Es ist ein grausiger Anblick, der sich Staatsanwalt Rusty Sabich (Jake Gyllenhaal) am Tatort präsentiert. Die übel zugerichtete Leiche seiner Kollegin Carolyn (Renate Reinsve) liegt auf dem Boden ihres Wohnzimmers und ist auf dieselbe Weise gefesselt wie das Mordopfer in einem Fall, den er und Carolyn vor knapp einem Jahr gemeinsam bearbeitet haben. Rusty wird von seinem Vorgesetzten und Freund Raymond (Bill Camp) mit den Ermittlungen betraut. Was Raymond dabei nicht weiß: Rusty und Carolyn hatten eine langjährige Affäre.
Obsession, Machtgerangel und Korruption bildeten den Stoff des 1987 erschienenen Romans Aus Mangel an Beweisen von Scott Turow, der als hoch spannender Gerichtsthriller die Bestsellerlisten anführte, noch bevor John Grisham dieses Romangenre erobern sollte. Bereits 1990 wurde Turows Roman verfilmt – von keinem Geringeren als Alan J. Pakula (Die Unbestechlichen). Harrison Ford spielte die Hauptrolle, Greta Scacchi verkörperte Carolyn. Nun wagte sich der als Fernsehproduzent und -autor bekannte David E. Kelley an eine Serienadaption des Romans. Als Schöpfer von Anwaltsserien wie The Practice, Ally McBeal und Boston Legal bewegt er sich hier auf vertrautem Terrain.
Die Serie, die am 12. Juni auf AppleTV+ startet, setzt auf kühle Farbgebung und den graduellen Abstieg in psychologische Tiefen: Rusty, seit seinen frühen Zwanzigern mit Barbara (Ruth Negga) verheiratet und Vater von zwei Kindern im Teenageralter, ist geplagt von Erinnerungen an seine Zeit mit Carolyn. Gegenüber seiner Frau, die von der Affäre wusste und davon ausgeht, dass diese vor einem Jahr endete, macht er keinen Hehl daraus, dass er für Carolyn nicht nur sexuelles Begehren empfand. Es waren tiefe Gefühle im Spiel, die offenbar nicht mit derselben Intensität von Carolyn erwidert wurden, so suggerieren einige der eingestreuten Flashbacks. Das Ehepaar setzt seine Paartherapie bei Psychotherapeutin Dr. Rush (Lily Rabe) fort, doch die wahre Zerreißprobe erwartet die beiden erst noch. Nachdem Raymond nämlich die Wiederwahl zum obersten Staatsanwalt in Chicago verliert, zögert sein Nachfolger und Widersacher Nico (O-T Fagbenle) nicht lange: Gemeinsam mit dem durchtriebenen Tommy (wunderbar: Peter Sarsgaard) konfrontiert er Rusty damit, dass seine Fingerabdrücke in Carolyns Haus gefunden wurden und deckt ihre Affäre auf. Für Rusty beginnt ein mühsamer und komplizierter Kampf um die Darlegung seiner Unschuld.
David E. Kelley lädt die acht Folgen umfassende Miniserie mit diversen überraschenden Wendungen auf. Mit jeder Folge wird deutlicher, wie wenig alle involvierten Figuren doch letzten Endes voneinander wissen: Rusty ist erschüttert, als er erfährt, dass Carolyn geschieden und Mutter eines Sohnes im Teenageralter war. Barbara muss damit fertigwerden, dass Rustys Affäre kurz vor Carolyns Tod neu entflammt war. Nico, der seit jeher nichts als Verachtung für Raymond und Rusty hegte, ist zunehmend irritiert von Tommys sinistrem Eifer.
Und Raymond, der zum Unmut seiner Ehefrau Lorraine (Elizabeth Marvel) Rustys Verteidigung vor Gericht Übernimmt, begleiten zunehmend Zweifel an der Unschuld seines langjährigen Kollegen und Freundes. In einer prägnanten Szene macht er seinem Ärger gegenüber Rusty Luft: Er glaubt, dass Rusty zwar Scham, eine seiner Definition nach äußerst selbstbezogene Empfindung, für seine destruktive Affäre empfinde, aber eben keine genuinen Schuldgefühle gegenüber den Hintergangenen.
Und genau das verkörpert Jake Gyllenhaal sehr präzis und überzeugend: Das riskante Gebaren, zunehmende Wutausbrüche, die zögerliche Geständigkeit und Uneindeutigkeit seiner Erinnerungsfetzen streuen auch beim Publikum Zweifel an der Aufrichtigkeit seiner Figur. Man fiebert nicht unbedingt mit ihm mit, aber dennoch der Auflösung entgegen, die durch die Cliffhanger zum Ende jeder Folge in immer weitere Ferne zu rücken scheint. Dramatische Zuspitzungen, falsche Fährten und immer neue Facetten der Charaktere machen aus der Miniserie ein fast schon überdimensioniertes Konstrukt, anders als Pakulas hoch konzentrierter Film von 1990. Doch letztlich kriegt David E. Kelley dann doch jede erzählerische Kurve und schafft damit ein würdiges Pendant zu jenem Genre des „Page-Turner“, für den Turows Roman beispielhaft steht.