Neuer Chef greift durch: Nestlé baut um und senkt die Jahresziele

Der neue Vorstandsvorsitzende von Nestlé, Laurent Freixe, schlägt erste Pflöcke ein. Der Franzose reduziert das Wachstums- und Margenziel für dieses Jahr und baut den Konzernvorstand um. Der Verwaltungsrat des größten Lebensmittelkonzerns der Welt hatte Freixe, der seit 38 Jahren für Nestlé arbeitet und seit 16 Jahren dem Vorstand angehört, Ende August in einem Hauruck-Kommando an die Spitze gehoben und Ulf Mark Schneider des Feldes verwiesen. Die Aufseher trauten Schneider nicht mehr zu, dem schwächelnden Riesen wieder zu mehr Verkaufsdynamik zu verhelfen. Seine genauen Vorstellungen dazu, wie Nestlé die in den vergangenen Jahren verloren gegangenen Marktanteile zurückerobern und die Margen wieder erhöhen soll, will ­Freixe auf dem Investorentag am 19. November ausbreiten. Aber anlässlich des Zwischenberichts zum dritten Quartal gab er schon einmal grob die Richtung vor.

Wir müssen uns konzentrieren

Bei der Entwicklung neuer Produkte müsse Nestlé sichergehen, dass diese auch den Bedürfnissen der Kunden entsprächen. „Wir müssen uns konzentrieren“, sagte Freixe in einer Telefonkonferenz mit Analysten. Sein Mantra zur Innovation laute „weniger, größer, besser“. Zugleich will er noch mehr investieren, um das Wachstum anzukurbeln. Dies dürfe jedoch nicht auf Kosten der Rentabilität gehen, sagte Freixe, der damit eine große Sorge der Analysten ansprach. Den Spielraum für höhere Investitionen will er sich durch „Effizienzgewinne“ und weitere „Produktivitätsinitiativen“ erarbeiten. An welchen Stellen Freixe die Kosten konkret kappen will, ließ er offen. Der Konzern soll noch digitaler aufgestellt werden: „Wir werden ein durchgängig vernetztes, intelligentes Unternehmen in Echtzeit werden, das von Daten und KI angetrieben wird.“

Freixe baut zudem die Führung um. Er legt die bisher getrennt geführten Zonen Latein- und Nordamerika zusammen und ernennt Steve Presley zu deren Chef. Der Amerikaner wird seinen Dienstsitz in der Konzernzentrale im schweizerischen Vevey haben. Die Region „Greater China“ wird Teil der Zone, die aus Asien, Ozeanien und Afrika besteht. Damit löst Freixe die von Schneider installierte Regionalstruktur wieder auf. Der Nespresso-Chef Philipp Navratil tritt in die Konzernleitung ein und berichtet fortan direkt an Freixe. Die frühere Deutschland-Chefin Béatrice Guillaume-Grabisch verliert ihren Vorstandsposten als Personalverantwortliche, den sie seit 2019 innehatte, und verlässt den Konzern. Ihre Stelle übernimmt Anna Lenz, die derzeit die Geschäfte von Nestlé in Portugal führt. „Mit dieser Neuaufstellung werden alle Schlüsseleinheiten, die unsere Finanzergebnisse und unseren unternehmerischen Wandel befördern, nun direkt an mich berichten“, sagte Freixe. Die Änderungen führten insgesamt dazu, dass der Vorstand kleiner werde und dank klarerer Zuständigkeiten effektiver arbeiten könne.

„Schmerzhafter Rückschlag“

Freixe versprach den Analysten, fortan realistischere (sprich: erreichbare) Pro­gnosen zur Geschäftsentwicklung („Guidance“) abzugeben. Damit griff er deren Kritik auf, wonach Nestlé trotz schwacher Verkäufe zuletzt viel zu lange an seinen Wachstumsvorhersagen festgehalten habe. Freixe nahm nun die Ziele für 2024 zurück: Die operative Umsatzrendite dürfte auf rund 17 Prozent sinken gegenüber 17,3 Prozent im vergangenen Jahr. Der Umsatz werde organisch nur noch um zwei Prozent wachsen. Ursprünglich hatte Nestlé ein Wachstum von vier Prozent geplant, das der damalige Konzernchef Schneider im Juli auf drei Prozent zurücknahm.

Die Korrektur der Guidance fiel stärker aus als im Markt erwartet wurde. Der Vontobel-Analyst Jean-Philippe Bertschy sprach denn auch von einem „sehr schmerzhaften Rückschlag für Nestlé“, der in der jüngeren Firmengeschichte beispiellos sei. „Für einen Supertanker wie Nestlé ist die Abweichung in nur wenigen Monaten enorm.“ Die Priorität für das neue Managementteam bestehe nun darin, Nestlé zu seinen Wurzeln zurückzuführen. „Die Aufgabe ist gewaltig und wird Zeit brauchen.“

Tatsächlich stimmte der Vorstand die Analysten schon darauf ein, dass die Bäume auch im kommenden Jahr nicht in den Himmel wachsen. Die neue Finanzchefin Anna Manz sagte, dass den wachsenden Investitionen nicht zwangsläufig zeitgleich Kostensenkungen an anderer Stelle gegenüberstünden. Daher könne die operative Gewinnmarge 2025 leicht sinken. Gefragt, ob die Marge um ein bis zwei Prozentpunkte fallen könnte, beteuerte Manz: „Nein, es wird sich um eine geringere Größenordnung handeln.“

Verbraucher greifen zu billigeren Eigenmarken

Nestlé kämpft in vielen Märkten gegen eine ausgeprägte Konsumschwäche an, die nicht zuletzt daher rührt, dass Lebensmittel in den vergangenen Jahren deutlich teurer geworden sind. Statt zu Markenprodukten greifen Verbraucher vermehrt zu den billigeren Eigenmarken der Einzelhandelsketten. Bremsend wirkt auch, dass viele Händler in Nord- und Südamerika ihre Lagerbestände reduzieren. Um nicht noch mehr Marktanteile zu verlieren, hat Nestlé die Preise im dritten Quartal nur noch um 0,6 Prozent angehoben. Trotzdem stiegen die Verkaufsvolumina lediglich um 1,3 Prozent.

In den ersten neun Monaten des Jahres sank der Umsatz um 2,4 Prozent auf 67,1 Milliarden Franken. Ausschlaggebend waren Wechselkurseffekte. Organisch legte der Umsatz um zwei Prozent zu. Der Nestlé-Aktienkurs stieg im Verlauf des Donnerstags um drei Prozent auf 86 Franken.

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