OECD-Bericht zu Geburtenrückgang: Jobs und Kitas zeugen Lust hinaus Familie

Milliardensummen werden zur Unterstützung von Familien ausgegeben, nicht nur in Deutschland. Die nordischen Länder, aber auch Frankreich und Ungarn investieren rund 3 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts in Einrichtungen zur Kinderbetreuung und andere Unterstützungssysteme für Familien. Aber ob in Europa, Asien oder Amerika: Junge Leute haben immer weniger Lust auf Familie. Was kann gegen diesen Negativtrend helfen? Und von welchen Maßnahmen sollte die Politik besser die Finger lassen?

Damit befasst hat sich die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrem neuen Bericht zu gesellschaftlichen Trends („Society at a Glance 2024“), der am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Ein Ergebnis ist, dass es ganz oben auf der Aufgabenliste stehen sollte, gute Arbeitsmarktbedingungen zu schaffen, vor allem für Frauen. Zugleich gelte es, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter zu fördern. Beides wirke sich positiv auf die Geburtenrate aus. Geldtransfers zugunsten von Familien mit Kindern hätten dagegen keine oder nur mäßig positive Auswirkungen.

Auch Wohnkosten spielen eine Rolle

Der Bericht analysiert auch die Gründe für die rückläufige Entwicklung der Geburtenraten im OECD-Vergleich. „Es zeigt sich, dass familien- und gleichstellungspolitische Maßnahmen alleine nicht mehr ausreichend sind“, sagte Monika Queisser, Leiterin der Abteilung für Sozialpolitik bei der OECD und Mitautorin des Berichts, der F.A.Z. Sogar in den skandinavischen Ländern, die seit Langem umfassende Strategien zur Vereinbarung von Arbeit und Familie haben, sänken die Geburtenraten. „Familienpolitik bleibt wichtig, aber neue Faktoren kommen hinzu, wie hohe Wohnungskosten und die Tatsache, dass in den meisten Ländern junge Menschen länger im Elternhaus bleiben und damit die Familiengründung verzögert wird“, erläuterte Queisser.

In den meisten der 38 Mitgliedstaaten der OECD sind die Geburtenraten in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. Wurden im Jahr 1960 im Durchschnitt noch 3,3 Kinder je Frau verzeichnet, hat sich dieser Wert mehr als halbiert. Im Jahr 2022 erreichte die Fertilitätsrate mit 1,5 Kindern je Frau einen historischen Tiefstand. Deutschland liegt mit einem Wert von 1,46 sogar noch darunter. Um die Bevölkerungszahl ohne Migration konstant zu halten, müsste die Fertilitätsrate 2,1 betragen, eine Frau also im Durchschnitt mehr als zwei Kinder bekommen.

Dieser Wert wird selbst in den OECD-Ländern mit der höchsten Fertilitätsrate von 1,8 wie Frankreich und Mexiko nicht mehr erreicht. Eine Ausnahme bildet Israel, wo beinahe drei Geburten je Frau verzeichnet werden. Grund dafür ist, dass die Familien der ul­traorthodoxen Bevölkerungsgruppe oft viele Kinder haben.

Die Frauen werden immer älter

Insgesamt werden nicht nur weniger Kinder geboren, die Frauen in den OECD-Ländern werden auch immer älter, bis sie Mutter werden. In den vergangenen 20 Jahren ist das durchschnittliche Alter der Frauen bei Geburt des ersten Kindes von 28,5 Jahren auf 30,8 Jahre gestiegen. Ausnahmen bildeten aufgrund relativ vieler Teenagerschwangerschaften Kolumbien und Mexiko.

Ein besonders wichtiger Faktor für die Geburtenrate sei die Erwerbstätigkeit, heißt es in dem Bericht. Während in den Siebzigerjahren ein klarer negativer Zusammenhang zwischen der Erwerbstätigkeit von Frauen und Geburtenrate bestanden habe, sei seit den 1990er-Jahren ein positiver Zusammenhang zu beobachten. Es gebe Forschungen, wonach sich befristete Beschäftigung von Frauen negativ auf die Geburtenrate auswirke. Auch lasse sich beobachten, dass die Fertilität zu einem gewissen Grad den Höhen und Tiefen des Konjunkturzyklus folge. Die niedrigeren Geburtenraten nach der Finanzkrise seien in einzelnen Ländern jedoch hartnäckiger gewesen als die negativen wirtschaftlichen Folgen.

Männer bekommen Opportunitätskosten zu spüren

Bemerkenswert ist, was der Bericht zur Rolle von Vätern für die Familienplanung zutage fördert: In dem Maße, wie Organisation von Arbeit und Familie vermehrt auch Männersache werde und die gefühlten Anforderungen an gute Elternschaft stiegen, bekämen auch (potentielle) Väter zunehmend die Opportunitätskosten von Elternschaft zu spüren.

In Norwegen, wo die Beteiligung der Männer an Kinderbetreuung und Hausarbeit zu den höchsten in der OECD gehört, „sind es eher die männlichen Partner, die sich gegen ein (weiteres) Kind aussprechen“, heißt es in dem Bericht. Sowohl Männer als auch Frauen sähen zunehmend einen Sinn im Leben auch ohne eigene Kinder. Hinzu kämen Unsicherheiten aufgrund der sich überschneidenden globalen Krisen. Jüngere Menschen reagierten darauf mit Zurückhaltung bei der Familiengründung. Auf diese Entscheidungen und Einstellungen könne die Politik nur sehr begrenzt Einfluss nehmen.

Der beste Politikansatz für Länder, die wegen ihrer niedrigen Geburtenraten besorgt seien, bestehe auch weiter darin, die Vereinbarkeit von Arbeit und Familienleben zu erleichtern, sagt Queisser. Aufschlussreich sind die Zusammenhänge zwischen Bildungsabschlüssen und Fertilität, die in dem Bericht dargestellt werden. Bis in die Neunzigerjahre sei die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen Kinder bekommen, umso geringer gewesen, je höher das Bildungsniveau der Frauen war. Eine höhere Bildung der Mütter habe die Opportunitätskosten für Kinder in die Höhe getrieben. Das habe sich geändert, weil die Vereinbarkeit von Beruf und Familie politisch erfolgreich gefördert worden sei.

In einigen OECD-Ländern wie Norwegen, Schweden oder Dänemark sei es mittlerweile wahrscheinlicher, dass Frauen mit höheren Bil­dungsstandard Kinder bekämen als Frauen mit niedrigem Bildungsniveau. Bei Männern lasse sich generell beobachten, dass die Wahrscheinlichkeit, Vater zu werden, mit dem Bildungsgrad steige. Grund sei vor allem, dass Männer mit guter Bildung eher stabile Partnerschaften eingingen als Männer mit niedrigem Bildungsstandard, die auf dem Heiratsmarkt eher Schwierigkeiten hätten.

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