„Noto“ von Adriano Sack: Ab jetzt habe ich nur noch Glück – WELT

Ich öffne die schwere Metalltür und blicke in ein schwarzes Loch. Im Neonlicht sehe ich sauber vernarbtes Fleisch. Das Loch sieht aus, wie sei es mit einer dunklen Paste versiegelt worden. Ich kann einfach hineinsehen, denn es ist die leere Augenhöhle eines kleinen fuchsbraunen Pferdes, und unsrige Köpfe sind aufwärts gleicher Höhe.

Das Pferd steht in dieser Haustierkabine aufwärts Deck 6 dieser Autofähre Fantastic, die sich aufwärts ihrem Weg von Civitavecchia nachdem Palermo und weiter nachdem Tunis befindet. Die Käfige pro die Katzen und Hunde sind leer, mittendrin steht dieses einäugige Pferd. Seine Nüstern in Bewegung setzen sich im ruhigen Rhythmus seines Atems. Es schnaubt nervös, vielleicht hat es Jack gewittert. Der steht aufwärts dieser blinden Seite des Tieres, zerrt an dieser Leine und will weg. Ich jedoch kann meinen Blick nicht losreißen.

Das linke Auge sieht vollwertig aus. Es wölbt sich und glänzt, es ist so dreidimensional und seelenvoll, wie es nur Pferdeaugen sind. Trotz seiner Verstümmelung wirkt dies Tier nicht, wie fehle ihm irgendetwas. Im Gegenteil: Die schwarze Wunde gibt ihm Tiefe und Weisheit, wie einem uralten Gott. Ich überlege, welcher Unfall, welche Krankheit, welche Grausamkeit oder welche Dummheit es dieses Auge gekostet hat. Und warum unbedingt ich aufwärts unbedingt dieser Reise diesem Pferd begegnen muss. Es ist so lachhaft rechtzeitig. Aber gelacht habe ich seitdem 11 Stunden und 29 Tagen nicht mehr.

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Ich schließe die Tür wieder sorgfältig und gehe mit Jack eine Abendrunde verbleibend dies Hundedeck. Unsere Begegnung mit dem einäugigen Pferd hat ihm die Laune verdorben. Sogar an dem knurrenden Schäferhund schleicht er vorbei, ohne dessen Knurren zu erwidern. Dann pinkelt er aufwärts den Boden. Nicht luftig und raumgreifend wie sonst, sondern verstohlen und hastig. Aber vielleicht bilde ich mir dies nur ein. Ich bringe ihn in unsrige Kabine und gehe ins Bordrestaurant.

Die Kellnerin mit den markanten Augenbrauen kämpft am Nebentisch mit dem Korkenzieher, zerfetzt die Metallkappe dieser Rotweinflasche und reißt sie schließlich ab. Dann gießt sie die Gläser nahezu randvoll. Obwohl dieser Vorgang irgendetwas Quälendes hat, verfolgt ihn dies japanische Paar am Tisch ohne Regung. Sie lächeln und in der Höhe halten ihre Gläser: „Mako?“, sagt er. „Kei!“, sagt sie.

Von einer Wartezimmerlektüre kenne ich die Geschichte meiner Tischnachbarn: Mako war eine japanische Prinzessin, vorweg sie zusammenführen bürgerlichen Anwalt aus New York heiratete. Kei nimmt jetzt die Sonnenbrille ab, um sein Steak zu schneiden. Als die Kellnerin fragt, ob sie ein Selfie mit ihnen zeugen könne, streicht er sich verbleibend die langen Koteletten, und sie sagt: „Sehr gerne! Wo kommst du her?“ „Scicli“, sagt die Kellnerin. Eben war sie noch wütend verbleibend den Korkenzieher, jetzt strahlt sie: „Die schönste Stadt Siziliens.“

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Ich starre aufwärts die Menükarte und weiß nicht, wie ich mich entscheiden soll. Adriano wollte nie, dass wir dies Gleiche bestellten. Selbst in einem Schnellimbiss oder aufwärts einer Fähre nahm er tunlichst seine zweite Wahl, wie eine Doppelung zuzulassen. „Dann können wir mehr Sachen probieren“, sagte er. „Und wenn dir meins besser schmeckt, tauschen wir.“ Aus seiner Sicht war dies eine großmütige Geste. Denn obwohl er so schmächtig war, liebte er Essen in jeder Form und gab hierfür nicht zimperlich viel Geld aus. Daran hatte ich mich erst gewöhnen zu tun sein, wie wir uns kennenlernten. Jetzt bestelle ich jedwede Pizza und eine Cola, denn er ist nicht mehr da, und schlafen werde ich ohnehin nicht können. Beim Warten fällt mir aufwärts, warum mich die leere Augenhöhle des Pferdes so irritiert hat: Sie sah aus, wie habe man sie mit einem Eisportionierer ausgelöffelt.

In dieser Kabine 8415 hat sich Jack aufwärts eins dieser Betten gelegt, welches er sich zu Hause nie erlaubt. Er huscht schuldbewusst zu Boden, jedoch er hat sich von dem Schock mit dem Pferd erholt und schaut mich schon wieder abenteuerlustig an. Unsere Freundin Claudia hatte ihn an einer Tankstelle aufwärts Sizilien aufgegriffen. Er war ein knappes Jahr Altbier und weitestgehend verhungert: Überall bohrten sich die Knochen durch seine Haut, und weil er Räude hatte, waren ihm weitestgehend ganz Haare besonders. Halb tot sei er gewesen, erzählte uns Claudia, wie sie ihn aufgenommen hatte. Sie fühlte sich wie seine Retterin, und dies war sie wohl gleichwohl. Als wir Jack dies erste Mal trafen, waren seine Haare nachgewachsen, obwohl man an den Flanken noch die grau-rosa Haut sah. Er stupste uns mit seiner kalten, feuchten, vorwitzigen Nase an, zog sich dann wieder zurück; er wollte gestreichelt werden und dann wieder nicht. Und er ließ uns die ganze Zeit nicht aus den Augen. Es war keine Liebe aufwärts den ersten Blick zwischen uns, es war viel stärker: die Gewissheit, dass wir füreinander eindeutig waren.

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Z. Hd. zusammenführen Mischling ist er eine Schönheit; ein mittelgroßer, karamellfarbener, kurzhaariger Hund, dieser so aussieht, wie ein Kind zusammenführen Hund zeichnen würde. Sein rechter Tränenkanal ist defekt, unter dem Auge hat er ständig eine dunkle Spur. „Tränenmadonna“ habe ich ihn somit genannt, jedoch Adriano mochte diesen Spitznamen nicht. Er sagte, Jack habe im ersten Jahr seines Lebens genug gelitten. Bis zu dieser Nacht in Berlin vor 12 Stunden und 29 Tagen war es „unser Hund“.

Jacks Rückenfell ist scharfkantig und rau, jedoch seine Ohren sind weich wie die eines Welpen. „Million Dollar Ears“ hat Adriano sie immer genannt und konnte nicht aufhören, sie zu streicheln. Er, dieser nie zusammenführen Hund gewollt hatte. Es war seine Art zu sagen, dass Jack nun zur Familie gehörte. Ich habe den Hund im Zusammenhang seiner Trainerin Natascha in Rom gelassen, wie ich nachdem Berlin geflogen bin. Sie hat mir zusammenführen geringeren Tagessatz berechnet wie sonst, weil, wie sie sagte, „Beerdigungen so teuer sind“.

Die Liege in meiner Kabine ist rigide und schmal, die dünne Decke riecht nachdem Staub und Chemie. Aber dies ist es nicht, welches mich wach hält. Es ist eine Mischung aus Erschöpfung, Nervosität und einer Traurigkeit, die was auch immer umfasst. Es war früher immer Adriano, dieser mit leichtem und unruhigem Schlaf zu ringen hatte, seitdem seinem Tod leide ich darunter und habe schnell verstanden: Beim Nicht-schlafen-Können gibt es verschiedene Phasen, und keine davon macht Spaß. Die trügerische Kurz-einnick-Phase am Anfang, die Rumwälz-Phase daraufhin, die sich verbleibend Stunden verschleppen kann und die die Ängste unkontrolliert hochspült, die Noch-mal-weg-Phase, in dieser Träumen und Denken verschwimmen, die Resignations-Phase, in dieser man sich mit dem mangelnden Schlaf abgefunden hat und nur noch wartet, solange bis dieser nächste Tag nah genug ist, um ihn vorzeitig beginnen zu können.

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Auf dem Beistelltisch liegen mein Oura-Ring, obwohl ich den förmlich vor allem im Schlaf tragen sollte, eine Halbliterflasche stilles Wasser, eine zerfledderte, jedoch von mir bislang unberührte Ausgabe von „Der Herr dieser Ringe. Die Gefährten“, die Hirschtalgcreme gegen trockene Hände von meiner Mutter und dieser Mussolini-Roman von Antonio Scurati aufwärts Italienisch. Daneben steht eine dunkelgrüne Dose dieser italienischen Rasiercreme Proraso. Adriano mochte ihren Geruch nicht, jedoch er kaufte sie trotzdem wegen dieser altmodischen Verpackung. Sie erinnerte ihn an den Friseursalon in dieser Bergstadt Chiaramonte Gulfi mit den lackierten Wänden. Jetzt ist seine Asche in dieser Plastikdose. …

Auch heute werden die Konturen des Monte Pellegrino, diesmal in dieser Morgensonne, mit jeder Minute ein kleinster Teil schärfer, und rechts vom Schiff tauchen die Rückenflossen einer Delfinfamilie aufwärts. Ich höre die Soldaten lachen und schreien. Sie stillstehen ein Deck tiefer wie ich und nach sich ziehen zusammenführen Ring um Michelangelo kultiviert. Dessen Jacke liegt schon am Boden, und er zieht sich ohne Rest durch zwei teilbar sein T-Shirt verbleibend den Kopf. Seine Brust ist bedeckt mit Tätowierungen, am Oberarm hat er eine Impfnarbe. „Das reicht jetzt“, ruft einer, doch Michelangelo macht problemlos weiter. Er reißt sich die Stiefel runter, streift sich die Unterhose einfach mit dieser Hose ab. Die Soldaten johlen, und dieser nackte Mann schubst sie zur Seite, steigt blitzschnell aufwärts die Reling und springt kopfüber ins Meer. „Ich komme!“ schreit er, und im Sturzflug flattert sein Penis.

Die Rettungsaktion verläuft schnell. Die Fähre drosselt dies Tempo, ein motorisiertes Schlauchboot wird ins Wasser gelassen und kommt nachdem zwanzig Minuten mit dem nackten Mann zurück, dieser in zwei silberne Rettungsdecken gehüllt wurde. Er zittert und strahlt. „Meine Großväter waren Fischer in Messina. Sie nach sich ziehen in dieser Meerenge noch die Killerwale gesehen. Und wie ich ein dicker Teppich Junge war, sagten sie mir, dass jeder Mann einmal mit den Delfinen schwimmen muss.“ „Am Hafen wartet die Polizei“, sagt ein Typ in Fährunternehmensuniform mit norditalienischem Akzent. „Leck mich doch! Ab jetzt habe ich nur noch Glück.“

„Noto“ von Adriano Sack
Quelle: Harper Collins

Adriano Sack ist WELT-Redakteur, Sizilienkenner und nicht nur wie solcher jetzt gleichwohl Romanautor. Sein literarisches Debüt „Noto“ erscheint in diesen Tagen im Verlag Nagel & Kimche (320 Seiten, 24 Euro). Der Text ist ein gekürzter Auszug des Romananfangs.

Source: welt.de

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