Ostdeutschland | Stasis „Alleingänger“, jener die skandinavische Kunst nachher Rostock brachte

Horst Zimmermann öffnet die Tür zu seiner kleinen Wohnung. Gemälde überall an den Wänden. Skulpturen in Bronze und modernistischem Zuschnitt. „Das da drüben ist von Jørgen Buch. Ein Selbstporträt. Mein Sohn hat es vor einigen Jahren aus Kopenhagen mitgebracht“, sagt der 94-Jährige. Auf der Rückseite steht eine Widmung auf Dänisch: „An Horst mit Dank für die Jahre 1967 bis 1984“.

Jedes Werk an den Wänden um ihn herum hat seine eigene Geschichte. Als Sekretär der Biennale der Ostseeländer und Direktor der Kunsthalle Rostock reiste er von Ende der 1960er- bis Mitte der 1980er-Jahre häufig nach Skandinavien. „Ich bin ungefähr einmal im Jahr losgefahren. Der Zweck war, skandinavische Künstler:innen für Ausstellungen in der DDR zu gewinnen“, sagt Zimmermann.

Eine der Reisen begann am 31. März 1973. Sein Dienstreisebericht an das Ministerium für Kultur ist in den Akten des Stasi-Archivs gut dokumentiert. Mit seinem weißen Wartburg fuhr er auf die Fähre von Rostock nach Gedser. In Dänemark angekommen, holte er den Maler Victor Brockdorff und den Karikaturisten Herluf Bidstrup ab – zwei zentrale Figuren im damaligen Kulturaustausch mit der DDR.

Bidstrup genoss Starstatus im Ostblock, wo er 1964 den Lenin-Preis erhielt, die Antwort des Warschauer Pakts auf den Nobelpreis. „Brockdorff war einer der wichtigsten dänischen Realisten und ein prominentes Mitglied der Künstlergruppe Corner“, erzählt Zimmermann. Mit Brockdorff an seiner Seite und Bidstrup auf dem Rücksitz ging die Reise weiter. „Es war wichtig, mit dem Auto unterwegs zu sein, viele Künstler:innen hatten die Ateliers auf dem Lande. Palle From und Karl Bovin, zum Beispiel. Per Ulrich hatte viel Platz in seinem Garten, wo er Bronzeskulpturen goss.“

In Kopenhagen traf er auch die Künstlerin und Auschwitz-Überlebende Olly Ritterband und organisierte anschließend eine große Ausstellung ihrer Werke in Rostock. Auch den vor den Nazis aus Deutschland geflohenen jüdischen Bildhauer Kurt Harald Isenstein lernte Zimmermann durch Brockdorff kennen und zeigte seine Skulpturen in der Kunsthalle.

Ab und zu bricht die 96-jährige Ingeborg Zimmermann mit einem Namen oder einer Jahreszahl ein, wenn das Gedächtnis ihres Mannes nachlässt. Das Paar lebt seit fast 40 Jahren in dieser Wohnung in der Dresdner Plattenbausiedlung Gorbitz. Sie zogen ein, nachdem Horst 1985 seine Amtszeit als Direktor der Kunsthalle Rostock beendet hatte. Seine Arbeit dort begann zwei Jahrzehnte zuvor – im Jahr 1965. Auch seine Beziehung zum Sicherheitsdienst der DDR reicht bis dahin zurück.

Insbesondere die von ihm geleiteten Ostsee-Biennalen, bei denen Künstler:innen aus ganz Nordeuropa nach Rostock kamen, erregten die Aufmerksamkeit der Stasi. „Die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit kamen natürlich gleich am Anfang zu mir und haben gesagt, wir möchten gerne wissen, was hier passiert. Sie wollten wissen, wer unter meiner Regie aus Skandinavien nach Rostock kommt, ob sie die Namen kennen oder ob es da Probleme gibt“, sagt er.

Zu Zimmermanns speziellen Aufgaben gehörte die „Aufklärung ausländischer Künstler“, wie es in einem Dokument aus dem Stasi-Archiv heißt. Es verwendet die Abkürzung für „Inoffizieller Mitarbeiter im besonderen Einsatz“: „Der IME arbeitet selbstständig, verfügt über einen Dienst- und Privat-Pkw und kann zur Lösung der gestellten Aufgaben seine berufliche Tätigkeit und gesellschaftliche Tätigkeit in Kulturgremien ausnutzen.“ Horst Zimmermann sagt dazu heute: „Ich war in einer üblichen Form eingebunden, die eigentlich öffentlich war. Bis darauf, dass man nicht darüber sprach, aber ansonsten wussten das alle.“

„Chef, der Konsum will Sie sprechen“, warnten ihn seine Mitarbeiter:innen

Die Mitarbeiter:innen des Rostocker Kunstmuseums kündigten die Ankunft der immer zivil gekleideten Geheimpolizisten sogar mit einem besonderen Wort an: „Wenn sie in die Kunsthalle kamen und ich oben in den Ausstellungsräumen war, meldete sich unsere Hauptbuchhalterin, Frau Schlegel: ‚Chef, der Konsum will Sie sprechen.‘ Die kamen übrigens nicht nur in die Kunsthalle, wenn sie von mir was wollten, sie liefen oft einfach diskret herum und beobachteten die Gäste.“

„Konsum“ erhielt von Zimmermann auch eine kurze Charakterisierung von Jørgen Buch: „Gerade aus Leningrad zurückgekehrt, hat Buch eine sehr positive Haltung, auch in Hinblick der Beeinflussung der gleichaltrigen dänischen Künstler in Kopenhagen. Er ist Kommunist-Leninist. Lehnt den Mao-Rummel ab. Begeistert von der Sowjetunion, wo er einige Monate studiert hat. Kommt zur Ostseewoche nach Rostock“, schrieb er.

Die Stasi erhält auch aus einer anderen Quelle Informationen über Jørgen Buch. Nämlich von einem IME mit dem Decknamen „Nilsson“: Buch „ist ein progressiver, sehr talentierter dänischer Kunststudent, der bei den Professoren der Kopenhagener Akademie aufgrund seiner Leistungen geachtet ist. Er plant, in Kopenhagen ein Atelier einzurichten, um dort zu arbeiten und kulturell zu wirken. Er will einen Freundeskreis der progressiven Künstler schaffen. Dieser Kreis soll als operative Basis für Werber ausgenutzt werden“, lautet ein Bericht vom 22. April 1970. Der dänische Maler selbst erhält eine Einladung, in Stasis Sold zu treten – und sie hat schon einen Decknamen bereit: „Kunst“. „Es geschah bei mir im Café der Kunsthalle.

Der Mann von der Stasi lud Buch auf einen Kaffee ein und sagte, er wolle mehr darüber wissen, was in Dänemark vor sich geht. Er fragte, ob Buch an einer Zusammenarbeit interessiert sei“, erzählt Zimmermann. „Aber Buch war sehr deutlich und hat sofort abgelehnt. Ich erinnere mich noch genau an den Vorfall, denn danach kam er zu mir und erzählte mir die ganze Sache, leicht erschüttert. Sie müssen verrückt sein, rief er aus.“

Über seine eigene Beschreibung von Buch an die Stasi sagt Zimmermann heute: „Das waren meine Möglichkeiten. Ich habe Leute kennengelernt. Und sie sollten für uns sein, wenn sie hier ausstellen wollten. Das war besser, als wenn ich gesagt hätte, ich habe Leute eingeladen, die sind gegen die DDR. Warum sollte ich mir da Schwierigkeiten holen? Dann habe ich das auch ehrlich gesagt.“

Zimmermann berichtete aus den höchsten Rängen der dänischen Kulturelite – von Gesprächen mit den Leitern des Museums Louisiana, von Charlottenborg, der Königlich Dänischen Akademie der Schönen Künste und des Dänischen Verbands Bildender Künstler. Ähnlich war der Vorgang in Stockholm und Oslo. Eines Tages parkte das Trio im weißen Wartburg vor dem Atelier des bekannten dänischen Künstlers Kurt Trampedach.

In dem Bericht, der bei der Stasi landete, schreibt Zimmermann: Trampedach entwickle „sich zum Schockrealisten, der mit Schaufensterfiguren und Wachsfiguren arbeitet und dadurch den amerikanischen POP nachäfft und zu antihumanistischen Auffassungen kommt. Er glaubt aber, daß das der einzig richtige Weg für den realistischen Künstler jetzt sei. Es konnte keine Übereinstimmung erzielt werden.“ „Wir haben mehrmals Trampedach angesprochen, um ihn dazu zu bewegen, in der DDR auszustellen. Aber er war nicht interessiert. Diese Antwort habe ich oft bekommen“, sagt Zimmermann heute.

Mit Berufsstolz und Hartnäckigkeit gelang es ihm die umfangreiche Kunstsammlung aufzubauen

In einer stalinistischen Diktatur wie der DDR verwundert es nicht, dass die Stasi von einem hochrangigen Staatsangestellten wie Zimmermann Namen und Stimmungsberichte erzwang. In einem derart rigiden System erstaunt vielmehr die Möglichkeit zu eigenständigem Handeln. Mit einer Mischung aus Berufsstolz, Hartnäckigkeit und einer ausgeprägten Fähigkeit, eine oft feindselige Bürokratie zu bearbeiten, gelang es ihm, in „seinem“ Museum in Rostock eine umfangreiche Kunstsammlung aus dem „kapitalistischen Ausland“ aufzubauen.

Dabei überwand er mehrere Hindernisse: Mit seiner Auswahl der Werke und Künstler:innen stellte er sich immer wieder wirkungsvoll gegen die Kulturpolitik der DDR, die mit der Stilrichtung sozialistischer Realismus Propaganda für den Bauern- und Arbeiterstaat vorgab. „Ich war nicht so gut angesehen im Kulturministerium. Weil ich gegen die diktatorischen Maßnahmen gegenüber den Künstlern war.

Der Bitterfelder Weg muss durchgesetzt werden und solche Dinge. Da habe ich nicht mitgemacht. Ich wollte die offizielle Kulturpolitik nicht verantworten. Immer habe ich Ärger bekommen“, sagt Zimmermann. Eine weitere Hürde waren die sehr begrenzten finanziellen Mittel. „Wenn ich auf meinen Reisen die Ateliers besuchte, habe ich immer versucht, Kunst zu bekommen. Aber das war schwierig. Ich hatte kein Geld. Dann habe ich einen Urlaub in Ostdeutschland als Bezahlung angeboten. Da sind manche gekommen“, sagt er.

In den Fluren der Kunsthalle Rostock wird der Herr, der das Museum 1969 etablierte, vom Personal immer noch respektvoll als „der Gründungsdirektor“ erwähnt. Zimmermanns Engagement und Bedeutung für den Aufbau der großen Sammlung – überwiegend mit skandinavischer Kunst – fasst die Kunsthistorikerin Elke Neumann in ihrer Dissertation zum Thema 2022 so zusammen: „Sein Einfluss kann nicht unterschätzt werden“.

Ungünstige Berichte anderer IMs schürten das Misstrauen der Stasi gegen Zimmermann

Schon vor der Fertigstellung der Kunsthalle begann er, auf eigene Faust zu sammeln, und sorgte dafür, dass die Kunsthalle mehr als nur ein Gebäude für Wechselausstellungen wurde. „Alles, was bis 1985 in die Kunsthalle erworben wurde, ist meine Arbeit. Da gebe ich nicht an. So wie ich vier Jahre um die Errichtung der Kunsthalle auf einer Wiese am Schwanenteich gekämpft habe, habe ich von Anfang an jede Gelegenheit wahrgenommen, eine Kunstsammlung aufzubauen“, fährt er fort. „Das hast du“, nickt Ingeborg Zimmermann ihm zu. „Meine Frau und meine Kinder haben darunter gelitten“, sagt er. „Sicher“, bestätigt sie.

Aber nicht genug damit. Zunehmend ungünstige Berichte von anderen Inoffiziellen Mitarbeitern schüren das Misstrauen der Stasi gegenüber Zimmermann. Denn er wird selbst überwacht. In den Berichten wird er immer wieder als „Alleingänger“ und „mit einer Affinität zu bürgerlichen Eliten“ umschrieben – schwere Vorwürfe in einem selbst ernannten sozialistischen Staat. Darüber hinaus kritisieren die Informanten seine Praxis, Werke ohne staatliche Genehmigung in die DDR zu importieren.

Hingewiesen wird in den Akten zudem darauf, dass Zimmermann Diskussionen und Treffen mit ausländischen Künstlern beiwohnte, ohne darüber zu berichten, und nach eigenem Ermessen zu Gesprächen mit Künstlern einlud. Insgesamt tragen die Enthüllungen der Informanten und das Misstrauen der Stasi dazu bei, dass der Eindruck entsteht, Zimmermann tue ständig einfach das Nötigste, um den Geheimdienst und das System zufriedenzustellen. So kann er sich am besten darauf konzentrieren, die Ostseebiennalen zu veranstalten und die Sammlung der Kunsthalle aufzubauen. „Es gab viel Widerstand, aber ich habe es durchgesetzt“. „Ich habe es durchgesetzt …“, wiederholt er fast zu sich selbst.

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