Frau Ostermann, Ende Februar hat der Verband „Die Familienunternehmer“, dem Sie als Präsidentin vorstehen, beschlossen, das Kontaktverbot mit AfD-Politikern aufzuheben und sie künftig auch zu Veranstaltungen einzuladen. Was haben Sie sich dabei gedacht?
Auf unserer Strategietagung kurz vor der Bundestagswahl haben wir uns auf die Zeit danach vorbereitet und die erschreckend hohen Umfragewerte der extremen Ränder gesehen. Wir haben gemeinsam entschieden, dass wir alle Parteien, die im Bundestag vertreten sein werden, als Teilnehmer zu Bundesveranstaltungen einladen – auch die der extremen Ränder. Damals ging es um AfD und BSW.
Um korrekt zu sein: Wir haben Herrn Holm als wirtschaftspolitischen Sprecher seiner Bundestagsfraktion eingeladen. Spitzenkandidat wurde er erst später. Aber zu Ihrem Punkt: Wir haben gesehen, dass die Einladung nicht zu dem geführt hat, was wir wollten. Der AfD-Abgeordnete hat uns in einer Debatte im Bundestag instrumentalisiert und rhetorisch eine Nähe zu uns hergestellt, die es nicht gibt. So ist ein völlig falscher Eindruck entstanden. Deswegen war es uns wichtig, das zu korrigieren. Auf der Strategietagung im Frühjahr hatten wir ohnehin festgelegt, unsere Einladungspolitik zum Jahresende zu evaluieren.
Welchen Eindruck wollen Sie genau korrigieren?
Mir ist ganz wichtig: Unser Verband öffnet sich nicht der AfD, und es darf auch keine Normalisierung der extremen Ränder stattfinden. Wir haben nun beschlossen, Abgeordnete extremer Ränder zukünftig nicht mehr zu bundesweiten Veranstaltungen einzuladen. Wir wollen andere Wege der kritischen Auseinandersetzung finden, durch die wir nicht instrumentalisiert werden können.
Dass die AfD diese Verbindung instrumentalisieren würde, hätten Sie das nicht antizipieren müssen?
Wenn das für uns so absehbar gewesen wäre, dann hätten wir das so wahrscheinlich nicht beschlossen.
Ihre Korrektur des Kurses ist also eine Wiedereinführung eines absoluten Kontaktverbotes?
Wir sind wieder bei dem, was früher galt: keine Einladungen zu Bundesveranstaltungen. Die AfD ist bundesweit stärkste oder zweitstärkste Kraft. In Sachsen-Anhalt ist die Zustimmung extrem hoch, mit Aussicht auf die Regierung. In Bayern und Hessen ist sie Oppositionsführerin, demnächst vielleicht auch in Baden-Württemberg. Das ist die Realität, in der wir leben. Vor dem Hintergrund haben wir jetzt eine Kommission eingesetzt, um zu besprechen, wie alle Ebenen unseres Verbandes damit umgehen können.
Nur damit ich es richtig verstehe – auf Landesebene könnte es sein, dass es weiter Einladungen an AfD-Politiker geben wird?
Um dafür handhabbare Lösungen zu finden, bei denen immer klar ist, wofür wir stehen, haben wir die Kommission eingesetzt. Dort werden wir in den nächsten Wochen und Monaten mit unseren Mitgliedern diskutieren. Fakt ist: Die AfD wird in Umfragen immer stärker, gerade auf Länderebene. Unsere Mitglieder und Ehrenamtlichen vor Ort sind damit konfrontiert. Doch für die Stärke der AfD in den Wahlumfragen ist nicht unser Verband verantwortlich. Ich erwarte da auch wirksame Antworten der Regierungsparteien.
Einige finanzstarke Mitgliedsunternehmen Ihres Verbandes wie Rossmann und Vorwerk sind ausgetreten, nachdem über die AfD-Einladung berichtet wurde. Andere sollen internen Widerstand organisiert haben, Unionspolitiker sollen interveniert haben. War der Grund für die Kehrtwende der Druck, der entstanden ist, oder wirklich die Überzeugung, dass diese Aufhebung des Kontaktverbots ein Fehler war?
Es ist ein falscher Eindruck über unsere Positionierung zur AfD entstanden, und das mussten wir dringend korrigieren. Natürlich sind die Debatte und der Austausch von Argumenten wichtig in einer Demokratie, aber immer mit dem Ziel, die politische Mitte zu stärken. Unsere Arbeit ist unverrückbar verbunden mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Wir lehnen das Menschenbild der AfD ab. Es passt nicht zu den Werten der Familienunternehmer. Wir brauchen Toleranz, Vielfalt, qualifizierte Zuwanderung, offene Märkte. Und die grundsätzlichen Positionen der AfD sind wirtschaftsfeindlich. Ein Austritt aus der EU und ein Ende des europäischen Binnenmarkts wären fatal für unsere gesamte Wirtschaft.
Sind denn außer den bekannten Unternehmen noch viele weitere ausgestiegen?
Wir haben 6500 Mitglieder, die persönlich Mitglied sind, nicht als Unternehmen. Jeder hat eine Stimme, jeder ist gleich wichtig. Es gab Austritte, aber keine große Welle.
Kann man die wirtschaftspolitischen Positionen der AfD trennen von dem, was da sonst noch ist, also von dem Rechtsextremen und Demokratiefeindlichen, dem Ausländerfeindlichen, dem Völkischen?
Das kann man nicht trennen. Unser Verband wurde vor 76 Jahren gegründet mit dem Wunsch: keine Diktatur, sondern Freiheit. Schon die Gründer waren Menschen, die sich für die politische und wirtschaftliche Freiheit eingesetzt haben, verbunden mit den Werten der sozialen Marktwirtschaft – Eigenverantwortung, aber auch soziale Verantwortung für Mitarbeiter, Gesellschaft, Eigentum.
Sie haben das Ende des Kontaktverbots zur AfD anfangs mit großer Überzeugung verteidigt. Wörtlich haben Sie gesagt, das Überbieten mit immer heftigeren Antifa-Parolen habe nichts gebracht, die AfD wächst trotz Brandmauer kräftig. Ist diese Analyse denn plötzlich falsch?
Nein, eine Demokratie lebt vom Widerspruch und vom Austausch der besseren Argumente. Und wir Familienunternehmer haben uns schon lange kritisch mit der AfD auseinandergesetzt. Im letzten Jahr haben wir unsere Argumente in Kampagnen vorgebracht. Als einziger großer Bundesverband der Wirtschaft haben wir im Landtagswahlkampf in Sachsen mit der Flughafenplakataktion „Keine Reise ins Blaue“ Farbe bekannt. Wir haben auf die Bedeutung qualifizierter Fachkräftezuwanderung oder das rückwärtsgewandte Frauenbild der AfD hingewiesen.
Ein Vorwurf, der schwerwiegendste vielleicht, war, dass Sie die völkischen, menschenfeindlichen Positionen der AfD dadurch, dass Sie mit denen reden, ein Stück weit normalisieren könnten.
Davon distanziere ich mich auf Schärfste. Auch deswegen haben wir den neuen Beschluss getroffen. Wir distanzieren uns von Extremisten. Wir lehnen deren Inhalte ab und lassen uns nicht von ihnen vereinnahmen.
Steckte nicht auch unternehmerisches Kalkül dahinter, frühzeitig Kontakte zu einem Politiker wie Holm zu knüpfen, der womöglich Regierungsverantwortung in Mecklenburg-Vorpommern übernehmen könnte?
Nein. Wir wollen die AfD nicht stärken, wir wollen, dass sie kleiner wird. Ich persönlich will nicht, dass AfD-Politiker gewählt werden und in Regierungsverantwortung kommen. Und Herr Holm war nicht als Spitzenkandidat, sondern als wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Bundestagsfraktion eingeladen.
Sie gehören einem Beirat der Denkfabrik R21 an, die die Brandmauer der CDU zur AfD beseitigen will. Unterstützen Sie ganz persönlich auch diese politische Position, dass diese Brandmauer nicht richtig ist?
Ich bin damals in den Beirat von R21 gegangen, weil ich die Soziale Marktwirtschaft unterstützen wollte. Mir geht es um bürgerliche Politik. Sollte sich die Ausrichtung dieses Thinktanks grundsätzlich ändern, werde ich mein Engagement überdenken. Aber das mache ich in Ruhe, nicht unter Druck.
Und die Brandmauer?
Die bisherigen politischen Strategien, die Extremränder kleinzuhalten, haben offensichtlich nicht funktioniert, und die Politik muss andere Wege finden. Am besten wäre es, wirksame Reformen umzusetzen, damit die Menschen wieder Vertrauen in die Politik der Mitte gewinnen, an das Aufstiegsversprechen glauben können und sehen, dass ihre Probleme gelöst werden. Das wäre ein wirksames Mittel gegen den Zuwachs der extremen Parteien.
Haben Sie in Ihrem Verband noch Rückhalt, oder haben Sie auch über Rückzug nachgedacht?
Man stellt sich alle möglichen Fragen im ersten Moment. Kein Wunder, es ist ja ein komplexes Thema, auch für die Gesellschaft insgesamt. Aber wir haben die Entscheidungen gemeinsam in unseren Gremien getroffen. Wir haben viel debattiert. Aber wir stehen zusammen. Das macht die Stärke unseres Verbandes aus.
Wie machen Sie das hier in Ihrem eigenen Unternehmen? Da haben Sie rein statistisch gesehen wahrscheinlich auch einen gewissen Anteil an Menschen, die AfD wählen. Wird das irgendwie adressiert?
Viele Familienunternehmer nehmen eine gesellschaftliche Spaltung wahr. Wir stehen aber für sozialen Zusammenhalt. Ich merke auch im eigenen Unternehmen eine Unzufriedenheit mit den Entwicklungen in diesem Land. Ich rede dann persönlich mit den Menschen, mit dem Ziel, zu vereinen, Spaltung zu überwinden und sachlich Lösungen zu finden.
Sie haben in der Vergangenheit Ihre Ablehnung der AfD deutlich gemacht. Dennoch wurden Sie im Internet zuletzt massiv beschimpft als Wegbereiterin des Faschismus. Was hat Sie am meisten getroffen?
Natürlich trifft mich das, weil das überhaupt nicht ich bin. Ich habe mich damals, als die FDP erstmals aus dem Bundestag ausschied, sehr engagiert, diese Partei wieder zurück in den Bundestag zu bringen. Ich bin überzeugte Demokratin und stehe für die Soziale Marktwirtschaft, für Freiheit, Vielfalt, Toleranz. Wir haben hier im Unternehmen so viele Menschen aus unterschiedlichsten Ländern. Respekt und Wertschätzung allen Menschen gegenüber, ganz egal welcher Herkunft oder Religion – dafür stehe ich.
Was haben Sie in den letzten Wochen persönlich erlebt?
Die Reaktionen waren schon heftig. Hier in meinem Unternehmen ist viel angekommen, was über mich geschrieben wurde. Das wurde durch Social Media verstärkt, gerade negative Kommentare wurden dort durch die Algorithmen verstärkt verbreitet. Hinzu kamen durch KI generierte Fake News, ich sei AfD-Politikerin. Mich haben auch Kunden darauf angesprochen, das konnte ich in persönlichen Gesprächen richtigstellen.
Haben Sie da schlaflose Nächte gehabt?
Ja, natürlich! Ich hatte schlaflose Nächte und große Sorgen, aber ich stelle mich dieser Debatte und steuere gegen. Das ist mir unglaublich wichtig, jetzt zu handeln und nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Was im Internet über mich noch steht, ist heftig und für mich nicht hinnehmbar.
Gibt es da Dinge, gegen die Sie juristisch vorgehen?
Das habe ich prüfen lassen, das ist aber bei KI-generierten Fake News schwierig. Für mich ist jetzt wichtig, Präsenz zu zeigen und deutlich zu machen, wofür ich stehe.
Ist es in Deutschland nach Ihren Erfahrungen überhaupt möglich, über den richtigen Umgang mit der AfD nüchtern zu diskutieren?
Unsere Gesellschaft muss eine Lösung finden, wenn wir nicht wollen, dass extreme Ränder stärker werden. Und das muss sachlich stattfinden. Was mich besonders erschreckt hat, war der Jagdeifer von Aktivisten, die viele Familienunternehmen, die im Verband Mitglied sind, angegriffen haben. Das war extrem aggressiv und radikal, ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Verluste und Arbeitnehmer. Diese Radikalität und diese bewusste Spaltung treiben doch viele Wähler eher noch mehr in die Arme von extremen Parteien.
Was glauben Sie, warum sind die Reaktionen so heftig?
Die Reaktionen zeigen, wie gespalten unser Land ist. Die Intensität der Debatte, die uns getroffen hat, zeigt auch, dass viele die Wählerwanderung hin zu dieser Partei nicht wahrhaben wollen und keine Lösungen suchen. Die braucht es jetzt aber. Ein Baustein: Die Bundesregierung muss endlich wirksame Reformen für eine Wirtschaftswende umsetzen, die die Probleme der Bürger und Betriebe lösen.
Was sind aus Ihrer Sicht kurzfristig die zwei, drei wichtigsten Reformen?
Damit die Arbeitnehmer wieder zuversichtlicher werden, brauchen sie mehr Netto vom Brutto, also mehr Kaufkraft. Dazu müssen die Sozialversicherungsbeiträge durch klare Reformen auf der Ausgabenseite stabilisiert werden und dann sinken. Das hilft dann auch den Betrieben. Die nicht mehr wettbewerbsfähigen Steuern sollten viel schneller gesenkt werden als inzwischen geplant, damit sich Investitionen in Deutschland auch wieder rechnen. 2028 ist dafür zu spät! Und dann die immense Bürokratie – nach wie vor geht so viel Arbeitszeit für Dokumentationspflichten drauf anstatt für Wertschöpfung. Es reicht einfach nicht, auf die Krise unseres Standortes mit Autogipfeln oder Stahlgipfeln und immer noch mehr Subventionen zu reagieren. Wir stecken in einer Strukturkrise, deshalb braucht es Strukturreformen.
Die letzten Wochen waren für Sie turbulent. Was ist Ihr persönlicher Weihnachtswunsch?
Mein persönlicher Wunsch ist, dass dieses Land wieder einen Aufschwung erlebt. Ich wünsche mir selbsttragendes Wirtschaftswachstum, damit die Menschen wieder Vertrauen in den Wirtschaftsstandort und in ihre eigene Zukunft gewinnen. Und ich persönlich wünsche mir auch, dass die AfD nächstes Jahr schwächer wird und nicht in Regierungsverantwortung kommt.