Niger: Der Weg durch die Wüste ist wieder ungezwungen

Jeden Dienstag sammelt sich die Karawane. Wagen um Wagen, Toyota-Pick-ups und Lkw. Noch wenige Minuten, dann werden die Fahrer die Motoren anlassen und über die Sandpiste von Agadez in eine weite, trostlose Ebene aufbrechen. Auf den überfüllten Ladeflächen warten Menschen, sie sitzen auf zerschlissenen Rucksäcken, Taschen und Wasserkanistern. Zwischen das Gepäck und die Ladeklappen haben sie Äste geklemmt, um sich auf der Fahrt festhalten zu können. Ihre Köpfe sind mit Tüchern umwickelt, Sonnenbrillen sollen die Augen vor den Sandwolken schützen, die sie bald umhüllen werden. Die meisten sind seit Tagen und Wochen unterwegs, sind in Nigeria, Mali oder in der Elfenbeinküste aufgebrochen, haben es bis nach Agadez, der Stadt im Norden des Niger, geschafft. Jetzt kommt die nächste Etappe: der Weg nach Libyen, 800 Kilometer. Drei Tage durch sengende Hitze, drei Nächte bei bitterer Kälte.

Viele wollen in Libyen auf Baustellen, auf Ölfeldern oder in Restaurants Arbeit suchen. Andere werden weiterziehen nach Algerien, Tunesien, dann auf ein Boot über das Mittelmeer nach Europa.

Es sind uralte Handels- und Schmuggelrouten durch die Sahara, auf die sich diese Menschen begeben haben. Eigentlich müsste die nigrische Armee sie blockieren. Eigentlich müssten die Soldaten jetzt die Migranten und ihre Helfer aufhalten. Stattdessen rollen Armeefahrzeuge heran und bilden eine schützende Eskorte für den Konvoi.

Per Gesetz und auf europäischen Druck hatte der Niger 2015 den Transport und andere Unterstützung von Migranten unter Strafe gestellt. Eine der wichtigsten Flucht- und Migrationsrouten durch Afrika sollte damit versperrt werden. Fahrer wie Schleuser waren von nun an Kriminelle. Im Gegenzug zahlte die EU über eine Milliarde Euro an Hilfsgeldern – für neue Jobs sowie für die Ausrüstung und Ausbildung von Polizei und Militär zur Grenzsicherung. Der Niger, laut den Vereinten Nationen das ärmste Land der Welt, war plötzlich der südlichste Außenposten der Europäischen Union in deren Kampf gegen illegale Migration, ein verlässlicher Partner in der unruhigen Sahelregion. So dachten die Mitgliedsländer der EU und die Kommission in Brüssel.

Dann kam der 26. Juli 2023. Militärs unter Führung des Generals Abdourahman Tiani stellten den gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum unter Hausarrest und übernahmen die Macht. Im November 2023 kündigte Tiani das Migrationsabkommen auf, nachdem die EU das neue Regime politisch nicht anerkennen wollte und die Hilfszahlungen einstellte. Die EU stand vor einem weiteren Scherbenhaufen ihrer Sahel-Politik. Die Menschen in Agadez atmeten auf.

An diesem Abend im März haben sich viele Nigrer auf den Ladeflächen der Pick-ups versammelt. Sie wollen in Libyen arbeiten. Eine Gruppe Malier versucht zum dritten Mal, auf ein Boot nach Europa zu kommen. Immer wieder haben algerische Behörden sie festgenommen und danach an der Grenze zum Niger ausgesetzt. „Wir haben keine Angst vor der Wüste“, sagt ein junger Mann aus der Elfenbeinküste. „Wir haben Angst vor dem, was zu Hause auf uns wartet.“



Libyen

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500 km

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Aus der Menschenmenge um den Konvoi ragt ein groß gewachsener Mann wie ein Ausrufezeichen heraus. Adu Ama, 54 Jahre alt, getönte Brille, gestutzter Schnurrbart, gekleidet in einem weißen Boubou, dem traditionellen Gewand, platziert die wenigen Frauen unter den Migranten auf den Beifahrersitzen der Pick-ups. Er hält Formulare in der Hand, darauf sind Nummernschilder, die Namen der Passagiere und der Fahrer notiert, dazu das Abfahrtsdatum. Statt der angemeldeten 83 zählt Ama 120 Fahrzeuge. „Da müssen wohl einige durch Bestechung in den Konvoi gerückt sein“, sagt er. Aber er unternimmt nichts. Gegen Mitternacht setzt sich die Kolonne in Bewegung.

Am nächsten Tag sitzt Ama in seinem Büro, einer Verkaufsstelle am Busbahnhof von Agadez. Er lässt zwei Dosen Bier in der Schublade seines wackligen Holzschreibtischs verschwinden, sortiert Formulare und beobachtet zufrieden das Treiben vor dem Fenster. Autos, Motorräder, Tuk-Tuks und Toyota-Kleinbusse hupen und manövrieren. Ama schickt seinen Laufburschen Zigaretten und Tee holen. Endlich wieder Leben auf dem Busbahnhof, sagt er. In den vergangenen Jahren habe sich kaum jemand mehr getraut, hierherzukommen. Der Busbahnhof, den sie hier nur „Lorry Park“ nennen, ist ein wichtiger Treffpunkt für Migranten, Schleuser und Fahrer. Wer nach dem Abkommen mit der Europäischen Union hier öfter auftauchte, galt den Behörden als verdächtig.

Jeden Dienstag sammelt sich die Karawane. Wagen um Wagen, Toyota-Pick-ups und Lkw. Noch wenige Minuten, dann werden die Fahrer die Motoren anlassen und über die Sandpiste von Agadez in eine weite, trostlose Ebene aufbrechen. Auf den überfüllten Ladeflächen warten Menschen, sie sitzen auf zerschlissenen Rucksäcken, Taschen und Wasserkanistern. Zwischen das Gepäck und die Ladeklappen haben sie Äste geklemmt, um sich auf der Fahrt festhalten zu können. Ihre Köpfe sind mit Tüchern umwickelt, Sonnenbrillen sollen die Augen vor den Sandwolken schützen, die sie bald umhüllen werden. Die meisten sind seit Tagen und Wochen unterwegs, sind in Nigeria, Mali oder in der Elfenbeinküste aufgebrochen, haben es bis nach Agadez, der Stadt im Norden des Niger, geschafft. Jetzt kommt die nächste Etappe: der Weg nach Libyen, 800 Kilometer. Drei Tage durch sengende Hitze, drei Nächte bei bitterer Kälte.

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