Nvidia wie Vorbild: Wie Berlin die Fintech-Hauptstadt Europas werden möchte

Santa Clara, der Stammsitz von Nvidia, ist von Berlin ein gehöriges Stück entfernt. Gut 9000 Kilometer, mehr als 13 Flugstunden, liegen zwischen der Stadt in Kalifornien und der deutschen Hauptstadt. An diesem Abend im November aber weht ein Wind von Nvidia durch die hippe Kreuzberger Location, in der zum zehnten Mal der deutsche Fintech Germany Award (FTGA) vergeben wird. Nvidia, der amerikanische Entwickler von inzwischen sehr begehrten Computerchips, hat es zum wertvollsten Unternehmen der Welt gebracht. Die Marktkapitalisierung knackte vor wenigen Tagen die Marke von 5000 Milliarden Dollar und machte Gründer und Investoren reich. Es ist ein Unternehmen, an das erst nur wenige und plötzlich sehr viele glauben.

So geht es auch den 100 Menschen in diesem Raum der Alten Post, dem heutigen „House of Finance and Tech“. Gründer, Geldgeber, „Business Angel“. Sie alle stehen mit ihren Ideen und Unternehmen an ganz unterschiedlichen Meilensteinen ihrer Entwicklung. Manche ganz am Anfang, manche sind schon fest am Markt etabliert. „Nvidia“, sagt später ein Gründer auf dem Empfang nach der Preisverleihung „davon träumen hier viele.“

Wem das doch eine Nummer zu groß erscheint, dem reicht vielleicht Revolut als Referenz. Die britische Neobank gilt als das wertvollste nicht börsennotierte Tech-Unternehmen Europas, bewertet mit rund 75 Milliarden Dollar. Das dürfte das x-Fache aller Unternehmen sein, die sich in der Kreuzberger „In-Location“ befinden – und doch sagt Achim Oelgarth: „Es gibt keinen Grund, warum das nächste Revolut nicht aus Deutschland kommen sollte. Wir brauchen Mut.“ Oelgarth ist seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Fintech-Szene aktiv und Ko-Gründer &  Ko-CEO der Berlin Finance Initiative (BFI): der Interessenvertretung des Berliner Finanz- und Tech-Hubs. Revolut gehörte einst zu den Preisträgern des Fintech Awards.

Mut allein reicht nicht

Mit Mut allein kommt man in der Start-up-Szene nicht weit. Das wissen hier alle. Investoren halten sich in Deutschland traditionell mit Investments zurück, wenn Unternehmen nicht schon Erfolge vorzuweisen haben. „Das ist in Amerika anders“, heißt in den Gesprächsrunden nach der Preisverleihung. Da werde einfach gemacht, im Wissen eines möglichen Scheiterns. Die Zurückhaltung habe sich in den vergangenen Monaten eher verstärkt, sagen die Gründer, die als Preisträger des FTGA ausgezeichnet werden. Sie machen trotzdem weiter, mit begeisternden Ideen rund um die Themen Regulierung, Nachhaltigkeit, Geldanlage, Geldwäsche und Krypto. Regpit, Upvest, NAO, Blockpit, 3rd-eyes analytics, tokenize.it – sie alle haben den ersten Preis in den unterschiedlichen Kategorien bekommen. Ob sie ein weiteres Revolut werden, weiß niemand.

„Die Zeiten sind zwar aktuell herausfordernd“, sagt auch Michael Mellinghoff, selbst ein Gründer, der im Jahr 2016 die Idee zu diesem Preis hatte und seit 2022 die jährliche Verleihung auch ausrichtet: „Aber smarte Gründerteams mit aussichtsreichen Geschäftsmodellen finden auch in solchen Zeiten Wege.“ Wirtschaftslage, Krisen, internationale Unsicherheiten – das Geld saß vermutlich schon mal lockerer. An Anspruch und Messlatte fehlt es an diesem Abend bei weitem nicht.

Sogar der Regierende Bürgermeister Kai Wegener (CDU) von Berlin gibt sich die Ehre. In seinem dunkelblauen Anzug, dem weißen Hemd und der roten Krawatte wirkt er schon optisch sehr weit weg von der „Fintech-Community“, welcher der weiße Turnschuh näher ist als ein Binder. Wegener aber, da ist er in seinem Grußwort sehr klar, will die Bedingungen für Gründer verbessern. Die deutsche Hauptstadt wolle der Nummer-eins-Standort für Fintechs in Europa sein. „Berlin, nicht Frankfurt“, sagt er sehr selbstbewusst. Leichtes Raunen im Raum, Schmunzeln in manchen Gesichtern.

Mal ganz davon abgesehen davon, dass Paris in den vergangenen Jahren das Fintech-Thema direkt im Élysée-Palast verortet hat und mit Millionen Euro unterstützt, selbst der Vergleich mit Frankfurt wirkt etwas dick aufgetragen, wenn man an Mainhattan denkt mit den Türmen der Hochfinanz, dem neuen Finanzplatzkabinett des hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein und den mehr als 75.000 Arbeitsplätzen, die in Frankfurt der Finanzbranche mindestens zugerechnet werden.

„Fintechs sind Chefsache“

Doch tatsächlich ist Berlin stärker als der subjektive Eindruck. Tatsächlich sind ein Drittel aller Fintechs Deutschlands in Berlin ansässig. Fast 45.000 Beschäftigte hat die Finanzbranche inzwischen hier – vermutlich je nachdem, was dazu gezählt wird. In Berlin werde wieder Finanzgeschichte geschrieben, sagt Wegener: „Sie als Gründer treiben die Digitalisierung voran und gestalten damit Zukunft.“ Berlin punkte mit Weltoffenheit, Vielfalt und Internationalität.

„Vor allem sind die Mieten viel geringer als in Frankfurt“, sagt später eine Gründerin zur Attraktivität der Hauptstadt: „Wir bekämen in Frankfurt überhaupt keine Mitarbeiter.“ Fintechs, so lautet die Botschaft von Kai Wegener an diesem Abend, sind Chefsache. „Scheuen Sie sich nicht, den Regierenden Bürgermeister direkt anzusprechen“, sagt er: „Mir ist die Finanzbranche sehr, sehr wichtig.“ Deswegen stehe seine Tür im Roten Rathaus „jederzeit“ offen. Es könnte voll vor seiner Tür werden.

Der Auftritt Wegeners kommt in Berlin gut an, die Angereisten aus Frankfurt wundern sich über so viel Selbstbewusstsein an der Spree. Sie verstehe, teile aber nicht alle Ansichten des Bürgermeisters, schreibt Stephanie Wüst (FDP), Frankfurter Stadträtin und Dezernentin für Wirtschaft, Recht und Stadtmarketing, später in einem Linked-in-Beitrag. Deutschland könne nur stark sein, wenn zwischen den Finanzstandorten Brücken und nicht Mauern gebaut würden – und nennt namentlich Frankfurt, Berlin, Hamburg und München. Nur in der Zusammenarbeit sei man in Konkurrenz zu London und Paris wettbewerbsfähig – während New York und Singapur auf dem Radar blieben.

Source: faz.net