Pariser Autosalon: Gegen den Elektroauto-Frust

Totgesagte leben länger, das gilt auch für Messen. Im Oktober 2022 war der traditionell im Wechsel mit der deutschen IAA alle zwei Jahre ausgetragene Pariser Autosalon nur noch ein Schatten seiner selbst. Von den früher mehr als eine Million Besuchern waren keine 400.000 mehr übrig geblieben. Außer Mercedes, ein paar Chinesen und den Lokalmatadoren Renault sowie den im Stellantis-Konzern aufgegangenen Marken Peugeot, Citroën und DS war praktisch tote Hose. Das spärlich belegte Messegelände galt als Sinnbild für den Bedeutungsverlust der französischen Autoindustrie.

Um deren Hersteller spannt sich mit Michelin, Forvia (vormals Faurecia), Valeo und OPmobility (vormals Plastic Omnium) zwar immer noch ein leistungsfähiges Zulieferergeflecht. Noch stärker als die premiumorientiertere Konkurrenz aus Deutschland müssen die Franzosen jedoch darum kämpfen, ihren Platz in der Autowelt von morgen zu finden. Für die Massenproduktion von Kleinwagen ist ihre Heimat als Hochlohnland schon lange kein wettbewerbsfähiger Standort mehr, und bei den großen Innovationstrends Elektrifizierung und Digitalisierung spielt die Musik in Nordamerika und Fernost.

Tesla präsentiert martialischen Cybertruck

Doch stünde die an diesem Montag beginnende 90. Salonauflage wieder stellvertretend für den Zustand der französischen Industrie – die Sorgenfalten wären unbegründet. Die Molltöne von 2022 sind verflogen, die Branche hat Paris wiederentdeckt. Von einem „Fest des Automobils und der Bewegungsfreiheit“ sprechen die Veranstalter, die sich seit Monaten über ein deutlich gewachsenes Interesse an der Messe freuen. Mit 70.000 Quadratmetern in den Hallen und 15.000 Qua­dratmetern draußen nimmt der Salon stolze 50 Prozent mehr Fläche in Anspruch als vor zwei Jahren. Staatspräsident Emmanuel Macron hat für den Auftakt am Montag einen Besuch angekündigt.

Toyota und Mercedes sind zwar nicht präsent, dafür feiern mit BMW und Volkswagen die zwei anderen Branchenriesen aus Deutschland ihr Comeback, dazu die VW-Marke Audi. Selbiges gilt für Ford und die US-Premiummarke Cadillac. Auch Tesla ist anders als 2022 wieder auf dem Salon und will dort unter anderem seinen martialischen Cybertruck präsentieren.

Die Franzosen fühlen sich dadurch umso mehr herausgefordert: Renault widmet jeder der fünf Konzernmarken einen eigenen Stand und hat sieben Weltpremieren angekündigt, während Citroën gleich eine komplett erneuerte Modellpalette vorstellt. Nachdem Softwareprobleme die Produktion im slowakischen Trnava wochenlang verzögerten, bringt die Stellantis-Marke mit dem ë-C3 gerade einen ersten halbwegs erschwinglichen elektrischen Kleinwagen auf den Markt. Er kostet 23.330 Euro und ist damit in Frankreich, das anders als Deutschland weiter Kaufprämien zahlt, für weniger als 20.000 Euro erhältlich.

VW und Stellantis unter Druck

Doch vor allem die neuen Fahrzeuge aus Fernost dürften diese Woche für viel Gesprächsstoff sorgen. Der chinesische Hersteller Xpeng will unter dem Motto „Enchanté, Paris!“ für seine Innovationskraft werben, während Leapmotor, seit einem knappen Jahr im Verbund mit Stellantis, mit seinem in Polen produzierten Kleinstwagen T03 vorfahren will. Mit 18.900 Euro unterbietet er den Preis des ë-C3 noch einmal deutlich. Groß in Szene setzen will sich in Paris zudem Chinas Branchenprimus BYD. Er positioniert sich im Gegensatz zu Leapmotor dezidiert als „Premium-Technologieunternehmen“, wie die Topmanagerin Stella Li im Gespräch mit der F.A.S. gerade betonte. Auch in Zukunft werde BYD kein Einstiegsmodell für weniger als 25.000 Euro anbieten, sagte sie.

Industriepolitisch könnte der Zeitpunkt des Pariser Schaulaufens brisanter kaum sein. Die ganze Autobranche ist gerade im Umbruch. Mit Volkswagen und Stellantis stehen in Europa vor allem die beiden großen Volumenhersteller unter Druck. Im Vergleich zum großen japanischen Wettbewerber Toyota sind sie nur noch Leichtgewichte an der Börse. Zugleich hat die EU Zusatzzölle auf Autoimporte aus China beschlossen, verschärfen sich die Absatzprobleme der deutschen Hersteller in Fernost weiter und ringt Europa sowohl um das Verbrenner-Aus im Jahr 2035 als auch die scharfen Flottengrenzwerte, deren Verfehlung die Hersteller im kommenden Jahr 15 Milliarden Euro an Strafe kosten könnte.

Geringer Wiederverkaufswert der E-Autos

Trotz Kaufprämien, eines subventionierten Leasingangebots für kleine E-Autos und weiterer staatlicher Fördertöpfe geht der Hochlauf der Elektromobilität selbst im Salon-Gastland Frankreich nicht so vonstatten wie erhofft. Der Anteil batterieelektrischer Autos an den Neuzulassungen bleibt mäßig. Mit 16,7 Prozent lag er im Zeitraum von Januar bis August nur leicht über dem europäischen Mittelwert von 14 Prozent und auch nur leicht über dem Vorjahreswert von 15,4 Prozent.

Die Kaufzurückhaltung hat die gleichen Gründe wie in Deutschland, von der „Reichweiten- und Ladeangst“ gerade zur Hauptreisezeit bis zu einem um 40 bis 60 Prozent höheren Anschaffungspreis im Vergleich zu vergleichbaren Verbrenner-Modellen. Hinzu kommen geringe Wiederverkaufswerte wegen der schnellen Weiterentwicklung der Batterietechnik.

Vor diesem Hintergrund werden die Forderungen aus Deutschland und Frankreich lauter, den europäischen Herstellern entgegenzukommen und die EU-Flottengrenzwerte aufzuweichen. Das ist nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, da sich die Politik in Paris bislang noch deutlicher zur Elektromobilität bekannt hat als Berlin – und die Antriebswende auch als Chance sieht, die Wettbewerbsposition der heimischen Hersteller gegenüber der jahrzehntelang dominierenden deutschen Konkurrenz zu verbessern.

Macron will mehr Unabhängigkeit

Sie fügt sich in Macrons Souveränitätskonzept: Die Produktion von Elektroautos made in France soll unabhängig machen von fremden Mächten und zugleich gut bezahlte Industriejobs in einer Zukunftstechnik in die Regionen bringen, die dank Atomstrom obendrein umweltfreundlich sei. Die Abstimmung zwischen Regierung, Industrie und Gewerkschaften in Frankreich ist eng, erst im Mai haben sie einen dreijährigen „Branchenvertrag“ unterzeichnet mit dem Ziel, von 2027 an jährlich 800.000 Elektrofahrzeuge zu verkaufen.

Chinesische Hersteller ficht der schleppende Hochlauf der Elektromobilität in Europa derweil nicht an, zumindest offiziell nicht. Vielmehr setzen sie ihre ambitionierte Expansion nach Europa fort. Neue Fabriken entstehen. Während der europäische Batteriehersteller ACC seine Investitionen in Deutschland und Italien wegen der Unsicherheit im Markt pausiert hat, bestätigte die BYD-Managerin Li, in Ungarn Ende 2025 die Produktion aufnehmen zu wollen.

Die neuen europäischen Zusatzzölle könnten chinesische Investitionen in Fabriken in Europa sogar weiter ankurbeln, glauben Branchenbeobachter. Noch ist der Marktanteil chinesischer Marken in Europa gering, aber er wächst: Im Juni erreichte er mit rund elf Prozent aller neuzugelassenen Elektroautos ein Rekordhoch.

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