Ostdeutschland | Verändertes Stadtbild in Ostdeutschland: Die neue Gemeinschaft denn Hoffnung

Wo einst Entwertung und Rückzug herrschten, bringen neue Gesichter Bewegung. Migration verändert im Osten nicht nur das Straßenbild – sie kann auch eingefrorene Orte wieder öffnen. Wenn man den Wandel nicht fürchtet, sondern gestaltet


Friedrich Merz stilisiert ausländisch gelesene Personen als vermeintliches Problem im Stadtbild. Die reale Gefahr vom Terror junger Neonazis ist für ihn hingegen kein Problem

Collage: der Freitag, Material: Midjourney


Wenn Friedrich Merz vom „veränderten Stadtbild“ spricht, ist das eine bewusst vage gehaltene Anspielung. Der rassistische Subtext ist in der Gesamtaussage zugleich klar: „Nichtweiße migrantische Gruppen im öffentlichen Raum sind ein Problem.“ Und: „Dieser Raum wurde den Alteingesessenen weggenommen.“ Damit bespielt der Kanzler bundesweit diffuse Ängste und Verlustgefühle – und das mit Erfolg.

Mit Blick auf Ostdeutschland zeigt sich dabei: Die reale Gefahr, die derzeit in vielen Orten vom Terror junger Neonazis ausgeht, spielt für Merz keine Rolle. Vielmehr nimmt er offenbar in Kauf, dass eben jene seine Aussage auf ihre Art interpretieren – als Ermutigung, noch mehr „national befreite Zonen“ zu schaffen, No-go-Areas für bestimmte Gruppen. Schon länger beklagen Opferberatungsstellen und Initiativen eine Zunahme rechter Gewalt, die sich vor allem gegen queere Menschen, Linke und eben Migrant*innen richtet. Merz befeuert dies nicht nur, sondern geht dabei auch von einer falschen Prämisse aus. Denn Migration ist kein Problem, sondern eine Chance – speziell für Ostdeutschland.

Veränderung findet statt – und belebt Orte des Niedergangs

Es stimmt ja: Viele Orte haben sich dort in den vergangenen Jahren verändert. Vor allem in ostdeutschen Kleinstädten und Plattenbaugebieten setzt sich die Bevölkerung mittlerweile anders zusammen. Beispielsweise das Leipziger Neubauviertel Grünau: In den 1990er Jahren verlor es rund die Hälfte seiner Einwohner*innen – oft qualifizierte Facharbeiter*innen, die die Wohnungen zu DDR-Zeiten noch als Privileg verstanden. Im vergangenen Jahrzehnt sind nun erstmals wieder etwa 10.000 Menschen hinzugekommen. Viele leben prekär, viele ohne deutschen Pass. In Grünau sind sie vor allem gelandet, weil sie in anderen Leipziger Stadtteilen keine Wohnungen mehr bekommen. Auch wenn eine wesentliche Ursache Verdrängung ist – das erneute Wachstum belebt.

Das ist nicht überall so. Viele ostdeutsche Kleinstädte sind verödet. Der stetige Wegzug junger und gut ausgebildeter Menschen, insbesondere Frauen, hat in den vergangenen Jahren im ländlichen Raum seine Spuren hinterlassen. In Verbindung mit zunehmenden ökonomischen Schwierigkeiten gibt es vielerorts zwar mittlerweile renovierte, aber doch leer gefegte Innenstädte. Bäcker und Post haben zugemacht, als sozialer Begegnungsort findet sich vielleicht noch ein von Migrant*innen betriebener Imbiss.

In Müncheberg, einer Kleinstadt im brandenburgischen Märkisch-Oderland, hat das letzte Lokal während Corona geschlossen. Eine Gruppe Einwohner*innen betreibt seitdem ehrenamtlich ein Café, um wenigstens einen Gemeinschaftsort zu halten. Eine Seltenheit – an vielen Orten mangelt es an solch einem Engagement. Das hängt auch mit den Erfahrungen der Wendezeit zusammen. Die stark an die Arbeitsplätze gebundenen sozialen Netzwerke zerbrachen damals, zuvor kollektiv genutzte Räume verschwanden oder wurden privatisiert. Das Ergebnis: Arbeitslosigkeit führte zu Scham, Verbitterung und Vereinzelung machten sich breit. Viele Menschen zogen sich ins Private zurück.

Die stark an die Arbeitsplätze gebundenen sozialen Netzwerke zerbrachen, zuvor kollektiv genutzte Räume verschwanden oder wurden privatisiert

Die aktuelle Veränderung der Bevölkerung könnte hier eine Chance sein: Die nach 2015 gekommenen Migrant*innen sind nicht von den Wende-Erfahrungen geprägt. Sie haben daher die Möglichkeit, mit einem anderen, frischeren Blick auf die ostdeutschen Orte zu schauen. Damit sie aber nicht nur aufgrund beengter Unterkünfte oder mangelnder Job- und Freizeitmöglichkeiten in den öffentlichen Raum ausweichen, braucht es auch Unterstützung und eine Veränderung der Mehrheitsgesellschaft. Wenn diese ihre Vorbehalte überwindet, kann sie selbst profitieren: Die alteingesessenen Einwohner*innen hätten die Möglichkeit, den frischen Blick auf ihre Stadt zu übernehmen und auch selbst wieder mehr die Öffentlichkeit zu suchen. Orte könnten nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ wachsen.

Das Problem: Es fehlt eine Sprache für soziale Probleme

Doch es ist kompliziert. Viele der Alteingesessenen empfinden Veränderungen nicht als Bereicherung, sondern als Bedrohung. Das hängt auch mit den gemachten Erfahrungen zusammen: Gentrifizierung, Wegzug und Rückbau führen zu einem Gefühl von Kontrollverlust. Das zeigt sich etwa im lauten Ruf nach Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit. Zugleich haben viele Ostdeutsche (wie übrigens auch Geflüchtete) die Erfahrung gemacht, dass die Politik im Alltag keine Hilfe ist. Bei Fragen zur Stadtentwicklung wird in der Regel über ihre Köpfe hinweg entschieden, Partizipationsangebote werden als Fassade wahrgenommen – die Erwartungen an Institutionen sind gering.

Das alles findet vor dem Hintergrund einer starken AfD statt. Die mögliche Ursache, jedenfalls aber die Folge: Es fehlt an einer politischen Sprache, um soziale Konflikte zu benennen. Probleme wie geschlossene Bahnhöfe, ungewartete Wohnhäuser, fehlende Gemeinschaftsräume oder junge Erwachsene ohne Arbeitsmöglichkeit werden dadurch kulturalisiert – und zeigen sich im „Schimpfen über Ausländer“. Diese Themen müssten dabei wieder zum Gegenstand politischer Debatten werden – etwas, das Merz’ Geraune gerade verhindert.

Weichen werden in ostdeutschen Kommunen gestellt

Beim Sprechen übers „Stadtbild“ geht es letztlich um die Frage, wem der öffentliche Raum gehört. In Ostdeutschland werden dabei Weichen gestellt: In vielen Orten entscheidet sich gerade, ob man in Niedergang und Abschottung verharrt – oder ob es gelingt, einen neuen Alltag zu schaffen. Im erwähnten Café in Müncheberg gibt es Veranstaltungen, die Geflüchtete mit Alteinwohner*innen in Kontakt bringen. Davon braucht es mehr. Räume, in denen Alteingesessene und Zugezogene sich begegnen, ohne Projektlogik, ohne Misstrauen – einfach als Nachbar*innen. Ziel sollte dabei nicht die „Verteidigung“ des Stadtbilds sein – sondern seine gemeinsame Gestaltung von unten.

Das geht jedoch nur, wenn Rassismus von Institutionen und Mehrheitsgesellschaft zum Thema gemacht wird, gemeinsame soziale Probleme als solche behandelt, Begegnungsorte gefördert und Ostdeutsche mit Einwanderungsgeschichte nicht mehr als „fremd“ wahrgenommen werden.

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