Neuer Wehrdienst: Warum man sich z. Hd. die Verweigerung mustern lassen muss

2011 wurde die Wehrpflicht ausgesetzt. Damals war die sicherheitspolitische Lage entspannt und immer weniger junge Männer wurden überhaupt noch eingezogen. Spätestens als die Russen 2022 auf Kiew marschierten, änderte sich die Lage wieder. Vor allem die CDU plädiert seither für eine Rückkehr zur Wehrpflicht; die SPD setzt auf Freiwilligkeit. Nun hat der Bundestag einen Kompromiss verabschiedet.

Was steht im schwarz-roten Wehrdienstgesetz? 

Der neue Wehrdienst ist keine Rückkehr zur Wehrpflicht. Zunächst erhalten alle 18 Jahre alten Männer und Frauen von 2026 an lediglich einen Fragebogen. Männer müssen ihn beantworten, Frauen nicht. Die Männer sollen von Juli 2027 an verpflichtend gemustert werden, wobei die Bundeswehr davon ausgeht, dass sie anfangs nicht in der Lage sein wird, alle Achtzehnjährigen eines Jahrgangs zu mustern. Aus der Musterung folgt zunächst keine Pflicht; der Wehrdienst bleibt freiwillig. Dass dennoch ganze Jahrgänge gemustert werden sollen, begründete Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung damit, man müsse „wissen, wen wir in einem Verteidigungsfall einziehen könnten“. Der Fragebogen geht an alle, die 2008 auf die Welt gekommen sind und 2026 volljährig werden. Das sind rund 650.000 Männer und Frauen.

Was steht im Musterungsbogen?

Der Bogen fragt Daten wie Körpergröße, Gewicht und selbst eingeschätzte Fitness ab – und vor allem, ob jemand Interesse am Wehrdienst hat. Er kann online oder auf Papier ausgefüllt werden. Männer, die binnen eines Monats nicht auf den Fragebogen reagieren, bekommen per Einschreiben eine Erinnerung zugesandt. Reagieren sie auch darauf nicht oder machen sie unwahre Angaben, kann das laut Verteidigungsministerium „nach dem Wehrpflichtgesetz in Verbindung mit dem Ordnungswidrigkeitengesetz mit einer Geldbuße“ geahndet werden. Gleichzeitig gibt sich die Ministeriumssprecherin optimistisch, dass das kaum vorkommen werde. Schließlich sei der Fragebogen in wenigen Minuten auszufüllen und führe nicht zu einer Dienstverpflichtung.

Wie läuft eine Musterung ab?

Weil es keine Kreiswehrersatzämter mehr gibt, sind die Karrierecenter der Bundeswehr Anlaufstellen für die Musterung. Dort kann sich heute schon jeder Interessent freiwillig mustern lassen. Um alle Achtzehnjährigen eines Jahrgangs zu mustern, reichen die Kapazitäten der Karrierecenter aber bei Weitem nicht aus. Deshalb sollen neue Musterungszentren aufgebaut werden. Das wird schätzungsweise anderthalb Jahre dauern. Bei der Musterung werden die „körperliche, psychische und intellektuelle Eignung und Neigung der jeweiligen Person festgestellt“; es gibt also ärztliche Untersuchungen, Seh- und Hörtests und Gespräche. Am Ende des Musterungstags findet ein abschließendes Gespräch statt, in dem die Ergebnisse mitgeteilt werden. Die Kosten der Anreise zur Musterung werden erstattet.

Wer wird ausgemustert?

Nicht geeignet für die Bundeswehr sind alle Menschen, die kleiner als 1,55 Meter oder größer als 2,10 Meter sind, die weniger als 45 Kilo oder mehr als 131 Kilo wiegen oder die eine erhebliche Sehschwäche haben. Hier liegen die Grenzwerte bei mehr als acht Dioptrien oder einer Hornhautverkrümmung von mehr als plus oder minus fünf. Wer, obwohl er Medikamente nimmt, durch Asthma oder Diabetes eingeschränkt ist, an schweren Allergien leidet, einen Herzklappenfehler oder Nierenschäden hat und wer schwer körperlich oder psychisch erkrankt ist, also zum Beispiel an Multipler Sklerose oder einer Depression leidet, gilt ebenfalls als untauglich. Ausgemustert wird außerdem jeder und jede mit einem positiven Drogentest.

Wie kann man sich freiwillig melden?

Seit der Wehrdienst 2011 ausgesetzt wurde, hat Deutschland eine Freiwilligenarmee mit einem freiwilligen Wehrdienst – wer will, kann sich seither und auch weiterhin freiwillig verpflichten, ohne sich wie ein Zeitsoldat gleich für mehrere Jahre an die Bundeswehr zu binden. Der freiwillige Wehrdienst dauert sieben bis 23 Monate. Die ersten sechs Monate sind eine Probezeit, danach kann der Wehrdienstleistende für die Dauer seiner Verpflichtung nicht mehr kündigen und auch nicht gekündigt werden. Der freiwillige Wehrdienst kann auch im Heimatschutz geleistet werden. Ansonsten wird ab einer Verpflichtungszeit von einem Jahr von freiwillig Wehrdienstleistenden die Bereitschaft verlangt, auch an Auslandseinsätzen teilzunehmen. Noch erhalten freiwillig Wehrdienstleistende im niedrigsten Dienstgrad nur rund 1800 Euro brutto; das soll mit dem neuen Wehrdienst angepasst werden.

Wie viel verdient man künftig?

Was passiert, wenn dieses Ziel nicht erreicht wird?

Dann kommt Zwang ins Spiel. Voraussichtlich würden unter den Tauglichen nach einem Zufallsverfahren Wehrpflichtige ausgewählt werden. Der Gesetzentwurf zum neuen Wehrdienst sieht hierzu aber keinen Automatismus vor; eine Pflicht müsste der Bundestag zunächst beschließen. Wer verweigert, müsste dann stattdessen wie früher Zivildienst leisten. Auch die Strukturen dafür müssten neu aufgebaut werden. Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) hat deshalb schon Mitte November verschiedene Verbände zum „Gedankenaustausch“ zur Wiedereinführung eines Zivildiensts eingeladen.

Wie kann man verweigern?

Weil die Wehrpflicht nur ausgesetzt und nicht abgeschafft ist, können Ungediente weiterhin den Dienst an der Waffe verweigern; auch Reservisten und Soldaten dürfen das jederzeit tun. Daran ändert sich auch mit dem neuen Wehrdienst nichts. Ungediente müssen ihren Antrag bei einem Bundeswehr-Karrierecenter stellen – und bekommen dann zunächst eine Einladung zur Musterung. Den Kriegsdienst verweigern kann nämlich nur, wer prinzipiell wehrtauglich wäre. Wer ausgemustert wird, gilt nicht als Verweigerer – und musste zu Wehrpflichtzeiten auch keinen Zivildienst leisten. Nach der Musterung geht der Antrag auf Kriegsdienstverweigerung ans Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, das zum Bundesfamilienministerium gehört. Dort wird er dann abschließend bearbeitet.

Was muss im Verweigerungsantrag stehen?

Früher war das mal eine große Frage. In den Achtzigern mussten junge Männer ihre Gewissensentscheidung teils in mehrstufigen Verfahren vor Komitees darlegen – und landeten, gelang ihnen das nicht glaubhaft, doch in der Kaserne. Heute ist das anders. Aber die Gewissensentscheidung muss immer noch nachvollziehbar begründet werden. Und sie muss universal sein. Es reicht also nicht aus, gegen einen Atomkrieg oder gegen einen Krieg mit Russland zu sein. Auch zu schreiben, man wolle sein Leben nicht für ein Deutschland riskieren, das Politik zulasten der jungen Menschen mache – ein in linken Kreisen verbreitetes Argument – wird nicht akzeptiert. Zu schreiben, man könne sich aus moralischen Gründen nicht vorstellen, auf Menschen zu schießen, hingegen schon.

Wie viele Menschen verweigern jetzt schon?

Organisationen, die zur Kriegsdienstverweigerung beraten, gehen davon aus, dass die Zahl der Verweigerer mit dem neuen Wehrdienst deutlich steigen wird. Schon allein die Debatte über den Umgang mit der ausgesetzten Wehrpflicht hat die Zahlen zuletzt steigen lassen: Stellten 2019 gerade einmal 162 Männer einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung, waren es 2024 schon gut 3000. Und bis Ende Oktober dieses Jahres wurde dieser Wert bereits übertroffen.

Was halten die Deutschen vom neuen Wehrdienst?

Knapp 60 Prozent halten die Einführung einer flächendeckenden Musterung für richtig, knapp 30 Prozent lehnen sie ab. Das geht aus einer Insa-Umfrage für die „Bild am Sonntag“ hervor, für die Mitte November gut 1000 Menschen befragt wurden. Gleichzeitig glauben nur 25 Prozent, dass die Bundeswehr mit Freiwilligkeit allein ausreichend wachsen wird; 57 Prozent können sich das nicht vorstellen. Auch die persönliche Bereitschaft zum Wehrdienst bleibt gering. Nur 31 Prozent der Deutschen würden sich freiwillig melden, während 55 Prozent dies ausschließen.

Source: faz.net