Nimmt Robert Habeck Anlauf aufs Kanzleramt?

Robert Habeck war wieder da. Gut ein Jahr nach seinem vergangenen Besuch in der Ukraine machte er sich in den vergangenen Tagen wieder ein Bild von der Lage vor Ort. Dass die Gespräche über neue Hilfszusagen zunehmend zäher verlaufen, ärgert den grünen Vizekanzler und Wirtschaftsminister schon seit längerem. Sein Besuch, begleitet von Vertretern deutscher Rüstungsunternehmen, sollte ein Zeichen der Ermutigung sein – allen voran für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, den Habeck in Kiew traf.

Die Reise war gewissermaßen die Fortsetzung des Videos, das Habecks Ministerium kurz vor Ostern online gestellt hatte. So bitter es sei, der Krieg werde wohl nicht so schnell zu Ende sein, sagte er da, und dass Deutschland sich auf die neue Bedrohungslage einstellen müsse. In seinem dunklen Anzug und der weinroten Krawatte sah er aus wie ein Kanzler, sprach wie ein Kanzler. So, wie zuvor auch schon in dem Video nach dem Angriff der Hamas auf Israel. Auch wenn es bis zur turnusmäßigen Bundestagswahl noch fast anderthalb Jahre sind: Die Art, wie Habeck öffentlich auftritt, befeuert in Berlin die Spekulationen, dass er sich, neben CDU-Chef Friedrich Merz, als weiterer Bewerber für das Kanzleramt in Stellung bringt. Vom Wirtschaftsminister Robert Habeck war zuletzt wenig zu sehen. Umso präsenter ist Finanzminister Christian Lindner, der nahezu täglich für eine „Wirtschaftswende“ à la FDP wirbt.

Habeck als Führungsfigur mit Bella Figura

„Habeck versucht, Bella figura zu machen“, sagt Hubert Kleinert, in den Achtzigern einer der ersten Grünen im Bundestag, heute Politikwissenschaftler in Gießen. Ihn überrascht nicht, wie Habeck sich präsentiert. „Politik braucht Führung. Er ist die Führungsfigur der Grünen in der Regierung. Und die Frage, wie es in der Ukraine weitergeht, ist eine der wichtigsten überhaupt.“ Das Geraune um die Kanzlerkandidatur irritiert Kleinert dennoch. Die Grünen hätten gerade ganz andere Probleme, ihr „Sympathievorrat“ jenseits ihrer Kernwähler sei aufgebraucht. „Nach dem Atomausstieg und dem Heizungsgesetz muss man sagen: Da ist eine Menge Lack abgeblättert.“

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit welcher ukrainischen Wirtschaftsministerin Julija Swyrydenko in Kiew.dpa

Wirkte Habeck nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts müde, gereizt, zeigte er sich zuletzt wieder deutlich besser gelaunt. Etwa Anfang März in Amerika – auch dies eine Reise, die mehr war als nur eine klassische Wirtschaftsministereise. Als der Moderator einer Diskussionsrunde an der Columbia Universität in New York ihn als deutschen „Kanzler“ vorstellte, genoss Habeck das einen kurzen Moment, bevor er zurechtrückte: Olaf Scholz müsse sich keine Sorgen machen. Er sei zufrieden mit seinem Job. Nach einem Gespräch mit UN-Generalsekretär Antonio Guterres kritisierte er das Vorgehen Israels in Gaza, in Washington sprach Habeck mit dem Sicherheitsberater von Präsident Joe Biden. Fragen zu seinen Ambitionen wiegelt Habeck beharrlich ab.

In den Umfragen 12 statt 28 Prozent

Die Grünen liegen in den Umfragen aktuell zwischen 12 und 15 Prozent, weit entfernt von den 28 Prozent, die es vor drei Jahren waren. Die Kanzlerkandidatendebatte wirkt angesichts dieser Zahlen vermessen. Andererseits: Die SPD steht nicht viel besser da. Die Grünen setzen darauf, dass es wieder besser wird. Die neuen Heizungsregeln greifen frühestens 2026, wenn die Kommunen ihre Wärmepläne fertiggestellt haben sollen. Weitere Zumutungen für den Klimaschutz sind bis zur Bundestagswahl keine mehr geplant. Als vergangene Woche Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) mit Fahrverboten drohte, wenn nicht bald das Klimaschutzgesetz geändert werde, konnten die Grünen nicht schnell genug klarstellen: Fahrverbote wollten auch sie nicht. Drei Tage später gaben sie grünes Licht für das Aufweichen der Sektorziele im Klimaschutzgesetz. Die Slogans auf den Plakaten für die Europawahl sind denkbar allgemein gehalten. „Klima schützen. Wirtschaft stärken“ lautet einer. Mit exakt diesen Worten hatte einst schon der CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier ein Positionspapier überschrieben.

Doch die Erzählung der Grünen, nicht nur Öko-, sondern auch Wirtschaftspartei zu sein, wirkt angesichts der anhaltend schlechten Wirtschaftsdaten wenig glaubwürdig. Auch in der neuesten Wachstumsprognose des Internationalen Währungsfonds ist Deutschland wieder das Schlusslicht unter den Industrieländern. „Das hängt natürlich Habeck an“, sagt Grünen-Kenner Kleinert. „Warum soll man ihm mehr zutrauen, wenn er schon auf seinem eigenen Feld keine gute Bilanz vorzuweisen hat?“ Auch die Energiepolitik überzeugt Kleinert nicht. „Der Habeck des Anfangs kam unideologisch daher. Er hat Gas beschafft und die Kohlekraftwerke hochgefahren. Aber beim Thema Atomkraft hat er sich nicht getraut, Führung zu zeigen. Energiepolitisch geboten war der Ausstieg nicht. Habeck hat sich dem Jürgen-Trittin-Flügel gebeugt“, findet Kleinert.

Thomas Gambke sieht Habecks Arbeit weniger kritisch. Er ist Vorsitzender des Grünen Wirtschaftsdialogs, ein von der Partei unabhängiger, aber ihr nahestehender Verein, der sich dem Austausch mit der Wirtschaft verschrieben hat. Habeck wolle „vernünftigerweise“ das Speichern von CO2 ermöglichen, sagt Gambke. „Das zeigt, dass er nicht nur Politik für die grüne Basis macht. Leider bekommt er dafür wenig Unterstützung aus der Industrie.“ Dass Habeck sich so häufig zu anderen Themen als seinem Kernressort äußert, stört den Inhaber einer Strategieberatung nicht. Er sei nun mal auch der Vizekanzler. „Ich habe nicht den Eindruck, dass er deshalb seine Arbeit als Wirtschaftsminister vernachlässigt.“ Und die Dauer-Präsenz von Lindner in der wirtschaftspolitischen Debatte? Gambke winkt ab. „Robert Habeck ist ein anderer Typ als Finanzminister Christian Lindner, der gerne mal eine Headline raushaut.“

Ein Mini-Aufschwung wäre jetzt gut

Habeck ist sich bewusst, dass die schlechten Zahlen und die noch schlechtere Stimmung in der Wirtschaft ein Problem für die Grünen und speziell für ihn sind. Er hofft darauf, dass bald die Trendwende, ein Mini-Aufschwung kommt. Am besten noch vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland. Die Frage ist: Reichen die gesunkenen Energiepreise und die teils kräftigen Lohnerhöhungen aus, damit die Wirtschaft wieder in Schwung kommt? Die Investitionsfreude der Unternehmen ist weiter verhalten. Habecks Vorschlag, neue Schulden aufzunehmen, um die Unternehmen steuerlich zu entlasten, scheitert am Finanzminister und an der Union. Die von der FDP geforderten Einsparungen im Sozialetat will Habeck nicht. Mehr als für den Klimaschutz kämpfen seine Grünen aktuell für eine weitere Erhöhung der Sozialausgaben, Stichwort Kindergrundsicherung.

Es fällt auf, dass aus den Wirtschaftsverbänden zuletzt weniger Kritik an Habeck zu hören war, sondern vielmehr am Kanzler. Habeck höre ja wenigstens zu, heißt es, während Scholz die Nöte der Wirtschaft einfach ausblende und die Lage schönrede. Manager energieintensiver Unternehmen halten Habeck zugute, dass er versucht hat, ihnen mit einem subventionierten Industriestrompreis Erleichterung verschaffen wollte. Auch wenn daraus nichts wurde. Doch wenn dann die Ko-Vorsitzende der Grünen Jugend bei „Markus Lanz“ sitzt und eine 40-Stunden-Woche „unfeministisch“ nennt oder die Grünenfraktion die Bezahlkarte für Asylbewerber so lange hinauszögert wie irgend möglich, dann wird in den Verbänden auch die bange Frage gestellt: Was hilft der „Realo“ Habeck, wenn seine Partei so links ist?

In der Parteispitze werden derzeit viele Überlegungen durchgespielt, wie sich die Grünen im Bundestagswahlkampf positionieren könnten. Zum einen inhaltlich. Wenn die SPD die Friedenspartei geben sollte und die CDU die Hüterin konservativer Werte und des Status quo, bliebe da Platz für eine dritte Erzählung. Mancher in der Partei hält diesen Platz für groß genug, um noch einmal Anlauf auf das Kanzleramt zu nehmen. Die Grünen als Treiber für Veränderungen. Transformation, aber diesmal in der Light-Version. Bleibt noch die Frage, wer dafür werben sollte. Habeck und Annalena Baerbock als Spitzenkandidaten-Duo? Oder einer der beiden als expliziter Kanzlerkandidat? Falls Letzteres, dann wäre für Wirtschaftsdialog-Chef Gambke klar, wer es werden sollte. „Eine Konkurrenzsituation zwischen Robert und Annalena sehe ich nicht mehr. Ich gehe davon aus, dass die beiden sich einig sind.“

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