Offshore-Windkraft: „Im Zweifel steht hinauf dieser Anlage dann dasjenige Klo to go“ – WELT

Die Gewerkschaft IG Metall will bessere Bedingungen für die Arbeit auf Offshore-Windanlagen durchsetzen – von grundlegenden menschlichen Bedürfnissen bis hin zur Rettung auf See. Nur so könnten genügend Fachkräfte für die stark wachsende Branche gefunden werden.

Die Offshore-Windkraft-Branche in Deutschland soll in den kommenden Jahren deutlich wachsen – und damit auch die Ansprüche an die Arbeitsbedingungen vor allem der Servicetechnikerinnen und -techniker auf See. Neue Windparks speziell im deutschen Teil der Nordsee werden immer weiter von der Küste entfernt gebaut. Das wirft Fragen auf – zur Sicherheit und zum Arbeitsschutz bis hin zu den hygienischen Bedingungen bei der Arbeit auf den Windturbinen.

Die Gewerkschaft IG Metall will strengere Regeln für den Arbeitsschutz auf dem Meer durchsetzen. „Der Ausbau der Offshore-Windenergie braucht bessere Standards für sichere Arbeitsplätze und eine schnelle Rettung auf See“, sagte am Freitag Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste. Heutzutage stehen im deutschen Teil von Nord- und Ostsee etwa 1600 Windturbinen mit einer Gesamtleistung von 8,6 Gigawatt. Bis zum Jahr 2030 soll diese Leistung auf 30 Gigawatt ausgebaut werden und 2045 auf bis zu 70 Gigawatt.

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„Dafür wird deutlich mehr Personal benötigt – gerade draußen auf offener See. Entsprechend müssen mehr Maßnahmen getroffen werden, um unter Offshore-Bedingungen sicher zu arbeiten“, sagte Friedrich. „Zumal die künftigen Windparks deutlich weiter von der Küste entfernt sein werden – bis zu 350 Kilometer. Das bedeutet erhöhte Anforderungen an ein Rettungskonzept und an die Arbeitsbedingungen im Windpark.“

Branchenschätzungen zufolge werden 2045 insgesamt bis zu 55.000 Menschen in der Offshore-Windindustrie arbeiten – etwa 20.000 mehr als heute. Die Zahl der Servicetechniker dürfte von heutzutage etwa 1500 im kommenden Jahrzehnt auf bis zu 4500 ansteigen, sagte Heiko Messerschmidt, Branchenbetreuer Windindustrie bei der IG Metall. Die Bundesregierung habe klargestellt, „dass Offshore-Windparks als Arbeitsstätten anzusehen sind und dass damit sowohl das Arbeitsschutzgesetz als auch die Arbeitsstättenverordnung gelten“. Die Branchenverbände der Offshore-Windkraft-Industrie müssten sich nun mit den Vertretern der Arbeitnehmer darüber verständigen, wie bessere Arbeitsbedingungen auf See erreicht werden könnten.

Die IG Metall stellt dazu vier Kernforderungen: Bei der Wartung von Anlagen sollen mindestens drei Personen auf der Anlage oder einer Plattform sein, „um im Falle von Arbeitsunfällen und Rettungsaktivitäten angemessen reagieren zu können“. Zudem müsse die Kommunikationsinfrastruktur ausgebaut werden, „etwa durch funktionierendes Internet und Transponder für die Beschäftigten im Windpark “. Für die Rettungsteams sollten verbindliche Standards definiert werden, heißt es im Positionspapier der Gewerkschaft: „Dazu gehört eine zentralisierte Leitstelle für Nord- und Ostsee mit Helikoptern und einem ausgebildeten Höhenrettungsteam. Ein Notarzt sollte binnen 50 Minuten bei einem Verletzten sein – bei Tag und bei Nacht.“ Und letztlich müssten die Arbeitszeiten standardisiert werden und etwa auch Möglichkeiten enthalten, Pausen einzulegen.

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Heutzutage gibt es zwei Rettungshubschrauber speziell für Offshore-Windparks in St. Peter-Ording und in Norddeich. Im gängigen System bedeutet „grün“, dass der Helikopter innerhalb der nötigen Frist – zumeist innerhalb einer Stunde – bei einem Verletzten sein kann. „Gelb/orange“ bedeutet, dass die Einsatzlage unklar ist, bei „rot“ kann der Hubschrauber die Person nicht bergen. Die IG Metall fordert unter anderem, dass der Status „gelb/orange“ abgeschafft wird. Grundsätzlich wird das Rettungssystem komplett überarbeitet werden müssen, wenn künftig Offshore-Windparks bis zu 350 Kilometer von der Küste entfernt im äußersten Winkel der ausschließlichen deutschen Wirtschaftszone errichtet werden, wie es das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg plant. Dann müssten zum Beispiel Schiffe auf See stationiert oder Rettungsplattformen mit Hubschraubern auf dem Meer installiert werden.

Bei den küstenfernen Windparks auf der Nordsee, die heutzutage bis etwa 100 Kilometer entfernt vom Festland stehen, werden hoch spezialisierte Serviceschiffe eingesetzt. Die Servicetechniker sind zumeist zwei Wochen auf See und haben dann zwei Wochen frei. Eine Schicht dauert zwölf Stunden plus eine Stunde Pause, dann folgen elf Stunden Ruhezeit auf dem – zumeist sehr gut ausgestatteten – Serviceschiff. Solche Schiffe setzen das Servicepersonal und dessen Arbeitsmaterial mit hydraulisch betriebenen Gangways morgens auf den Windturbinen ab und holen die Menschen abends wieder zurück. Zumeist arbeiten Männer auf den Anlagen und bislang auch einige wenige Frauen.

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Auf den Windturbinen sitzen die Servicekräfte bei der Arbeit häufig auf Maschinenteilen. Die Anlage ist während der Wartung abgestellt, sie schwankt durch den zumeist wehenden Wind aber trotzdem permanent. Rückzugsräume oder fest installierte Toiletten gibt es in den Maschinenhäusern mehr als 100 Meter hoch über dem Meer nicht. „Im Zweifel steht auf der Anlage dann das ,Klo to go’“, sagt Dirk Oldewurtel, stellvertretender Vorsitzender des Betriebsrats beim Serviceunternehmen Wind Multiplikator in Emden. Gemeint sind damit zum Beispiel provisorische Behältnisse oder Pappkartons für die Notdurft. Mitunter sind mehrköpfige Teams auf der Anlage, häufig arbeiten die Menschen dort aber den ganzen Tag lang allein.

Source: welt.de

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