Palästina und die Meinungsfreiheit: Eine Universität ohne Protest ist tot

Eine Uni ohne Protest ist tot. Eine Uni, in der sich Studierende nicht ihren Raum nehmen, auch in dramatischer Bühnenpräsenz, wäre eine Alma Mater, die ihre Kinder nicht mehr stillt. Nicht nur mit Wissen, sondern auch mit dem, was sie einmal mit hinausnehmen in die Welt, um sie zu beflügeln und zu verändern. Diesen meinungsoffenen Freiraum zu verteidigen, ist eine große Aufgabe. Nun hat die akademische Protestwelle, die in den USA ihren Anfang nahm, endgültig auch Deutschland erreicht, mit der öffentlichkeitswirksamen Besetzung zuerst des Theaterhofs an der Freien Universität Berlin Anfang Mai und vergangene Woche am Institut für Sozialwissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität (HU).

Was HU-Präsidentin Julia von Blumenthal lernte

Anhänger:innen der „Student Coalition Berlin“, die sich zur bedingungslosen Solidarität mit Palästina bekennen, fordern unter anderem den „vollständigen akademischen und kulturellen Boykott“ Israels. Bis zu 120 Studierende verbarrikadierten sich in den Institutsräumen, unterstützt von mehreren hundert „Free Palestine“ Skandierenden vor dem Gebäude, flankiert von einem großen Polizeiaufgebot. Die Stimmung war von Anfang an aufgeheizt, denn zuvor hatte die Freie Universität das Feld ohne Debatte räumen lassen.

Julia von Blumenthal, Präsidentin der HU, zog daraus die Lehre, einen anderen Weg zu gehen, indem sie das Gespräch mit den Studierenden suchte und die Besetzung vorerst tolerierte. Gleichzeitig stand sie offenbar unter politischem Druck, denn Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hatte keinen Zweifel daran gelassen, „das nicht durchgehen lassen“ zu wollen. Ob die Räumung des Gebäudes zu einem Zeitpunkt, als von Blumenthal noch verhandeln wollte, „einverständig“ erfolgte, wie Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) behauptet, ob auf Druck oder auf eindeutige politische Weisung, ist noch ungeklärt. Nicht die Räumung ist der Streitpunkt, sondern der Zeitpunkt.

Der falsche Umgang der HU-Besetzung mit der Presse

Jedenfalls fühlten sich Studierende, die selbst nicht an der Besetzung beteiligt waren, von der polizeilichen Aggressivität abgeschreckt, der „Arbeitskreis kritischer Jurist*innen“ beurteilt das Vorgehen teilweise als illegal. Und die Hochschulen sehen ihre Autonomie bedroht: „Der Mangel an Vertrauen“, so TU-Präsidentin Geraldine Rauch, zeuge von „mangelndem Vertrauen in die Hochschulleitungen“ und untergrabe deren Autonomie. In einem offenen Brief verteidigen Hunderte von Lehrenden die studentische Meinungsfreiheit, „unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind“.

Die Forderungen sind das eine. Der Umgang der Besetzer:innen mit der Öffentlichkeit das andere. Presse ließen sie – mit einer Ausnahme – nicht zu, selbst die Vertreterin der Studierendenzeitung Unauf blieb, wie sich in einem verstört klingenden Artikel nachlesen lässt, außen vor und wurde hingehalten. Sie habe nicht das Gefühl gehabt, sagt die Autorin, mit ihresgleichen zu reden. Aber wo landen wir an den Unis, wenn sie einerseits ihre akademische Autonomie verteidigen sowie die Meinungsfreiheit – und sich gleichzeitig an feudale Strukturen erinnernde Näheverhältnisse durchsetzen, die den Zugang zu Information verbieten, ja unliebsame Journalist:innen sogar körperlich angegriffen werden? Seit Jahrzehnten versuche ich, Studierenden an der HU solche basalen Haltungen zu vermitteln. Und das nicht selbstverständliche Glück, überhaupt an der Universität zu sein.

Ulrike Baureithel ist seit 1998 Lehrbeauftragte an der Humboldt-Universität zu Berlin

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