„Ost*West*Frau*“ von Franziska Hauser: „Wie wir wurden, wer wir sind“

„Ost*West*Frau*“ von Franziska Hauser: „Wie wir wurden, wer wir sind“

„Schriftstellerinnen treffen sich. Sie sind unterschiedlich alt. Sie sind feministisch. Manche lebten früher in Ostdeutschland, manche lebten früher in Westdeutschland. Sie reden über ihre Meinungen und ihre Geschichte.“ So beginnt der, in einfacher Sprache geschriebene Teil, des Programmhefts für das Ost*West*Frau* Festival das vom 8. – 10. März 2024 in der Berliner Volksbühne stattfand. „Die Frauen fragen sich: Gibt es noch einen Unterschied zwischen Ost und West?“

Unsere Mütter entsprachen den Klischees: ostdeutsche Arbeiterin, westdeutsche Hausfrau

Und so einfach begann es auch ein halbes Jahr zuvor zwischen Maren Wurster und mir. Zwei Schriftstellerinnen trafen sich auf dem Weg zu einem Literaturfestival im Zug und fingen an zu reden. Eine ist 1975 in Ostberlin geboren, ich nämlich, und die andere 1976 auf dem Schwäbischen Land, Maren nämlich. Unsere Mütter entsprachen den Klischees von der ostdeutschen Arbeiterin und der westdeutschen Hausfrau und wir fragten uns plötzlich, in welchem Maße wir den Klischees selbst entsprechen, weil wir unseren Müttern entsprungen sind. Stärker als wir bisher gedacht hatten, offenbar. In diesem Sinne interessiert aneinander, begannen wir gegenseitig unsere Herkunft auszurollen, stießen dabei auf Löcher, blinde Flecken. Als die Reise zu Ende war, musste das Gespräch unbedingt noch weitergehen, denn es bestand ein deutlich größerer Verständigungsbedarf als es sich für Zuggespräche eigentlich gehört.

Maren schrieb darüber in der Zeit, ich antwortete darauf in der Berliner Zeitung und die logische Fortführung unseres Austauschs lag für uns darin, mit anderen ins Gespräch zu kommen und das dreitägige Festival zum Thema zu organisieren. So akademisch ernst wollten wir die Sache aber nicht nehmen und setzen übertrieben viele Sternchen in den Titel, die sowohl Geschlechtergerechtigkeit symbolisieren als auch haufenweise Fußnoten kennzeichnen können.

Uns fielen gleich eine Menge Frauen ein, die der Ost-West-Frau-Formel seit Jahren entnervt zu widersprechen versuchen und den Kopf schütteln über Binsenweisheiten die seit 35 Jahren hartnäckig als Leitbild kolportiert werden. Mit diesen Frauen wollten wir differenzierter herausfinden, wie zum Teil unbewusste, frühe gesellschaftliche Prägungen heute noch in die eigene Lebensplanung hineinwirken. Wie verschränkt sich die Erfahrung, in der BRD oder der DDR groß geworden zu sein, mit der gelebten Sexualität, der Mutterschaft, der Arbeit, dem Glauben? Wir wollten unbedingt das Politische mit dem Intimen verknüpfen.

Von den angefragten Autorinnen kamen gleich Feuer und Flammen zurück. Einige begeistert, andere verzweifelt, ob der unlösbaren Aufgabe, diese Fragen abschließend zu beantworten. Aber alle wollten dabei sein. Eigentlich sollte in den drei Tagen die Fragen geklärt werden, warum der Ostfeminismus immer noch auf einer völlig anderen Ebene stattfindet als der Westfeminismus. Aber Frauen, die wir mit ihren, extra fürs Festival geschriebenen Texten, auf die Bühne gebeten hatten, und deren Dialogen wir zuhören durften, hatten dieselben Probleme wie Maren und ich beim ersten Zuggespräch. Im Publikum wurde weiterdiskutiert.

Einmal wurde sogar wütend reingerufen und türknallend rausgegangen. Vier sehr junge Frauen waren verärgert über eine westsozialisierte Autorin, die sie für zu desinteressiert am Osten hielten. Auf mein Drängen waren auch zwei Männer im Team. Ich hatte viele angeschrieben, aber die meisten waren verhalten, fürchteten sich, was Falsches zu sagen und öffentlich angegriffen zu werden. Für Maren war eigentlich klar, dass Männer bei einem Frauen Festival nichts zu suchen hätten, während ich Feminismus ohne Männer für komplett überflüssig hielt.

Ich lernte, dass westdeutsche Männer keine Fans von Christa Wolf sind

Erst durch die vielen Texte verstand ich, dass westsozialisierte Frauen offenbar das Bedürfnis hatten, sich gegenseitig zu empowern und dafür einen Schutzraum brauchten, in welchem sie sich erstmal dem männlichen Zugriff und der wirtschaftlichen Abhängigkeit entziehen mussten. Männer einzubeziehen in diesen Befreiungsplan, kam offenbar nicht infrage, da die Frauen davon ausgingen, dass Männer dieser Befreiung im Weg stehen mussten, um ihre Vorteile sicherzustellen. Auch politisch rechneten die Frauen offenbar nicht mit Unterstützung, sondern planten den Aufstand gegen das Männer-System ohne Männer.

Der Ostfeminismus dagegen hatte eine vollkommen andere Grundlage, da ja die Gleichberechtigung in der DDR bereits Staatsprogramm gewesen ist. Mit dieser Überzeugung ist meine Mutter aufgewachsen und auf der Grundlage hat sie mich erzogen. Bis ich fünfzehn war und die Mauer fiel, wusste ich nicht, dass Gleichberechtigung nicht in ganz Deutschland selbstverständlich ist. Diese Informationen musste ich mir mühsam aneignen. Dass westdeutsche Männer nicht selbstverständlich Literatur von Frauen lesen, dass sie keine Fans von Christa Wolf sind, wie die Männer meiner Vätergeneration, habe ich eigentlich erst jetzt langsam begriffen.

Care-Arbeit: Es käme mir vor, als sollte ich fürs Zähne putzen bezahlt werden

Letztendlich hatte der Feminismus in beiden Teilen Deutschlands dieselben Ziele. Es ging um gleiche Bezahlung, mehr Frauen in Führungspositionen und mehr Rücksichtnahme auf frauenspezifische Bedürfnisse und Interessen. Nur ging es im Osten um die Verhandlung über die Aufgabenverteilung mit Männern, wobei keine Seite sich dazu gezwungen sah, die andere unter Druck zu setzen, da keine der beiden Seiten eine sehr viel höhere Machtposition hatte und Forderungen gegen die andere durchkämpfen musste. Schließlich stand ja das staatliche System hinter uns Frauen. Eher mussten sinnvolle Lösungen gefunden werden, um unser Miteinanderleben effektiver zu gestalten.

Wogegen es mir im Westen eher darum zu gehen schien, dass die Männer irgendetwas Besseres hatten, wovon sie den Frauen nicht so viel abgeben wollten. Vor allem Macht, Geld und Verantwortung. Und letztendlich steckt eben auch der Kollektivgedanke noch in der alten Ostgesellschaft: Frauen und Männer gemeinsam. Und der Konkurrenzgedanke steckt in der alten Westgesellschaft: Frauen gegen Männer.

Kollektiv war man im Westen eher in der Familie und im Privaten. Der innerfamiliäre Zusammenhalt scheint mir tatsächlich im westsozialisierten Raum immer noch wesentlich stärker zu sein als im Osten, wo Volkseigentum mehr wert war als Privateigentum. Die Familien waren wirtschaftlich nicht gezwungen zusammenzuhalten, taten es auch oft nicht, fielen schneller auseinander, formierten sich neu. Gleichberechtigung als Staatsprogramm und das Kollektivbewusstsein durch Volkseigentum sind nur zwei Beispiele von vielen weiteren Missverständnissen, die den Ost- von den West-Feminismus unterscheiden und zu gegenseitigen Unverständnis führen, das in meinem Bekanntenkreis sogar schon in Unversöhnlichkeit ausgeartet ist.

Was Ostfrauen von Westfrauen lernen können

Da wird tatsächlich behauptet, der Feminismus der Gottkönigin Alice Schwarzer sei als reine Lehre der einzig wahre Feminismus. Das Thema Care-Arbeit ist ebenfalls ein irritierendes Thema. Die, für mich befremdliche Forderung, für die Kinderfürsorge bezahlt zu werden, käme mir vor, als wollte ich dafür bezahlt werden, dass ich mir meine Zähne putze. Bekäme ich ein Care-Honorar sähe es für mich aus, als wären meine Kinder Produkte, die ich herstelle, um sie dem kapitalistischen System zu verkaufen. Aus einer Westsozialisierung, in der die eigene gesellschaftliche Position selbstverständlich aus Geld, Leistung und Besitz zu bestehen scheint, ist die Forderung allerdings verständlich.

Was Ostfrauen von Westfrauen lernen können, ist die Sensibilität für ausbeuterische Verhältnisse. Diese Qualifikation fehlt Ost-Frauen meiner Generation oft und wir erkennen die Strukturen schlechter, die hinter einem Arbeitsverhältnis stecken. Was Westfrauen von Ostfrauen lernen können, ist die beruflichen und privaten Abhängigkeitsverhältnisse nicht als naturgegeben zu betrachten, sondern eine selbstverständlich mitbestimmende Herangehensweise auszuleben, wie es Frauen im Osten täglich gewohnt waren.

Eigentlich zwei Kompetenzen, die, einander ergänzend, unschlagbar wirken sollten. Und das taten sie auch im Fall von Maren und mir. Während Maren wusste, wie man Gelder beantragt und mir beibringen musste, dass wir nicht alles selber machen, sondern Leute beauftragen, war Maren erstaunt über mein eigenmächtiges Handeln, wenn etwas sofort erledigt werden musste. Wir haben viel gelernt und einiges geklärt. Aber das größte Missverständnis, das alle Erklärungsversuche wieder zunichte macht, bleibt das Scheitern der DDR und die Tatsache, dass die niemand ernsthaft zurückhaben will.

Ost*West*frau*: Wie wir wurden, wer wir sind. Franziska Hauser, Maren Wurster (Hrsg.), mit Texten von Franziska Hauser, Maren Wurster, Asal Dardan, Charlotte Gneuß, Daniela Dahn, Florian Werner, Julia Wolf , Katja Kullmann, Kenah Cusanit, Kerstin Hensel , Mechthild Lanfermann, Nadège Kusanika, Olga Hohmann, PS – Politisch Schreiben, Ruth Herzberg, Sabine Peters, Sabine Rennefanz , Thomas Brussig. FVA Verlag, 256 S., 22 €

Franziska Hauser wurde 1975 in Berlin-Pankow geboren. Sie studierte an der Kunsthochschule Weißensee und an der Ostkreuzschule. Ihr Roman Sommerdreieck erschien im Rowohlt Verlag. Die Gewitterschwimmerin (Eichborn) war 2018 für den Deutschen Buchpreis nominiert, zuletzt erschien ihr Roman Keine von ihnen. Franziska Hauser hat zwei Kinder und lebt meistens in Berlin

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