgergeld wird einfach kassiert. Wenn es dann zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen
kommt, erwirbt einfach wieder jemand aus diesem Clan, aus dieser Bande heraus dieselbe
Immobilie. Diesen kriminellen Machenschaften hat die Landesregierung den Kampf
angesagt.

„Weg der AfD wäre der sichere Untergang der deutschen Wirtschaft“

ZEIT: Ist die europäische Freizügigkeit
also für Sie mehr Fluch als Segen?

Ziemiak: Sie ist überhaupt kein Fluch, sondern eine große Errungenschaft. Aber sie wird missbraucht. Dem können wir aber auch mit nationalen Maßnahmen entgegentreten Man kann mit einfachen
Rechtsänderungen, gutem Datentausch und Kooperation zwischen den zuständigen
Behörden, mit Ordnungsamt, Jobcenter, Polizei und Feuerwehr schon vieles
erreichen. Und genau deswegen hat die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen
eine entsprechende Initiative ergriffen und einen konkreten Antrag zur weiteren
Bekämpfung des Sozialleistungsmissbrauchs in den Bundesrat eingebracht.

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