Der ostdeutsche Regisseur Andreas Goldstein erzählt in einem persönlichen Film von den Jahren 1989/90, einer verlorenen Utopie und der Frage, warum der Osten noch immer als schwieriges Kind verhandelt wird
Noch ist alles ruhig: Straßenszene in Ostberlin am Morgen des 9. November
Foto: Andreas Goldstein/ZDF
Die Nachrichten der Aktuellen Kamera, Bilder der geöffneten Grenze, Leute strömen durch die Bornholmer Straße. Auf einmal stehen Westreporter an der Mauer. Regisseur Andreas Goldstein erzählt in seiner neuen Dokumentation Mein Land will nicht verschwinden von Erwartungen und Niederlagen, von einer Zukunft, die keine mehr war, gesammelten Erfahrungen, die wertlos geworden waren. „Die Kapitulation des deutschen Sozialismus am 9. November 1989 war beiläufig erfolgt. In Form eines Reisegesetzes“, spricht er aus dem Off. Seine erste historische Erfahrung sei die des Niedergangs der DDR gewesen.
Andreas Goldstein wurde 1964 als Sohn Klaus Gysis in Ostberlin geboren, ist in der DDR aufgewachsen und Halbbruder von Gregor Gysi. Die Familie lebte in einem Haus am Rande der Stadt. Es gehörte ihnen nicht, das Thema Besitz war für die Eltern historisch erledigt. Nach dem Verschwinden der DDR drehte Andreas Goldstein auf der Trabrennbahn in Ostberlin. Von den Tribünenbänken blättert der Lack ab, ein Pferd stand einsam in einer Führanlage. „Was suchte ich hier – das letzte Bild meines Landes?“ Die DDR war für ihn vor allem das Abwesende: kein Reichtum, kein Kapital, kein Bürgertum.
Putzfrauen in Prenzlauer Berg
Seinen eigenen Filmaufnahmen und persönlichen Erinnerungen, poetischen schwarz-weiß-Bildern, stellt er Archivaufnahmen des Ost- und Westfernsehens gegenüber: Honecker angetrunken auf der Leipziger Messe oder die legendäre Demo am 4. November‘ 89 auf dem Alex, wo keine Arbeiter sprachen, sondern Schauspieler und Schriftsteller. Die Banner mit politischen Forderungen sollten in eine Kunstausstellung wandern. Als Heiner Müller freie Gewerkschaften fordert („denn die Preise werden steigen, die Löhne kaum“), wird er ausgepfiffen. Mit dem Mauerfall wurden Demonstranten „Schaufensterbummler“, meint Goldstein. Die Besitzverhältnisse wurden umgekehrt. Und später tauchten im Prenzlauer Berg auch wieder Putzfrauen und Kindermädchen auf.
Andreas Goldstein kam als ostdeutscher Filmemacher in die West-Branche, wo es „nicht reichte, dass ich meine Arbeit machte. Ich musste alles großartig finden.“ Es wurde etwas verlangt, das er nicht zu bieten hatte: Identifikation mit dem neuen System. Nur nicht infrage stellen. Goldstein hat Dokumentar- und Spielfilme gedreht (Der Funktionär, Adam und Evelyn), die sich mit deutscher Geschichte, mit den Verwerfungen vor und nach der Wende auseinandersetzen. Leerstellen.
Der Westen war keine Alternative, sagt er im Film, „er hatte keine Antworten auf unsere Fragen“. Geschichte wurde umkämpftes Gebiet, wer hat die Deutungshoheit? „Man sprach vom Osten wie von einem schwierigen Kind“, sagt er, dabei habe es in der DDR eine Freiheit gegeben, die kein Kapitalismus bieten könne, die Freiheit von Existenzängsten. Den Traum, dass die Menschen es selber in der Hand haben, in welcher Gesellschaft sie leben möchten.
Hoffnung und Abkehr, ein Leben in Widersprüchen
Diese Doku geht unter die Haut, weil sie zeigt, dass man dieses Land und die Leute darin, mit ihren Hoffnungen und Freuden, ihrer Wut, Hoffnungslosigkeit und Abkehr (ein Leben in Widersprüchen) nur verstehen kann, wenn man darin gelebt hat. Denn das hat nicht nur mit Fakten und Verstand zu tun, sondern auch mit Emotionen. Es gab Lebensleistungen, die man heute so nennt, weil man sie entwerten will, dabei sind es Leistungen. Sie sind nicht weniger wert als im Westen.
Es gab eine Utopie, die von Gemeinschaftlichkeit gegen schnöden egoistischen Individualismus. Das ist was Gutes. Er erzählt das ruhig und ein bisschen traurig.