NRW-Wahlen: Unter diesen jungen Menschen stinkt die AfD ab. Aus Gründen

Wie an einer Perlenkette schlängeln sich die Dörfer zwischen Hannover und Osnabrück im Kreis Minden-Lübbecke an der B65 entlang: Felder, Wiesen, Einfamilienhäuser, leer stehendes Gewerbe. Viele historische Windmühlen. Miserabel geht es im Norden Nordrhein-Westfalens wenigen, aber herausragend auch nicht vielen.

Lübbecke ist eine von 427 Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, in denen am Sonntag, dem 14. September, unter anderem Stadt- und Gemeinderäte, Bürgermeister*innen und Kreistage gewählt werden. Bei der letzten Kommunalwahl im Jahr 2020 war auf Landesebene mit knapp 35 Prozent der Stimmen die CDU die stärkste Kraft, während die SPD mit rund 24 Prozent schwach abschnitt und die Grünen mit 20 Prozent ihre Stimmenanteile nahezu verdoppelten. In Lübbecke gewann Frank Haberbosch (SPD) zum zweiten Mal in Folge die Bürgermeisterwahl der 15.000-Einwohner-Stadt, aber im Kreistag setzte sich die CDU klar durch.

Auf dem Land sind junge Menschen nahezu unsichtbar

Oft ist in den Berichten über die anstehenden Kommunalwahlen von dem drohenden Niedergang der SPD die Rede, und dem drohenden Vormarsch der AfD. Aber wie geht es den jungen Menschen hier? Und wie werden sie bei den Kommunalwahlen abstimmen?

„Ohne Auto ist man hier aufgeschmissen“, klagt die 20-jährige Lehramtsstudentin Lene Petersen. Sie wohnt mit ihren Eltern und Großeltern in einem 2.500-Seelen-Dorf nahe Lübbecke. Ihre Uni liegt im 50 Kilometer entfernten Bielefeld. Weil die Regionalbahn in die nächste Kleinstadt im besten Fall stündlich und im Normalfall unpünktlich verkehrt, fährt Petersen mit dem Auto eine knappe halbe Stunde nach Löhne. Von dort aus steigt sie in den Regionalzug nach Bielefeld. Mit den Öffentlichen nach Löhne? Das wären über eine Stunde Fahrzeit und mehrere Umstiege.

Weil es für sie günstiger ist, wohnt sie weiterhin bei ihren Eltern und arbeitet im Einzelhandel. Am Wochenende trifft sie sich mit Freund*innen – meistens auf dem Parkplatz einer Fast-Food-Kette. Außer im Handballverein – der hier der Lebensmittelpunkt vieler junger Menschen ist – gebe es kaum Treffpunkte. Mit der Kommunalpolitik identifiziert Petersen sich wenig: Es ist oft nur die Rede von Schulkindern“. Als junge Erwachsene sei man erst wieder relevant, wenn das erste Kind da ist“.

Zwischen Bratwürsten auf Papptellern und einer Schar von Senioren in Karohemden bestätigen sich ein paar Dörfer weiter Petersens Klagen bei einer Wahlveranstaltung der CDU. Für die beiden noch jungen Ratskandidaten Leon Arning (24) und Marius Lampe (32) liegt der Fokus vor allem darauf, die erstklassigen Vereins- und Ehrenamtsstrukturen aufrechtzuerhalten, Grundstückspreise zu deckeln sowie das KiTa- und Schulangebot zu fördern, damit ihre Gemeinde Stemwede für junge Familien attraktiver wird.

Es ist oft nur die Rede von Schulkindern und in seinen 20ern ist man wieder relevant, wenn das erste Kind da ist.

Die AfD in Lübbecke kandidiert mit einem 10-Punkte-Programm für den Kreistag, das auf eine DIN-A4-Seite passt. Kaum einer dieser Punkte befasst sich mit der Kommunalpolitik vor Ort. Das Programm der Linken im Wahlkreis umfasst dagegen 89 Seiten. Nee, das liest du nicht“, gesteht Petersen. Die Sozialdemokraten fokussieren sich mit ihrem Bürgermeisterkandidaten Philipp Knappmeyer – der auch von den Grünen unterstützt wird – vor allem auf die Förderung von Ganztagsschulen, Radwegen und Vereinen.

Öffentliche Treffpunkte in der wiederbelebten Innenstadt stehen ebenfalls im Programm – jedoch wenden sich die Sozialdemokraten in ihrem Wahlprogramm damit eher an Senioren. Letztlich wird man sich ohnehin nur zwischen den beiden ehemaligen Volksparteien entscheiden müssen: Lediglich sieben Prozent der Lübbecker sind zwischen 18 und 25 Jahren alt und die Älteren wählen laut Petersen das, was sie schon immer gewählt haben. „Oder eben die, die man aus seinem persönlichen Umfeld kennt“, erklärt sie.

Bochum: Der Stadtrand wird vergessen

Auch im Ruhrgebiet reihen sich die Kleinstädte wie an einer Perlenkette, allerdings verbunden durch die A40, aneinander. Das ist für Autos sehr freundlich, für Fußgänger*innen sehr unfreundlich“, sagt der 26-jährige Ednan Krasnici, der seit acht Jahren in Bochum lebt. Seit 2020 regieren hier die SPD und die Grünen. Er wünscht sich vor allem „mehr Parks und schattige Sitzmöglichkeiten im Innenstadtbereich“. Noch gebe es nicht genug davon, so Krasnici.

Ansonsten sei sein Leben gerade relativ gut“. Als Sozialarbeiter steht für ihn bei der anstehenden Kommunalwahl soziale Gerechtigkeit im Vordergrund. Denn laut Krasnici sind Randbezirke wie Wattenscheid von dem Aufschwung abgehängt, den die Innenstadt seit einigen Jahren erfährt. Auch deshalb fürchten viele bei den Kommunalwahlen ein Erstarken der AfD im Ruhrgebiet, das sich bei der Bundestagswahl im Februar bereits andeutete und auch bei Wahlumfragen vor den Kommunalwahlen prognostiziert wird.

Dass rechte Parteien das soziale Gefälle im Pott ausnutzen, da habe er keinen Bock drauf“, sagt Krasnici. Aber ein ernsthaftes Interesse an sozialer Gerechtigkeit unterstellt er nur einer Partei: der Linken. Die Grünen hätten ihn in der Ampel-Koalition enttäuscht. Und was eine Partei auf Bundesebene durchgesetzt habe, ist für ihn auch auf kommunaler Ebene wichtig. „Denn Kommunalpolitik ist viel näher dran an Menschen, die sonst nichts mit Politik zu tun haben“, sagt er. Das funktioniere aber nicht, wenn auf den Plakaten nur „irgendwelche Anzugträger sind, die aussehen wie Gymnasiallehrer“.

Bochum ist für Autos sehr freundlich, für Fußgänger*innen sehr unfreundlich.

Spinnweben hängen von der Decke der baufälligen 70er-Jahre-Backstein-Aula, deren Toiletten schon länger gesperrt sind. Für die Schüler*innen der Oberstufe des Märkischen Gymnasiums in Bochum-Wattenscheid ist der Politiktalk eine Pflichtveranstaltung – Bruder, die haben gar nicht Anwesenheit kontrolliert“, bedauert ein Schüler im Anschluss.

Vorn stehen sieben Repräsentanten der Parteien, die sich in Bochum zur Kommunalwahl aufstellen. Manche tragen Anzug, andere nicht, aber alle wollen die Erstwähler*innen von ihren Parteien überzeugen. Denn bei den Kommunalwahlen darf schon ab 16 Jahren gewählt werden. Zwei Schüler*innen moderieren den Talk zur Bildungspolitik. Es geht um Schulgebäude, Tablets und immer wieder um die Schulklos. Die Jugendlichen hören nur halbherzig zu, applaudieren aus Höflichkeit – denn all das würde es ohnehin erst geben, wenn sie die Schule längst abgeschlossen haben.

Anschließend stellt das Publikum Fragen zu konkreten Klimaschutzplänen, zum Schutz von Minderheiten, zu sauberen Bahnhöfen und zu sexueller Freiheit. Sie fordern Freiheit für alle, aber wollen die Ehe für alle verbieten. Wie passt das denn zusammen?“, fragt unter lautem Applaus eine Schülerin den AfD-Vertreter. Er pariert mit traditionellen Ehevorstellungen und gerät in ein Wortgefecht mit einigen anderen Parteivertretern, bei dem die letzten Worte des Kreissprechers der Linken im Jubel und Gejohle der Schüler*innen untergehen.

Nach der Veranstaltung bildet sich um den Vertreter der Linken eine Traube aus rund zehn Jugendlichen. Eine Sozialwissenschaftslehrerin der Schule ist davon nicht überrascht, schließlich hatten schon die schulinternen U18-Wahlen vor der Bundestagswahl gezeigt, dass die Sympathien in der Oberstufe des Wattenscheider Gymnasiums derzeit bei der Linkspartei liegen.

Münster ist ruhig und sicher – liegt das an den Menschen oder an der Politik?

Münster ist seit 1999 fest in der Hand der CDU. Die „Friedensstadt“ ist schon lange eine wohlhabende Uni-Stadt – mehr als jeder Sechste studiert an diesem Ort. Jurist*innen, Forschungseinrichtungen und Steuerkanzleien prägen das Stadtbild mehr als Industrie es jemals tat – die Mieten sind dementsprechend hoch für eine Stadt mit rund 300 000 Einwohner*innen. Bei der letzten Stadtratswahl 2020 setzte sich die Union allerdings nur noch knapp vor den Grünen durch, die SPD landete mit 17 Prozent abgeschlagen auf dem dritten Platz.

Dass es hier gut läuft“, liegt für Enes Yatikci (22) vor allem an den Menschen, die in Münster leben und offen aussprechen, wenn ihnen was nicht gefällt“. Aber eben auch daran, dass Bürgermeister Markus Lewe (CDU) einen relativ guten Job“ mache, ergänzt Yatikci, der vor drei Jahren für sein BWL-Studium aus Duisburg-Marxloh hergezogen ist. Nebenher arbeitet er in einem Currywurst-Restaurant.

Im Gegensatz zu Marxloh, einem der prekärsten Stadtteile Deutschlands, ist Münster für Yatikci eine ruhige Stadt, ohne viele Probleme“. Polizeirazzien wie in Duisburg habe er hier bislang nicht erlebt und auch demonstrieren könne man hier, ohne, dass die Polizei dich zusammenschlägt“. Außerdem habe die Stadt ein tolles Freizeitangebot und eine gute Infrastruktur, merkt Yatikci an.

Sind Erstwähler anwesend? Keiner meldet sich

Dennoch weiß Yatikci weiterhin nicht, ob er bei der Kommunalwahl wählt und wenn ja, wen. Denn auch, wenn er mit der Kommunalpolitik der Union zufrieden ist, ist Bürgermeister Lewe für Yatikci leider in der falschen Partei“. CDU und SPD hätten ihm auf der Bundesebene in Bezug auf Palästina immer wieder gezeigt, dass ihnen die Menschlichkeit fehlt“. Noch ist er unsicher, ob er Kommunales von der Bundesebene trennen möchte. Auch, dass es in Berlin unter dem CDU- und SPD-Senat zuletzt zu Polizeigewalt gegenüber Demonstranten gekommen sei, stört ihn sehr.

Gerade die Grünen erhoffen sich in Münster, die CDU abzulösen – derzeit führen sie in lokalen Wahlumfragen knapp vor der Union. An einem Freitagabend Ende August spricht neben dem Bürgermeisterkandidaten Tilman Fuchs auch Ricarda Lang, ehemalige Co-Bundesvorsitzende der Grünen. Von der Bühne wird gefragt, ob auch Erstwähler*innen anwesend seien – von den rund 150 Anwesenden meldet sich niemand.

Von der Bühne wird gefragt, ob auch Erstwähler*innen anwesend seien – von den rund 150 Anwesenden meldet sich niemand.

Am Infostand neben der Bühne erklärt die junge Ratskandidatin Marie Diekmann die konkreten Grünen-Pläne für junge Menschen. Niedrigere Wohnungsmieten durch Genossenschaften, mehr Studierenden- und Azubiwohnheime und ein enger getakteter öffentlicher Nahverkehr. Die Finanzierung dessen bleibt an diesem Freitagabend noch unkonkret, denn die Stadtkasse ist nicht gut gefüllt“, da müsse man erst einmal Klimaschutz und Bildung priorisieren, so Bürgermeisterkandidat Tilmann Fuchs (Grüne).

Einige dieser Forderungen trägt auch die SPD, die in Münster mangels Arbeiterklasse historisch eher schwach ist: Am Samstagmittag ist am Infostand in der Fußgängerzone tote Hose, was wegen der Shoppingtouristen und der Lage“ für den 22-jährigen Ratskandidaten Sven Frenck (SPD) zu erwarten war. Die kämen wegen der Schaufenster und nicht wegen der Sozialdemokraten aus dem Münsteraner Umland. Dennoch möchte er sich gerade für Azubis einsetzen, sodass diese die gleichen Kulturvergünstigungen und Wohnheime bekämen, die die Studierenden hier auch hätten.

Anders als im Ruhrgebiet oder in Lübbecke, rechnen die meisten hier mit einem Bürgermeister von den Grünen und einem schwachen Ergebnis für die AfD – genau wie bei der Bundestagswahl im Februar, wo die AfD mit 6,9 Prozent ihr bundesweit zweitschwächstes Ergebnis in Münster erzielte.

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